Zusammen mit Jan saß ich in der Unterkunft unserer Ortsvereinigung vom Roten Kreuz. Es war kein normales wöchentliches Treffen, sondern die Aufarbeitung vom Anschlag, sowie das weitere Vorgehen bei zukünftigen Diensten und Gott behüte bei zukünftigen Anschlägen.
Ich wollte nicht hören, was wir hätten anders machen können, trotzdem war es wichtig, dass ich hier war. Immer wieder sahen die anderen mit flüchtigen Blicken zu uns herüber. Jede unserer Emotionen wurde aufgesaugt, als wäre wir ein Film. Als wäre das alles gar nicht ernst zu nehmen, da es in der Realität nie stattgefunden hatte.
Jan merkte, wie ich mich immer mehr neben ihm anspannte.
Unmerklich schüttelte er nur den Kopf.
Anja erzählte gerade, wie wichtig es war, dass man auf seine eigene Sicherheit achtete. Der Eigenschutz sollte immer vor gehen. Ich war das perfekte Beispiel, was im schlimmsten Fall passieren konnte, wenn man diese Regel missachtete.
Na ja, ich - und Simon. Bei ihm war es psychisch und bei mir physisch.
"Wir haben mit Mila und Jan über ihr Vorgehen gesprochen und möchten euch jetzt kurz etwas dazu sagen. Alles was die Beiden zusammen mit Simon geleistet haben, war komplett richtig. Es gibt in solchen Situationen kein falsches Handeln. Wenn sie weggelaufen wären, sich versteckt hätten, wäre das auch die richtige Lösung gewesen. Ihr müsst nach eurem eigenen Ermessen handeln. Wenn ihr euch etwas nicht zutraut, dann lasst ihr es. Versucht alles zu tun, was wir euch beigebracht haben, wenn es die Situation, in Betracht auf eure eigene Sicherheit, zulässt", sagte Karsten gerade abschließend mit seiner bekannten ruhigen, tiefen Stimme.
Es war nicht annähernd die Zeit, um den Abend zu beenden, aber anscheinend gab es keine weiteren Themen. Jan und ich wollten schon gehen, aber da wurden wir aufgehalten. Anja stand vor uns. Wie damals in der Klink sah sie nervös zwischen uns hin und her und war sehr angespannt.
"Ich weiß, wahrscheinlich wurdet ihr das auch noch einmal darauf angesprochen, aber es wäre wirklich wichtig, wenn ihr es schaffen könntet zum Gedenkspiel der Eintracht zu kommen."
"Wieso will uns eigentlich jeder an diesen Ort zurückbringen? Ist es euch scheiß egal, was wir dort durchgemacht haben? Keiner von uns will jemals wieder dort hin. Könnt ihr das bitte endlich wieder einsehen. Simon ist gestorben, Mila wäre es fast und wir kommen alle immer noch nicht mit dem gesehenen und erlebten zurecht", fuhr Jan unsere Bereitschaftsleitung an, "Sucht euch irgendwen anders, der in dieses Höllenloch zurück geht und dort Dienste macht. Mila und ich werden das nie wieder tun!"
Mit verkniffener Miene musterte Anja uns beide, aber von mir würde sie keine andere Antwort bekommen. Schnell wand ich meinen Blick ab und musste feststellen, dass alle anderen uns noch zugehört hatten. Ich konnte Angst in den Blicken der anderen Rotkreuzler sehen. Wahrscheinlich wollte niemand mehr jemals einen Dienst im Stadion machen und Anja hatte nur versucht unsere Meinung zu ändern, damit jemals irgendwer wieder dort einen Dienst übernehmen würde. Aber wenn wir es nicht tun würden, dann würde es auch keiner der anderen tun.
Entschuldigend sah ich die beiden Mitglieder der Bereitschaftsleitung an, sagte aber nichts mehr zu dem Thema.
Zusammen mit Jan schob ich mich an Anja und Karsten vorbei.
"Was hast du morgen so vor?", wollte Jan von mir wissen, als wir endlich draußen an der Straße waren. Er würde mich wieder nach Hause bringen.
"Ich habe mal wieder einen Termin mit meinem Psychologen. Er meint, wir stehen kurz vor einem Durchbruch. Und du?", antwortete ich ruhig. Die frische Luft beruhigte meine gereizten Nerven.
"Ich kann dich hinbringen und wieder abholen, habe nichts zu tun", meinte der junge Mann Schulter zuckend.
"Du weißt, du musst dich nicht so viel um mich kümmern", meinte ich ganz leise. Ich hatte das Gefühl, Jan gab sich die Schuld am Tod von Simon und wollte jetzt alles daran setzen, um mich zu beschützen. Aber er musste lernen, dass er nicht immer da sein konnte und das es mir soweit wieder gut ging, dass ich nicht den selben Weg Simon einschlagen würde.
"Müssen nicht, aber wollen. Schon allein, weil du verstehst, was wir durchgemacht haben, was wir gesehen haben. Ich mache das mehr für mich selbst, als für dich", gestand mir der junge Mann.
"Aber du gehst doch selbst auch zu einem Psychologen. Ich dachte, das würde helfen?"
"Er hat die Dinge nicht gesehen. Ich muss ihm alles erzählen und meine Gefühle beschreiben. Bei dir muss ich das nicht. Du weißt, was in mir vorgeht. Ich muss meine Gedanken nicht erklären, weil du die selben hast. Es macht es einfacher", meinte Jan Schulter zuckend.
"Allerdings kann ich dir nicht weiter helfen. Der Psychologe schon. Du hast mich damals dazu gedrängt zu meinem zu gehen. Also solltest du auch zu deinem gehen und das ganze ernst nehmen", versuchte ich ihm klar zu machen.
Natürlich wollte ich ihm helfen, aber nicht nur, dass ich meine eigenen Probleme hatte, auch fehlte mir die Ausbildung und Qualifizierung. Jeder sollte sich die Hilfe suchen, die er brauchte. Aber dafür brauchte man auch die richtigen Menschen. Freunde oder die Familie konnten nicht immer helfen.
"Glaub mir, das tue ich. Wir werden das beide schaffen. Irgendwann werden wir normal schlafen können", flüsterte Jan mir zu. Liebevoll gab er mir einen Kuss auf die Stirn. Ich versuchte zu verbergen, wie sehr mich diese kleine Geste rührte, aber das Wasser, das sich in meinen Augen sammelte, verriet mich. Wir hatten noch einen weiten Weg vor uns.
Schweigend fuhr Jan mich zu mir nach Hause. Wir brauchten in diesem Moment keine Worte, um uns einig zu sein.
Als ich gerade in meiner Wohnung verschwinden wollte, hielt Jan mich doch noch auf. Aus seinem Auto heraus sah er mich ernst an.
"Mila!", rief er mir zu.
"Hm?", verwundert sah ich zu meinem Freund herüber.
"Tu mir einen Gefallen. Stoß ihn nicht weg. Er ist ein Guter Typ. Er wird dir helfen, wenn du ihn lässt."
Ich nickte Jan nur stumm zu. Natürlich wusste ich, dass er Adrian meinte. Und wahrscheinlich hatte er auch recht, aber ich war nicht bereit dazu, mir mein Herz brechen zu lassen. Adrian hatte eine Freundin und dem würde ich niemals im Weg stehen.
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Der Anschlag *pausiert*
General FictionEs sollte ein ganz normaler Tag werden. Ein spannendes Fußballspiel zwischen der Eintracht und Schalke, während ich ehrenamtlich einen Dienst als Sanitätshelferin absolvieren würde. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, was ich an diesem Tag zu Ge...