"Emilia!"
Das Rufen meines Namens holte mich zurück. Mit verschwommener Sicht sah ich mich um.
"Mila! Hörst du mich?", brüllte jemand meinen Spitznamen.
Verwirrt sah ich mich um. Jemand hielt mich an den Schultern und schüttelte mich. Erst nach und nach wurde mir bewusst, was passiert war. Unsicher versuchte ich mich aufzurichten. Ein stechender Schmerz an meinem Hinterkopf ließ mich zusammenzucken. Vorsichtig wanderte ich mit meiner Hand über die schmerzende Stelle. Schon bei der ersten Berührung zuckte ich von meiner eigenen Hand zurück. Als ich meine Hand betrachtete war sie voller Blut.
Mein Blick wanderte über das Geschehen um mich. Menschen rannten an uns vorbei und eine graue Staubwolke verhinderte eine weite Sicht. Das Fiepen in meinen Ohren hielt mich davon ab alles richtig zu verstehen, dass gerufen wurde.
Die Person die mich geschüttelt hatte, meinen Namen gerufen hatte und immer noch vor mir saß war Jan.
"Emilia?", sprach er mich wieder an.
"Was ist passiert?", fragte ich verwirrt.
"Es war keine Pyrotechnik", rief Simon der aufgebracht vor uns auf und ab lief, "Es sah nur erst so aus. Es war eine Bombe. Genau wie hier. Also steh auf, Mila. Wir verschwinden!"
Simon wollte mich hochreißen, aber Jan hielt ihn auf.
"Wir werden nicht gehen. Wir sind hier, um Menschen zu helfen und das werden wir jetzt tun!", befahl Jan, "Jetzt komm her. Wir müssen erst Emilie versorgen."
"Bist du lebensmüde?! JA, wir sind hier, um Menschen zu helfen. Aber der Eigenschutz geht vor. Was wenn da noch eine Bombe ist!", rief Simon aufgebracht. Seine Stimme wurde mit jedem Wort höher und panischer. Ich konnte ihn gut verstehe. Ich hatte die selbe Angst. Wir hätten sterben können.
"Emilia, du musst mir jetzt genau zuhören. Während ich deine Wunde versorge, gehen wir deine Symptome durch." Als wäre nichts passiert, zog Jan ganz ruhig den Rucksack zu sich, zog Handschuhe an und holte ein Verbandspäckchen heraus.
"Wie ist deine Sicht? Hast du das Gefühl, du kannst normal sehen?"
"Noch etwas verschwommen, aber es wird besser", gab ich noch etwas verwirrt zurück.
"Hast du Kopfschmerzen?"
"Ja."
"Ist die Übel?"
"Nein."
Wie eine Maschine ging er den Fragenkatalog durch.
"Ist dir schwindelig? Oder hast du ein Schwindelgefühl?"
"Nein."
"Irgendwo ein Taubheitsgefühl?"
"Nein und ich habe auch keine Lähmungen, Sprach- oder Schluckstörungen. Jan, lass uns helfen. Hier rumsitzen bringt nichts!", versuchte ich Jan von mir wegzuschaffen.
Die beiden Jungs halfen mir auf die Beine und wir traten aus unserer geschützten Position hinter der breiten Betonsäule hervor. Erschrocken schnappte ich nach Luft. Ich hätte niemals erwartet, dass mir so ein Bild einmal bevorstand. Schon gar nicht bei einem ehrenamtlichen Einsatz. Die Tränen schossen mir in die Augen. Meine zitternde Hand griff nach Jans Hand. Bestärkend drückte er sie.
Der Rauch hatte sich gelegt und vor mir erschien ein Bild, das so grausam, erschreckend und unvorstellbar war, das mir das Atmen schwer fiel.
"Ich kann das nicht", flüsterte Simon. Er bewegte sich keinen Millimeter. Er starrte bloß auf das Grauen, das sich vor uns ausbreitete.
"Du musst", antwortete Jan fast schon monoton, "Du nimmst jetzt das Funkgerät und holst jeden einzelnen verfügbaren Sani hier her, jeden Arzt, jeden RTW und was du sonst noch auftreiben kannst. Und sie sollen alle Materialien, alles Verbandszeug und alles was es nur so gibt mitbringen."
"Jan", murmelte ich. Keine Ahnung was ich fühlte, was ich fühlen sollte. Schock war das einzige, dass sich ausgebreitet hatte, zusammen mit einer inneren Kälte.
"Emilia, zieh dir Handschuhe an. Wir fangen jetzt an", fuhr Jan mich an.
"Aber wo sollen wir anfangen", flüsterte ich. Heiße Tränen flossen über mein kaltes, leeres Gesicht.
"Direkt vor uns", meinte Jan. Während er sich seine Handschuhe anzog schritt er nach vorne auf die erste Person zu. Den ersten Menschen, den er vor sich erkennen konnte.
Mit dem Rucksack in der Hand folgte ich Jan. Ich kniete neben ihm. Es bewegte ich alles in Zeitlupe. Wie eine Maschine folgte ich Jans Anweisungen, während er mit der verletzten Person sprach.
"Sie kommen nicht. Niemand wird kommen!", brüllte Simon panisch. Er riss mich aus meiner Trance mit seinen hektischen Bewegungen.
"Was?", fragte Jan verwirrt.
"Die Polizei hat alles gesperrt niemand kommt rein oder raus. Es darf niemand den Block betreten, bis nicht die ein Sprengkommando oder sonst irgendwer alles abgesichert hat. Sie wollen nicht noch mehr Verletzte oder sogar Tote", erklärte Simon noch panischer.
"Wissen die nicht, wie viele Menschen hier noch sterben werden, wenn uns niemand hilft?!", fragte Jan sprachlos.
"Was sollen wir jetzt machen?", wollte ich wissen, "Wir haben nicht genug Verbandspäckchen oder Handschuhe?!"
Nachdenklich sah Jan nach unten. Seufzend riss er sich die Handschuhe von den Händen und fuhr sich durch die Haare.
Er war der älteste von uns dreien und obwohl wir alle nur um die Anfang und Mitte zwanzig waren, konnten wir uns immer auf ihn verlassen. Er wusste immer, was zu tun war. Ich konnte nur beten zu wem oder was auch immer und hoffen, dass er auch dieses Mal wusste, was wir tun konnten. Wie wir diese gefühlt unmögliche Situation lösen konnten.
"OK", seufzte er erneut, "Wir machen es so. Emilia und ich fangen schon an mit der Behandlung wir versuchen so viele Menschen wie nur möglich zu behandeln. Und du, Simon, rennst zur Wache drei. Du holst alles, was du tragen kannst, Handschuhe in Größe M, Verbandpäckchen, Kompressen und Mullbinden. Schaff alles her, was du in die Finger kriegst."
"Was ist, wenn sie mich hier nicht mehr rein lassen?", fragte Simon besorgt.
"Dann wirst du ihnen sagen, dass sie dann das Todesurteil von mindestens fünfzehn Menschen zu verantworten haben und entweder lassen sie sich durch und uns die Materialien bringen oder du wirst dafür sorgen, dass sie wegen Mordes angeklagt werden", sagte Jan eiskalt, "Du musst Eier beweisen und egal, wie sehr sie dich einschüchtern, du musst uns die Sachen bringen und du musst weiter für uns Funken, wenn du wieder da bist. Ohne dich schaffen wir das hier nicht."
Mit jedem Wort wurde Jan leiser und leiser, was den Ernst der Lage nur noch mehr betonte.
*
"Jan", flüsterte ich, "Ich hab gelogen. Wir brauchen noch einen letzten RTW."
"Was meinst du?", fragte Jan mich erschlagen.
"Ich werde dir jetzt meine eigentlichen Symptome aufzählen. Schwindel, verschwommene Sicht, pochende Kopfschmerzen, Übelkeit, Sprachstörungen, mir fallen nicht alle Wörter ein und meine Finger kribbeln leicht, als würden sie taub werden."
"Mila!", flüsterte Jan betroffen und vorwurfsvoll zugleich.
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Der Anschlag *pausiert*
General FictionEs sollte ein ganz normaler Tag werden. Ein spannendes Fußballspiel zwischen der Eintracht und Schalke, während ich ehrenamtlich einen Dienst als Sanitätshelferin absolvieren würde. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, was ich an diesem Tag zu Ge...