Neuanfang

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Und dann, nach einer weiteren Woche, war er schließlich da. Der Tag an dem ich entlassen wurde. Meine Bulimie und das Ritzen hatte ich hinter mir gelassen und auch die Selbstzweifel waren wie weggeblasen. Ich verabschiedete mich von den Betreuern und auch von den anderen Jugendlichen. Ich gab ihnen meine Handynummer, damit sie ich mal anrufen können. Und dann war da noch Ekatharina. Ich konnte nicht anders und nahm sie in den Arm. Ich hatte das starke Gefühl, dass sie anfängt zu weinen, und so war es auch.

 „Warum weinst du denn?“, fragte ich besorgt. „Ach, ich erinnere mich gerade an den Tag zurück als du hier angekommen bist. Wie traurig und zerbrechlich du warst. Und jetzt? Jetzt bist du wieder voller Lebensmut und man sieht, das es dir wieder sehr gut geht.“, schluchzte sie. „Aber alles vor allem wegen deiner und Celinas Hilfe.“, sagte ich und schaute ihr in die Augen. „Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt, und das du nie wieder einen Schritt hier hineinsetzten musst, außer wenn du mich besuchen willst. Versprichst du mir das?“

„Ja, ich verspreche es dir“, gab ich zurück. „Und nun geh und nimm deine Freunde in den Arm. Sie warten hinter dieser Tür auf dich.“, rief sie und umarmte mich ein letztes Mal. Ich wollte schon gehen, da viel ihr anscheinend noch etwas ein. „Sophie warte mal!“ rief sie. Sie kramte aus ihrer Jackentasche einen Zettel und reichte ihn mir. „Hier ist meine Handynummer. Ruf mich mal an, damit ich weiß wie es dir geht.“ „Mach ich. Versprochen.“ rief ich ihr zu.

 Und dann, dann ging die Tür zur „Freiheit“ wieder auf. Ich schaute noch mal zurück, und sah, wie sich die Tür schloss. „Nun stehst du wieder auf den Beinen, und diesmal lässt du dich nicht so leicht runterziehen Sophie!“, sprach ich zu mir selbst.

 Celina, die mit mir nach unten gelaufen ist, blieb auf einmal stehen. „Sophie halt mal an.“, rief sie. Verwundert blieb ich stehen. „Was ist denn?“, fragte ich. „Ich muss dir jetzt wohl oder übel die Augen verbinden, denn deine Familie hat eine Überraschung für dich“, sagte sie mit einem Grinsen. „Och ne, muss das sein?“, fragte ich. Celina lachte. „Jap da musst du jetzt durch.“ Ich ließ es über mich ergehen und merkte, dass wir draußen waren, da es sehr kalt war.

 Celina nahm mir die Augenbinde ab.

 „Überraschung!“, schrien sehr viele Personen im Chor.

 Ich konnte es nicht glauben. Meine ganze Familie war da. Mein Vater und meine Mutter, meine Omas und Opas, meine Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen und meine Freunde. Und, ich konnte es kaum glauben. Da stand ernsthaft Christoph Kramer vor mir!

 Meine Mutter kam auf mich zugelaufen und umarmte mich. „Endlich habe ich dich wieder“, sagte sie überglücklich. Auch mein Vater kam dazu und umarmte mich. Er und meine Mutter hatten vor Freude tränen in den Augen. Ich signalisierte jetzt erst, wie sehr ich sie vermisst hatte auch wenn wir uns dreimal in der Woche, für eine Stunde sehen durften. Aber dann vielen mir meine Freunde auf. Sie standen da, und auf einmal rannte Alice auf mich zu und umarmte mich. Dadurch das sie so viel Anlauf nahm, vielen wir beide rückwärts in den Schnee. Wir lachten uns halb tot und rappelten uns wieder auf. „Mach das ja nie wieder. Ich hatte echt Angst dich zu verlieren“, sagte sie und nahm mich wieder in den Arm. „Versprochen, Nie wieder.“  Nun nahm ich auch Lisa in den Arm und ich freute mich, meine beiden besten Freunde wieder in den Arm nehmen zu können. Nachdem ich auch meine Omas und Opas, Tanten und Onkel, Cousins und auch meine Cousinen umarmt hatte, bleib mein Blick bei Christoph hängen.

