Kapitel 17

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"Was machst du eigentlich, abgesehen von bei den Ultras sein?", lenkte ich vom Thema ab.

"Ich habe gerade meinen Master in Wirtschaftsrecht abgeschlossen und werde bald nicht nur nebenbei, sondern auch fest bei Daimler arbeiten", erzählte Adrian stolz.

Erstaunt sah ich ihn an.

"Ja, ich weiß. Wirtschaftsrecht, bei den Ultras und dann noch ein Job bei Daimler.  Aber auch Ultras müssen irgendwo ihr Geld verdienen. Wir sind nicht alle Tattoowierer und leben mit Alkohol und Drogen in den nächsten Tag", lachte er mich aus.

"Das meinte ich eigentlich gar nicht. Ich habe Freunde, die auch Ultras sind. Einer von ihnen ist ein angehender Arzt, der andere hat Maschinenbau studiert. Mein Gedanke war dabei mehr, dass du nicht aussiehst, wie ein langweiliger Wirtschaftsjurist", zuckte ich mit den Schultern.

"Das nehme ich jetzt einfach mal als Kompliment an", grinste Adrian mir zu, "Was ist mit dir?"

"Ich bin gerade am Studieren. Kommunikation- und Medienwissenschaften", zuckte ich mit den Schultern, "Nächstes Jahr wäre mein Bachelor fällig, aber mal sehen. Ich habe mich für ein Semester beurlauben lassen. Meine Reha ist noch in vollem Gange und ja ich muss mich erst einmal mit der neuen Situation zurecht finden."

"Ich hätte irgendwie erwartete, dass du Medizin oder irgendetwas in diese Richtung machst mit einem Hobby, wie deinem."

Grinsend sah ich zu Adrian herüber. Wir hatten uns auf meine große Couch gesetzt. Oder zumindest der Ultra. Ich saß daneben. 

"Du hättest mit den meisten anderen Helfern damit auch recht gehabt, aber für mich ist es nur das, ein Hobby. Oder zumindest war es das", seufzend knetet ich meine Hände. Ich hatte mich immer noch nicht ganz damit abgefunden.

"Jan, hat uns erzählt, dass du denkst, du müsstest dein Hobby aufgeben. Aber gibt es nicht andere Sachen, die du noch immer machen kannst?"

"Unsere Arbeit bezieht sich so viel auf Menschen. Ich kann nicht laufen, nicht neben jemandem knien, niemanden tragen oder stützen. Natürlich kann ich weiter bei Blutspenden aushelfen, aber alle anderen Dienste in der Comba, bei Spielen, bei Marathonläufen, bei Konzerten oder nur die kleinen Dienste hier im Ort kann ich nicht mehr machen. Ich kann ja nicht einmal mehr mit den Autos fahren, geschweige denn hinten mitfahren, um einen Patienten zu versorgen. Für diese Arbeit bin ich nutzlos geworden. Mit einer anderen Helferin zusammen habe ich eine Jugendgruppe geleitet. Das kann ich noch weiter machen, aber ich weiß nicht, ob sie mich dafür noch brauchen. Wie kann ich ihnen richtige erste Hilfe beibringen, wenn ich selbst keine Reanimation mehr durchführen kann." Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und holte tief Luft. Ich liebte meine Arbeit, aber ich hatte auch nie erwartet, dass so eine Kleinigkeit wie meine Verletzung alles beenden könnte.

"Ich muss gestehen, dass es mir ähnlich geht. Nicht ganz so wie bei dir. Ich könnte mein Hobby noch weiter ausführen. Aber genau wie du, ich schaffe es einfach nicht ins Stadion zu gehen. Ich habe an diesem Tag so viele Freunde und Bekannte verloren. Darunter auch meine beste Freundin und ihren festen Freund. Also eigentlich halte ich mich nur selbst davon ab mein Hobby weiterzuführen. Ist das bei dir nicht ähnlich. Es würde sich bestimmt ein Weg finden, dass du trotzdem die Dienste machen kannst. Es wird anders sein. Aber so wird alles sein, was du jetzt anfängst", meinte Adrian. Er war näher zu mir gerückt und hielt meine Hand.

"Es tut mir unglaublich leid, dass du deine Freunde verloren hast", flüsterte ich eindringlich. Immer noch hielten wir uns an den Händen fest. Ich konnte meinen Blick nicht von seinen leidenden dunklen Augen abwenden.

"Deswegen denke ich, dass es richtig war, jedem zu versprechen, dass alles wieder gut werden würde. Der Gedanke, dass du meinen Freunden das gesagt hast, bevor sie gestorben sind. Der Gedanken, dass du ihnen damit die Angst genommen hast, beruhigt mich", sagte Adrian. Ein Kloß bildete sich in einem Hals. In kompletter Stille saßen wir da und sahen uns nur an. 

Ein lautes Klopfen ließ mich zusammen schrecken. Verwirrt öffnete ich die Tür und sah Jan davor stehen. Hektisch strich er seine Haare nach hinten und stürmte förmlich an mir vorbei.

"Meine Güte, Mila! Weißt du was für Sorgen wir uns gemacht haben. Niemand Zuhause, keiner konnte dich erreichen!", fuhr er mich an. Jan bekam nicht einmal mit, dass Adrian immer noch auf der Couch saß.

"Alles gut, ich bin erwachsen, ich war nur ein bisschen Spazieren. Mein Handy liegt in meinem Zimmer, ich habe es doch bloß vergessen", zuckte ich verständnislos mit den Schultern.

"Verstehst du gar nichts!", brüllte Jan jetzt, "Du hast versprochen mich nicht allein zu lassen und als du nicht Zuhause warst. Ich dachte einfach..."

Jan musste den Satz nicht beenden. Er konnte es auch gar nicht. Stürmisch hob er mich aus dem Rollstuhl, als würde ich nichts wiegen und umarmte mich feste. Um Halt zu finden umschlang ich ihn ebenfalls mit meinen Armen.

"Ich dachte, du hättest mich auch noch allein gelassen", flüsterte Jan stockend an meinem Ohr.

"Alles gut. Ich habe es versprochen. Es ist alles gut. Ich habe mich doch nur mit Adrian getroffen", gab ich genauso leise zurück. Fast augenblicklich ließ Jan mich zurück in meinen Rolli rutschen. Mit einem unbehaglichen Lächeln auf den Lippen winkte Adrian uns zu.

"Hey", meinte Jan geschockt. "Du hast ihn angerufen und nicht mich?", flüsterte Jan mir beleidigt hinter vorgehaltener Hand zu.

"Ich sollte vielleicht gehen", meinte Adrian, der sich in dieser Situation immer noch sichtlich unwohl fühlte.

"Nein, nein. Es tut mir leid. Freut mich dich wieder zu sehen", nickte Jan ihm zu. Entschuldigend hob er die Hände. "Versucht ihr, sie immer noch zu überzeugen mit ins Stadion zu kommen?"

"Wenn du das meinen Vater fragst, dann bin ich nur aus diesem Grund hier. Aber ich habe die selben Gefühle, wie Emilia. Ich würde niemanden zu etwas überreden, dass er oder sie nicht möchte."

"Du willst eigentlich auch nicht mehr ins Stadion", murmelte Jan. Es kam mehr als eine Aussage, als eine Frage raus. Adrian nickte nur, sah dabei aber mich und nicht Jan an. "Wir haben alle das selbe gesehen. Wir verstehen dich."

Der Anschlag *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt