"Du hättest sie nicht am Ende so anbrüllen sollen. Sie müssen diese Fragen stellen", versuchte Jan mit mir zu reden, als wir auf dem Weg zurück waren.
"Er hat es nicht verstanden. So viele Menschen sind gestorben. Und er denkt nur daran warum ich plötzlich im Rollstuhl sitze. Wie alle anderen. Man hört nur die Überlebenden, aber die Toten finden keine Worte mehr. Simon ist egal. Die Freunde und Familie von Adrian sind egal."
"Ich wurde nebenan befragt und konnte dich hören. Das war nicht ok. Ich weiß, du bist wütend, aber diese Polizisten konnten doch auch nichts dafür und das weißt du", seufzend sah Jan kurz zu mir rüber, "Hör endlich damit auf Menschen zu hassen und wütend auf sie zu sein, nur weil sie an dich und nicht an Tote denken. Du lebst! Simon, so schrecklich das ist, nicht. Es ist klar, dass die Menschen an dich und nicht an ihn denken. Aber deswegen ist sein Leben nicht weniger wert. Du machst es aber sicher nicht besser, in dem du jedes Mal jemanden anschreist und gemein wirst, nur weil man dich auf deine Gesundheit anspricht!"
Verletzt sah ich zu meinem Freund rüber. Er hatte recht, aber das wurde mir jetzt erst bewusst. Die Ärzte im Krankenhaus, mein Therapeut, ihn, Adrian und seine Freunde und eben die Polizisten. Ich hatte an so vielen Menschen meinen Frust über Simons Tod ausgelassen, dabei hatten sie sich immer nur sorgen um mich gemacht. Schuldbewusst lehnte ich mich zurück.
"Ich sollte mich wohl entschuldigen", murmelte ich vor mich hin.
"Bei wem genau?", hakte Jan nach.
"Bei dir, bei Adrian, bei seinen Freunden und vielleicht bei meinem Therapeuten", zuckte ich mit den Schultern.
"Das war eine fürchterliche Entschuldigung", lachte der junge Mann mich aus, "Aber ich nehme sie an. Ich weiß, du kannst das gerade nicht besser. Bei Adrian und seinen Leuten solltest du dir aber mehr Mühe geben."
"Ich werd's versuchen", grinste ich ihm zu.
"Dann überleg dir schnell was Gutes", murmelte Jan. Wir hatten angehalten und waren gerade auf dem Weg zu unserem Lieblingscafé. Wir hatten es gemeinsam nach dem Anschlag entdeckt und waren sehr häufig hier. Es war ein uriger kleiner Laden, der von einem älteren Ehepaar geführt wurde. Sie war ein absoluter Schatz und er ein grummeliger, alter Mann, der meistens hinter seiner Zeitung saß und beobachtete, was alle so trieben.
Ich verstand Jans Aussage nicht komplett, aber ließ mir nichts anmerken. Ich folgte ihm einfach in den Laden. Und dann begriff ich es sehr schnell. Im Café standen Adrian und Kira am Tresen und unterhielten sich lachend. Die Beiden hatten mich noch nicht gesehen. Am liebsten wäre ich wieder umgedreht, aber ich riss mich zusammen.
Jan nickte zu einem leeren Tisch, bevor er auf Adrian zuging. Freundlich begrüßte er die beiden und stellte sich Kira vor, bevor er für uns beide bestellte.
Mit unseren Getränken und den beiden jungen Ultras im Schlepptau kam Jan zu mir zurück. Entschuldigend lächelte ich den beiden zu. So gut es eben ging nahm ich all meinen Mut zusammen und presste schnell die Worte hervor, dir mir nur so schwer über die Lippen kommen wollten.
"Es tut mir sehr leid, was ich beim letzten Mal gesagt habe. Ich bereue nicht, euch geholfen zu haben. Ich würde nur gerne meinen Freund wieder bei mir haben", sagte ich so schnell es ging.
Kira, die sich neben mich gesetzt hatte, legte einen Arm um mich und drückte mich kurz an sich.
"Du musst dich doch dafür nicht entschuldigen. Wir verstehen das. Ruth war nicht nur Adrians sondern auch meine beste Freundin. Wir sind zusammen aufgewachsen. Wir hätten sie auch gerne zurück. Aber diese ganzen Was-wäre-wenn-Fragen bringen uns unsere Freunde leider nicht zurück", lächelte Kira mir ehrlich zu. Mit einem traurigen Blick legte sie ihre Hand auf die von Adrian, der nach unten auf seine Kaffeetasse sah. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, was gerade in seinem Kopf vorging. Keiner von uns war dafür bereit gewesen an so vielen Beerdigungen teilnehmen zu müssen. Und dann noch von Menschen in unserem Alter.
Adrian ergriff Kiras Hand. Kurz saßen wir stumm da. Jeder hing seinen eigenen Gedanken und Gefühlen nach.
"Hey, hättet ihr vielleicht Lust, mit uns ins Städel zu gehen? Adrian und ich schauen uns gerne die alten Meister an. Eigentlich wäre auch Chris dabei, aber er ist abgesprungen. Wir könnten seine Dauerkarte verwenden", durchbrach Kira die Stille aufgeregt. Mit leuchtenden Augen sprach sie von den alten Meistern und das es ja nichts besseres gäbe, als diese Werke.
"Ich muss leider nach Hause. Ich muss morgen Arbeiten, aber Mila würde euch bestimmt super gerne begleiten", redete Jan sich raus. Mit großen Augen sah ich ihn panisch an. Was sollte das?! Am liebsten hätte ich ihn angeschrieen, aber das ging schlecht.
"Oh, das wäre schön", überglücklich strahlte Kira mich an. Ich konnte ihr den Wunsch einfach nicht abschlagen. Natürlich war mir bewusst, dass sie nur unbedingt Zeit mit mir verbringen wollte, weil sie dachte ich hätte ihr und ihren Freunden das Leben gerettet. Aber ich nickte einfach nur.
"Oh wie schön!", aufgeregt klatschte Kira in die Hände, "Wir wollen mit der Bahn hin, ist das in Ordnung für dich?"
"Straßenbahn wird interessant, aber die normale Bahn klappt eigentlich sehr gut", zuckte ich mit den Schultern. Nicht das ich selbst schon ausprobiert hatte. Zumindest nicht viel. Nur beim Training mit Frieda zwei Mal. Sie hatte gesagt, ich müsste es für die Zukunft üben, um alleine klar zu kommen.
"Wir können dir ja helfen", meinte da Adrian freundlich und lächelte mir zu. Nickend sah ich zu ihm.
"Was habt ihr zwei denn heute schönes gemacht?", durchbrach Kira freudig die Stille. Sofort wand ich meinen Blick von Adrian ab. Unsicher sah ich zu Jan. Jetzt war er derjenige, der meine Hand versichernd ergriff.
"Wir haben unsere Aussagen bei der Polizei aufnehmen lassen", antwortete Jan seufzend, "Mila könnte also wirklich noch etwas aufbauendes an diesem Tag brauchen."
"Oh", entschuldigend sah Kira zwischen mir und Jan hin und her. Ich versuchte ihr zu versichern, dass alles gut war, aber ganz überzeugen konnte ich sie wohl nicht.
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Der Anschlag *pausiert*
General FictionEs sollte ein ganz normaler Tag werden. Ein spannendes Fußballspiel zwischen der Eintracht und Schalke, während ich ehrenamtlich einen Dienst als Sanitätshelferin absolvieren würde. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, was ich an diesem Tag zu Ge...