„Du bist also Sophie. Schön dich mal kennen zu lernen. Celina hat mir schon sehr viel von dir erzählt.“, sagte er zu mir. Ich wusste gar nicht was ich sagen sollte, und schaute zu Celina die mich nur anlächelte. Ich bekam einfach kein Wort raus. „Wenn du es nicht hinkriegst, mach ich es eben für dich. Also Christoph, das ist Sophie. Sie ist 17 Jahre alt und freut sich auch dich kennen zu lernen.“, fing Celina lachend an. „Und….“. „ Ist ja gut Celina, ich kriege das schon hin“, rief ich lachend. Auch Christoph lachte. „Also Sophie es freut mich dich kennen zu lernen.“, sagte er zu mir und gab mir die Hand. Ich nahm sie an und gab ihm auch die Hand. Er war echt nett. Ich fing aus irgendeinem Grund an zu lächeln und er lachte. Und auf einmal lachten alle.

 „Wer ist alles für Pizza essen?“, rief meine Mutter auf einmal. Begeistert stimmten alle zu. Doch dann viel mir Celina ein. „Musst du nicht noch arbeiten?“, fragte ich sie. Sie lächelte. „Nein heute nicht mehr. Hat aber einen bestimmten Grund. Aber jetzt lass erstmal Pizza essen gehen. Ich erzähle es dir morgen ok?“. „Okay“, erwiderte ich. Alle gingen zu den Autos. Ich fuhr mit meinen Eltern, meine Tanten und Onkel mit jeweils mit ihren Kindern, Oma und Opa fuhren auch zusammen und Celina und Christoph nahmen Alice und Lisa mit. Papa verstaute meinen Koffer im Kofferraum. Bevor ich in den Wagen einstieg, schaute ich das letzte Mal auf das Gebäude, dass mir sozusagen das Leben „gerettet“ hat. 6 Wochen habe ich hier verbracht, und ich muss sagen, ich habe in dieser Zeit echt viel gelernt. Hier habe ich gelernt, wieder vernünftig zu essen, meine Bulimie zu überwinden und aufzuhören mich zu ritzen. Den Betreuern und dem ganze Team werde ich auf ewig dankbar sein.

 „Sophie kommst du?“, rief meine Mutter aus dem Auto. „Jap“, gab ich zurück und schmiss mich auf die Rückbank. „Auf geht’s“, schrie meine Mutter schon fast. Ich muss sagen, so gut gelaunt habe ich sie lange nicht mehr erlebt. Und so fuhren wir vom Hof. Ich drehte mich um und sah noch ein letztes Mal auf das Gebäude. „Danke“, flüsterte ich und drehte mich dann wieder zu meinen Eltern um. Nach 15 min kamen wir bei meinem Lieblingsitaliener an, und wir stiegen aus. Die anderen warteten schon auf uns. „So dann sind wir ja vollzählig und können los“, scherzte mein Opa. Wir lachten und gingen hinein.

