Der Psychologe war gekommen und Jan hatte mich wirklich nicht alleine gelassen. Er hatte während der gesamten 45 minütigen Sitzung nicht ein Wort gesagt und hatte die ganze Zeit meine Hand gehalten. Eigentlich hatte der Psychologe mehr gesprochen als ich. Er hatte erklärt, warum er da war und auch erzählt was er schon alles wusste. Auch wenn ich immer noch der festen Überzeugung war, dass er sich niemals in mich hineinversetzen könnte und nie wirklich nachvollziehen könnte, was wir durchgemacht hatten. So würde ich die Therapie doch durchziehen. Weniger für mich, mehr für meine Familie, meine Freunde und Jan. Alle waren sie plötzlich so erleichtert, als es die Runde machte, dass ich mit einem Therapeuten reden würde.
Unter Tränen und mit stockender Stimme hatte ich von dem Anschlag erzählt. Vom rosa Nebel, aus menschlichen Überresten, der für Pyrotechnik gehalten wurde. Von meiner Bewusstlosigkeit und dann vom grausigen Erwachen. Als wir an dieser Säule vorbei schauten. Vor uns breitete sich ein Trümmerfeld aus Beton aus. Überall Staub in der Luft, der das Atmen schwer machte. Es war so still nach der Detonation. Ein paar winzige Sekunden schien es, als würde alles ganz friedlich sein. Alles war still und kein Laut drang an meine Ohren. Wahrscheinlich lag das noch an meiner Bewusstlosigkeit, aber das ignorierte ich. Und dann als der Staub sich legte, brach die Hölle los. Die Menschen schrieen, weinten, die die rennen konnten, rannten davon. Und mitten drin standen Simon, Jan und ich. Wir ignorierten die oberste Regel, den Eigenschutz. Während Simon Materialien holte, kletterten Jan und ich über Trümmer, schoben menschliche Körperteile beiseite und sprachen mit so vielen Menschen. Jeder der noch nach einem Menschen aussah wurde angesprochen, geschüttelt. Aber dann nach der Atemkontrolle mussten wir die harte Entscheidung treffen, was sollten wir tun. Vorgabe wäre es mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung zu beginnen, aber um uns herum waren noch so viele andere Menschen. Es fühlte sich so falsch an. Trotzdem krochen wir zur nächsten Person, in der Hoffnung hier helfen zu können.
Simon kam wieder. Zwar hatte er neues Verbandsmaterial dabei, aber er brachte auch die fürchterliche Nachricht. Niemand würde kommen, keiner würde uns helfen. Die Polizei hatte alles abgeriegelt, bis das SEK und die Bundeswehr eingetroffen war. Keiner durfte zu uns und die Rettungskräfte wurden zwar schon angefordert, aber durften nicht zu uns vordringen.
Wir waren so überfordert mit der gesamten Situation, trotzdem arbeiteten wir wie Maschinen einfach weiter. Ein Patient nach dem anderen. Eine Leiche nach der anderen. Wir hatten keine Zeit uns darüber Gedanken zu machen, ob alles stimmte was wir taten. Nur in seltenen Fällen schrieben wir ein Protokoll. Die Zeit lief uns davon. Und dabei bemerkte ich, wie meine Kopfschmerzen und das Schwindelgefühl immer schlimmer wurde. Ich wollte mir nichts anmerken lassen, aber Jan und Simon waren eh zu beschäftigt mit ihren eignen Tätigkeiten. Wir hatten uns aufgeteilt. Jeder behandelte eine eigene Person. Amputationen wurden verbunden, Platzwunden versorgt und Menschen irgendwie beruhigt.
Bei einem sogenannten MANV, einem Massenanfall von Verletzten, werden die Patienten in einem Punkte Schema einer Farbe Markiert, um den nachtreffenden Helfern zu signalisieren, mit welchen Patienten man sich als erstes befassen müsste und mit welchen man noch Zeit hätte, weil es nicht lebensbedrohlich ist. Nicht einmal dafür hatten wir Zeit. Wir hatten keine Punkte oder Zettel oder irgendetwas. Wenn wir die Zeit für ein Protokoll fanden, dann schrieben wir in die rechte obere Ecke über das Datum eine Farbe auf.
Simon konnte nicht damit umgehen. Irgendwann sah ich ihn, wie er an der Wand stand und sich übergab. Regungslos stand er einfach an der Wand. Er drehte sich nicht zu uns um. Mit der Stirn lehnte er an der kalten Betonwand. Das Zucken seiner Schultern ließ darauf schließen, dass er am Weinen war. Ich wollte zu ihm gehen, ihn umarmen. Ihm sagen, dass alles wieder gut werden würde. Aber dafür hätte ich über Leichen und Trümmer klettern müssen. Und gerade das zeigte mir, es würde nicht alles wieder gut werden. Für keinen von den Menschen hier.
Erst nach einer ewig langer Zeit kamen Polizisten und Soldaten zu uns. Jan meinte, es wäre nach etwa einer Stunde gewesen. Sie richteten ihre Waffen auf Jan, Simon und mich. Mit erhobenen Händen knieten wir zwischen den verletzten Menschen. Obwohl ich Angst hatte, weil wir angebrüllt wurden, mit gezückten Waffen auf unseren Köpfe gerichtet, so überströmte mich das erste Mal eine Welle der Erleichterung. Wir waren nicht mehr alleine.
Wir wurden kontrolliert und dann durften wir weiter machen. Das Trümmerfeld, das einmal die Westkurve war, wurde gesichert und dann wurden andere Rettungskräfte reingeführt. Erschöpft sah ich zu, wie ein Meer aus neonorangenen Rot Kreuz Helfern sich über die graue, staubige Trümmerlandschaft ausbreiteten. Einer nach dem anderen wurden die schwer verletzten Patienten in RTW's abtransportiert und konnten endlich in die umliegenden Krankenhäuser gebracht werden.
Nach einer Weile konnte ich mich aus meiner Schockstarre wieder lösen. Simon war verschwunden oder zumindest sah ich ihn nicht mehr, aber zusammen mit Jan unterstützten wir die Rettungskräfte, wo wir nur konnten. Unsere Materialen waren so gut wie aufgebraucht und auch unsere Kräfte schwankten.
Ärzte kamen dazu. Sie erklärten viele der Betroffenen für tot, denn das kann nur von einem Arzt gemacht werden. Weder Sanitätshelfer, noch Rettungssanitäter oder Notfallsanitäter, mit ihrer drei jährigen Ausbildung dürfen jemanden für tot erklären. Mit Tüchern wurden sie bedeckt.
Erst als auch der letzte Patient in einem RTW davon gefahren wurde und wir nur noch umgeben von Leichen unter weißen Lacken oder Rettungsdecken, da die Tücher ausgegangen waren, waren, gestand ich Jan von meinem eigentlich Zustand.
Ich stützte mich erschöpft an der Wand ab und brachte noch heraus, was mit mir nicht stimmte. Bevor ich mich erschöpft auf den Boden setzen musste.
Jan brüllte durch die Gegend, er versuchte so schnell es ging einen RTW zu organisieren oder irgendetwas, das mich so schnell wie nur möglich in ein Krankenhaus fahren würde.
Nur halb bekam ich mit, wie man mich auf eine Trage hob und mich in ein Auto schob. Jan wollte mitfahren, aber es wurde ihm nicht erlaubt. Er musste mit Simon und seinen eigenen Vorwürfen zurück bleiben. Soldaten nahmen ihre Daten auf, um sie später noch einmal zu befragen. Auch mir stand das ganze noch bevor.
Ich wusste nicht, wie oft ich diese Geschichte, diesen fürchterlichen Anschlag noch erzählen und damit wieder und wieder durchleben müsste, bevor endlich alle genug davon hatten.
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Der Anschlag *pausiert*
General FictionEs sollte ein ganz normaler Tag werden. Ein spannendes Fußballspiel zwischen der Eintracht und Schalke, während ich ehrenamtlich einen Dienst als Sanitätshelferin absolvieren würde. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, was ich an diesem Tag zu Ge...