Vier

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Zwei Stunden später saßen sie immer noch im Auto und beobachteten den Teenager dabei, wie er zusammen mit seinen Freunden Burger und Pommes Frites aß. Sie saßen auf einer Bank neben der Halfpipe und lauschten der Musik aus einem Ghettoblaster. Es war genauso langweilig, wie Jorge es beschrieben hatte, aber sie hatten ja einander, um zu reden und gemeinsam zu lachen, während sie weiter observierten.

„Ich gehe und hole uns einen Kaffee", verkündete Jordana und öffnete die Tür.

„Bring auch etwas Süße mit. Ich brauche Zucker", sagte ihr Bruder ehe sie die Tür schließen konnte.

Ein Stück die Straße runter befand sich eine kleine Bäckerei, wo sie auch Kaffee bekommen konnte. Es gab dort viele verlockend aussehende Törtchen und Kekse, also kaufte sie eine Schachtel mit einem Mix. Als Jordana den kleinen Laden wieder verlassen wollte stieß sie mit jemandem zusammen. Die große Statur mit der breiten Brust tauchte so plötzlich in ihrem Weg auf, dass sie beinahe gestolpert wäre, als sie versuchte beiseite zu treten. Der Fremde ergriff ihre Oberarme, um sie aufrecht zu halten.

„Es tut mir leid. Ist alles okay", wollte er wissen und sie musste kräftig schlucken, denn diese tiefe rauchige Stimme war wie ein Tritt in den Magen.

Sie begann leicht zu zittern und befürchtete, dass ihr die Pappbecher mit dem heißen Kaffee aus den Händen gleiten könnten. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie spürte, wie ihre Wangen wärmer wurden. Das konnte unmöglich wahr sein! Was hatte sie getan, um das zu verdienen? New York war so riesig, warum in Gottes Namen musste er ausgerechnet diese Bäckerei aufsuchen? Sie konnte ihn nicht ansehen aber ihr Kopf bewegte sich wie von selbst langsam nach oben, sie hatte keinerlei Kontrolle über ihn.

Als ihr Blick auf seinen traf, da rann ein Schauer ihren Rücken hinab. Diese Augen waren einer der Gründe gewesen, warum sie sich in ihn verliebt hatte. Seine Augen, dieses freches sexy Lächeln, diese einladenden Lippen und sein unglaublicher Körper. Hellbraune Augen, die sie an Milchkaffee erinnerten, die dunkler wurden während sein Blick über ihren Körper glitt.

„J..aa...", stammelte sie, denn sie musste irgendetwas antworten.

Er nickte und strich ihre eine Haarsträhne hinter ihr linkes Ohr. Seine Hand hielt die Strähne ein weniger länger fest. „Ich mag die hellblauen Strähnen", sagte er und lächelte. „Sie betonen deine wunderschönen blauen Augen."

„Cameron", flüsterte Jordana und versuchte seine Berührung nicht zu genießen, aber ihr Körper war ein lausiger Verräter und reagierte sofort auf ihn. Auf seine Stimme, seine Berührung, seinen Geruch...Himmel, sogar auf seine bloße Anwesenheit. „Was machst du hier?"

„Ich wollte meine Frau sehen", erklärte er und sein Lächeln wurde breiter, erreichte aber nicht seine Augen. 

Jordana schluckte erneut und blickte beschämt zu Boden. Durch den gesenkten Kopf hatte sie den perfekten Blick auf seine linke Hand und ihr Hals wurde noch trockener und enger als sie sah, dass er seinen Ehering trug. Warum hatte er ihn während all der Jahre nicht abgenommen, wie sie es getan hatte? Oder hatte er ihn nur für diesen Besuch wieder angesteckt?

„Es ist genug Zeit vergangen und ich hoffe, dass du jetzt bereit bist mit mir zu reden", sagte Cameron in leisem Ton, als er noch näher trat, da andere Kunden die Bäckerei verlassen wollten. „Außerdem wollte ich dir die Scheidungspapiere persönlich überbringen."

Seine Worte fühlten sich an wie ein Messer, dass man ihr ins Herz gestoßen hatte. Er hatte recht. Es war Zeit dieses Theater zu beenden und mit dem Leben weiterzumachen. All diese Jahre hatte diese lachhafte Ehe sie beide von einer ernsthaften Beziehung ferngehalten. Vielleicht hatte er ein neues Glück gefunden und wollte diese Frau heiraten. Dieser Gedanke war schmerzvoller als sie es erwartet hatte. Er war ihr Ehemann, allerdings nur auf dem Papier, also warum schmerzte sie der Gedanke von ihm mit einer anderen Frau so sehr?

„Okay", war alles was sie dazu sagen konnte.

Als sie zu ihm aufblickte, studierte sie sein Gesicht. Es waren noch die gleichen Züge, wie sie sie in Erinnerung hatte, nur irgendwie gereifter. Die blonden Haare waren länger und sahen verwuschelt aus, so als wäre er vorher etliche Male mit den Händen hindurchgefahren. Auch sein Körper hatte sich verändert, war muskulöser geworden. Vielleicht ging er ins Fitnessstudio?

„Okay? Das ist alles, was du zu sagen hast?"

Jordana räusperte sich und zuckte mit den Schultern. Es war eine befremdliche Situation. „Was hast du denn erwartet das ich sagen würde?"

Camerons Blick bohrte sich in ihren und sie spürte einen weiteren Schauern ihren Rücken hinab rennen und dieses bekannte Kribbeln in ihrem Bauch, das langsam tiefer wanderte.

„Ich war nicht sicher, was ich erwarten sollte, aber okay erscheint mir ein bisschen wenig. Es ist emotionslos und kalt", flüsterte er ihr ins Ohr.

Sein warmer Atem strich über ihre Haut und der Wunsch, dass er an ihrem Ohrläppchen nibbelte oder die Stelle unter ihrem Ohr küsste wurde beinahe übermächtig. Stopp, sagte sie sich selbst. Er will die Scheidung, also gibt es von seiner Seite aus keine Gefühle mehr.

„Hast du heute Abend frei", wollte Cameron wissen und sie nickte automatisch. „Gut, denn ich möchte gern alles bei einem Abendessen besprechen. Wie wäre es mit dem Haven Rooftop? Soll ich dich abholen?"

„Nein, ich habe mein eigenes Auto", erwiderte sie und drückte ihre Schultern durch.

„Dann sagen wie um sieben", schlug er vor und sie nickte zustimmend.

Als alles geklärt war trat Cameron einen Schritt von ihr weg. Sie nutzte die Chance um sich an ihm vorbeizudrücken und die Bäckerei zu verlassen. So schnell wie möglich.

„Was hat den so lange gedauert? Ich habe schon darüber nachgedacht ein Suchtrupp nach dir auszusenden", sagte ihr Bruder, als sie sich auf den Beifahrersitz fallen ließ und ihm einen Becher Kaffee reichte.

„Viel Kundschaft", war alles was sie sagte ehe sie noch einmal Richtung Bäckerei schaute. Ihr Inneres war zwiegespalten. Ein Teil hoffte, dass Cameron nicht diesen Weg nahm und sie im Auto sah, der andere Teil wollte genau das.

„Und wieso siehst du so aus, als sei etwas passiert", fragte Jorge und sah sie neugierig an.

„Was...wie...ich habe nicht..." Jordana stopelte fast über ihre eigenen Worte und nahm erst einmal einen Schluck von ihrem Kaffee.

Jorge folgte ihrem Blick mit den Augen und zog die linke Augenbraue nach oben. „Ich könnte diesen Job nicht machen, wenn mir nicht die kleinsten Signale auffallen würden", erinnerte er sie und stellte seinen Becker auf dem Armaturenbrett vor sich ab.

„Ich bin in Cameron hineingerannt", sagte sie so leise, dass er sie fast nicht verstanden hätte, und öffnete die Schachtel mit den Keksen.

„Er ist hier?"

„Ja, ich war wirklich geschockt. Er sagte, er hoffe, dass ich endlich mit ihm über meine Abreise sprechen würde und er will mir die Scheidungspapiere geben", sprudelte es geradezu aus ihr heraus.

„Oh." Jorge wusste nicht, was er dazu sagen sollte. „Hat er dir die Papiere gegeben?"

„Nein. Er hat mich zum Abendessen eingeladen, um über alles zu reden."

„Wirst du hingehen oder dich irgendwo verstecken?"

„Ich denke nicht, dass ich eine Wahl habe", mutmaßte Jordana und reichte ihm die Schachtel mit den Keksen. „Da er gerade in der Stadt ist, würde er mich oder meine Familie eh finden. Und wenn er wirklich mit seinem Leben weitermachen will, dann wäre es nicht fair es ihm zu verwehren, oder?"


Note: Der Ehemann ist wieder da. Mit den Scheidungspapieren. Wird sie wirklich zu diesem Treffen oder im letzten Moment noch einen Rückzieher machen. Ich hoffe Euch gefällt die Geschichte bis hierher. :)


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