  „Schönen guten Tag, unsere Stammgäste sind wieder da“, kam es direkt von Mustafa, der uns schon die Tür aufhielt und freundlich lächelte. Er und das ganze Personal kennen uns schon seit Jahren denn wir essen dort regelmäßig unsere Pizza. „Chef“, schrie er durch das halbe Restaurant, „unsere Stammgäste sind wieder da!“ Sofort schwang die Küchentür auf, und Massimo, ein etwas rundlicher älterer Italiener mit schwarzen Haaren und einem Dreitagebart kam direkt auf uns zu. „Bella Belissimo, schön euch mal wieder hier zusehen“, säuselte er auf seinem Italienischen Akzent. Ich musste lachen. Massimo ist so ein guter Mensch, und bringt regelmäßig jeden im seinem Restaurant zum lachen. „Wie immer der Platz am Fenster?“ fragte er. „Könnte etwas schwierig werden“, lachte meine Mutter und zeigte auf die anderen. „Haijaijai stimmt das könnte wirklich etwas schwierig werden. Was ist denn bei euch los? Habe ich was verpasst?“, fragte er und grinste uns an. „Ja, Sophie ist wieder da“, rief meine Mutter erfreut. Ich lächelte gezwungen. Wusste Massimo etwa davon? Bestimmt haben meine Eltern bei ihm angerufen, um zu fragen ob ich bei ihm und seiner Frau war, denn wir kannten sie nicht nur aus dem Restaurant, sondern auch persönlich. Wir waren schon oft bei ihnen zu Hause, und oft habe ich auch mit den kleinen Kindern gespielt. Ob sie jetzt seine Neffen oder Enkel waren wusste ich nicht. Italiener haben ja, wie man heute weiß, oft große Familien.

 „Stimmt, das habe ich ganz vergessen“. Massimo schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Schön das du wieder da bist. Wir haben dich hier alle sehr vermisst“ sagte er und schüttelte mir die Hand. Und ab da wusste ich: Meine Mutter muss es ihm erzählt haben. Normalerweise hätte er mich nämlich in den Arm genommen und mich geknuddelt, so wie er es auch bei Mama und Papa macht, aber heute war er ganz vorsichtig. Um ehrlich zu sein, war ich ganz froh darüber, mal einmal nicht erdrückt zu werden. 

„Und wegen den Plätzen, da macht euch mal keine Sorgen. Wir machen euch eine Tafel fertig.“ „Danke das ist echt super lieb von dir Massimo“, flüsterte ich schon fast. „Keine Ursache, das tue ich doch gerne für meine Stammgäste und guten Freunde“, gab er dafür umso lauter zurück und klatschte in die Hände. „Mustafa, sorge doch  bitte dafür, dass diese reizende Dame und ihre ganze Familie in 3 min sich an ihre Plätze setzen können. „Ai Ai Sir!“, kam es von Mustafa zurück und er musste lachen.. Ich musste auch einfach grinsen. Die beiden machen immer so viel Quatsch. „Soll ich etwas Außergewöhnliches für euch zaubern, oder soll es wie gewohnt die Pizza Toskana sein?“, fragte er nachdem wir all uns entschieden haben, wo und in welcher Reihenfolge wir uns hinsetzten. Ich saß neben meiner Mutter und meinem Vater und gegenüber von Celina und Christoph.  „Ja sicher aber bitte…“, weiter kam ich nicht denn Massimo unterbrach mich, „Mit extra viel Käse und Schinken. Kommt sofort“, lachte er. Er nahm noch die Bestellung  der anderen auf, grinste einmal in die Runde und verschwand dann in die Küche. Wenig später kam er dann aber schon mit Brot und Dipp wieder. „Das hätte ich ja beinahe vergessen“, lachte er und stellte es auf den Tisch. Meine Eltern lachten. Und dann fing das übliche Gerede an. Mein Vater quatschte noch ein bisschen mit Massimo und ich redete mit meinen Oma und Opa. Auf einmal kam ein lautes Krachen aus der Küche. Mustafa steckte den Kopf aus der Tür und rief zu Massimo herüber „ Alles Ok Chef, uns ist nur gerade die Mikrowelle fast geplatzt.“. Mustafa musste dabei echt anfangen zu lachen und wir alle lachten mit. „Ich gehe dann mal in die Küche, bevor die mir noch mein ganzes Restaurant abfackeln“, grinste Massimo. „Ihr entschuldigt mich.“ Und schon verschwand er in die Küche. 

Mit dir wird alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt