Kapitel 25

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Kira war ein unglaublich aktiver und lauter Mensch. Vielleicht wollte sie damit meine Stille kompensieren, aber sie sprach ununterbrochen. Beinahe hüpfend lief sie neben mir her, als wir auf dem Weg zum Bahnsteig waren. Gerade außerhalb von Frankfurt waren es nur wenige Haltestellen, um ins Zentrum zu kommen, aber um am Mainufer zum Städel zu kommen, müssten wir definitiv die Straßenbahn nehmen. Mir graute es jetzt schon davor, falls wir eine alte Linie hätten. Mit den engen hohen Treppenstufen müsste man mich zu 100% in die Bahn tragen und ich wollte nicht so abhängig von Adrian und Kira sein, um einen einfachen Ausflug zu machen, den die beiden eigentlich ohne mich machen wollten.

"Ich kann verstehen, dass du so still bist. Ich war nach meiner polizeilichen Befragung auch komplett am Ende. Und ich bin weggerannt. Ich habe mich im Damenklo versteckt. Aber du - du hast alles gesehen und gehört. Ich will mir gar nicht ausmalen, was gerade in dir vorgeht", gestand Kira mir.

"Mir geht es gar nicht wirklich schlecht. Nur tut mir der Polizist leid. Ich habe ihn am Ende angebrüllt. Das war nicht ganz richtig", murmelte ich verlegen vor mich hin.

"Du bist definitiv zu meiner Heldin geworden", kicherte Kira, "Was machst du eigentlich momentan so den ganzen Tag?"

"Wenn ich das so genau wüsste", lachte ich.

"Adrian hat gesagt du studierst."

"Ja, normalerweise schon, aber ich habe dieses Semester auf Eis gelegt. Ich werde nächstes Semester weitermachen. Momentan verbringe ich meine Zeit also mit meiner Reha. Ich versuche ein bisschen weiter zu arbeiten, was mein Studium angeht, aber bin nicht so produktiv, wie ich es gerne wär", antwortete ich ehrlich.

"Ich habe eine Frage, wenn die zu privat ist, musst du sie nicht beantworten", fing Kira ganz vorsichtig an. Plötzlich konnte sie ganz ruhig reden. Als wäre es nichts schob sie mich in die Bahn und setzte sich neben mich auf einen leeren Platz. "Das mit dir und Jan. Was ist das?"

Kurz sah ich von ihr zu Adrian. Dieser durchbohrte seine Freundin gerade mit Todesblicken.

"Wir sind nur Freunde", meinte ich verständnislos.

"Aber ihr steht euch so nah", hakte Kira weiter, neugierig, nach. Kurz sah ich wieder zu Adrian, der jetzt aufmerksam meinen Worten lauschte und seine Freundin nicht mehr mit Blicken erdolchte.

"Um ganz ehrlich zu sein, vor dem Anschlag hatten wir nicht einmal wirklich Kontakt. Wir haben ab und zu zusammen Dienste, wie eben Eintrachtspiele, besetzt, aber wir haben uns nicht danach noch getroffen und zusammen etwas unternommen. Aber wir haben zusammen in Trümmern Menschen verarztet. Das hat uns zusammengeschweißt. Wir haben die selben Sachen gesehen. Wenn ich mit ihm rede, dann versteht er mich. Er kann nachvollziehen, warum ich nicht schlafen kann. Jan und ich helfen uns gegenseitig alles zu verarbeiten", gab ich ganz leise zur Antwort. Ich wollte nicht, dass irgendwer außer Kira und Adrian in dieser Bahn hörte, was ich gerade zugegeben hatte.

"Er ist also dein bester Freund?", bohrte Kira ungnädig weiter.

"Könnte man so sagen", seufzte ich, "Wobei ich ihn eher meinen Schutzengel nennen würde. Er sorgt dafür, dass ich bei normalem Verstand bleibe und mich nicht vor den nächsten Zug rolle. Ohne ihn würde ich nicht mehr leben."

Erschrocken sah Kira mich an.

"Aber du redest doch noch mit anderen oder?", fragte Adrian sanft nach. Auch er musterte mich besorgt. "Also ich meine mit einem Psychologen zum Beispiel?"

"Ja", lächelte ich, "Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Ich habe zwei Mal die Woche Therapiesitzungen. Es wird besser, aber ich denke euch geht es nicht anders. Wenn ihr die Augen schließt. Seht ihr da nicht eure Freunde, die ihr verloren habt oder die Explosion? Spürt ihr nicht, wie ihr durch diese Druckwelle getroffen werdet?"

"Doch, jedes Mal", schwer musste Adrain schlucken. Er hatte sich jetzt vor mich gehockt und meine Hände in seine genommen. "Aber ich kann einschlafen und du anscheinend nicht. Kira und ich sind nicht vom Fach und haben sicher nicht das selbe gesehen, wie du und Jan, aber du kannst jeder Zeit auch mit uns reden", versicherte er mir.

"Das ist wirklich lieb, aber ich bin in guten Händen", versuchte ich ihm zu versichern. Mit einem nervösem Blick zu Kira entzog ich Adrian meine Hände. Kira aber beobachtete uns nur lächelnd. Ihre Augen strahlten und das obwohl Adrians Hände immer noch auf meinen Knien lagen. Es musste unglaublich viel Vertrauen zwischen den beiden in ihrer Beziehung bestehen.

"Aber jetzt wollen wir nicht mehr über diesen schrecklichen Tag reden", stellte Kira energisch klar, "Wir werden jetzt ins Städel gehen und uns von den alten Meistern beruhigen und betören lassen."

"Macht ihr das regelmäßig?", fragte ich freundlich nach. Kira bekam es gar nicht mehr mit, weil sie schon aus der Bahn hopste, aber Adrian, der neben mir herlief.

"Für Kira sind die alten Meister ihr Jan. Sie versucht sich mit den Gemälden davon abzulenken, dass sie sich Vorwürfe macht, weil ihre Freunde gestorben sind und sie weggerannt ist", flüsterte Adrian mir schnell und leise zu. Ich hatte Kira wirklich überschätzt. Ich hatte sie für so stark und selbstbewusst gehalten. Als könnte ihr nichts und niemand etwas anhaben. Aber dabei war es genau andersherum. Jeder konnte ihr etwas anhaben und sie selbst war ihr größter Kritiker. Und ich mit meinen harschen Bemerkungen hatte auch noch indirekt gesagt, ich hätte ihre Freunde gerne genauso zurückgelassen, wie sie es getan hatte. Am liebsten hätte ich mich dafür geohrfeigt. Ich sollte wirklich mehr auf meine Wortwahl achten und nicht immer jedem ins Gesicht brüllen.

"Redet sie mit jemandem anderem als dir darüber", fragte ich ganz leise zurück. Kira hatte noch nicht mitbekommen, dass wir einige Meter hinter ihr über sie redeten. Wahrscheinlich war es auch ganz gut. So machte sie Platz für mich, denn wirklich jeder machte Platz für das aufgeregt hopsende Mädchen.

"Sie geht auch zu einem Therapeuten genau wie du und eigentlich wir alle. Ich glaube Holger und mein Vater sind die einzigen, die sich gegen professionelle Hilfe wehren."

"Wieso gehst du zu einem Therapeuten, wenn ich fragen darf? Ich weiß, du warst eigentlich augenblicklich bewusstlos." Sofort bereute ich meine Frage. Er hatte Freunde verloren, natürlich stand ihm eine Behandlung zu. Sogar wenn nicht, würde es mich nichts, wirklich nichts angehen!

"Schon ok. Ja, du hast recht. Ich war bewusstlos, aber ich habe alles gehört. Die Schreie, das Weinen, das Fluchen von Jan, die Schüsse, das Gebrüll der Soldaten und natürlich deine Stimme", seine Stimme wurde ganz weich bei der letzten Beschreibung. "Du warst gerade bei mir in der Nähe gewesen, als die Soldaten kamen. Zumindest kam es mir so vor. Ich habe dich weinen gehört. Da wusste ich, dass jetzt wirklich alles gut wird. Aber ich bekomme die Schreie nicht aus meinem Kopf und die Schüsse."

"Das tut mir leid", meinte ich aufrichtig und sah entschuldigend zu ihm rüber.

Der Anschlag *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt