Meine Eltern hatten mich allein gelassen, aber der Fernseher lief noch. In einer Dauerbeschallung wurde mir stündlich neu erzählt, was passiert war, wie viele Menschen gestorben waren und jedes noch so kleine Detail über neue Hinweise, denen der Polizei auf der Spur war.
Irgendwann war ich eingeschlafen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber als ich wieder wach wurde, waren mehrere Menschen in meinem Zimmer.
Ich hörte meine beste Freundin Ida und ihren festen Freund Markus, sowie Jan, meinen engen Freund Felix und meine andere beste Freundin Trine. Ich wusste nicht, wie sie es geschafft hatten, dass sie alle hier sein durften, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass es erlaubt war so viele Besucher auf der Intensivstation in einem Zimmer zu haben.
"Das ist Blödsinn!", riss mich Trines aufgebrachte Stimme aus dem Schlaf.
"Nein ist es nicht. Die Männer wurden geschnappt. Es waren so scheiß Islamisten. Die sind für das alles hier verantwortlich", hielt Jan dagegen.
"Ihre Religion hat nichts damit zu tun. Und wenn Mila jetzt wach wäre, würde sie dich dafür schlagen, dass du alles auf den Glauben abschiebst!", zischte Ida meinem Teamkollegen wütend entgegen.
"Ach und du denkst, dass sie nicht sauer ist, weil sie hier in diesem Bett liegt?", fragte Jan, "Die Ärzte sind sich zwar sicher, dass sie wieder wach wird, aber sind der festen Überzeugung, das die Schäden davon tragen wird. Sie wird vielleicht nie wieder normal sprechen können oder blind wieder wach werden. Vielleicht wird ihr Gehirn auch komplettes gekochtes Gemüse sein und sie wird nichts wieder erlernen können. Weiterhin Nahrung über einen Schlauch erhalten und hoffen, dass sie irgendwann an ihrer eigenen Spucke erstickt!"
"Wie kannst du sowas sagen! Natürlich wird sie nicht glücklich sein. Keiner von uns ist das. Aber du kannst nicht anfangen hier einen Glauben für alles verantwortlich zu machen. Die Kreuzritter haben sich auch auf die Bibel gestützt. Sind deswegen alle Christen schuldig an den Taten weniger Menschen?!", brüllte jetzt Felix dazwischen. Er liebte es zu diskutieren.
"Ist das jetzt wirklich wichtig?", fragte Markus leise, "Mila liegt hier und kämpft darum wach zu werden. Und ihr müsst euch wirklich um die Religion der Männer streiten, die sie hier her gebracht haben? Hilft ihr das? Hilft es ihr zu wissen, ob er jetzt Muslim, Christ, Hindu, Buddhist oder sonst was war? Welche Hautfarbe die Männer hatten. Sind wir wirklich so tief gesunken, dass wir Menschen nur noch danach beurteilen, sobald sie etwas fürchterliches getan haben?"
"Sie brauchen eine Antwort", ertönte meine raue Stimme.
Schreiend sprangen meine Freunde von mir weg.
"Sie müssen sich irgendwie erklären, warum diese Männer das getan haben und das naheliegenste ist, dass sie in einem verblendeten Glauben handeln", flüsterte ich mit brüchiger Stimme.
"Holt einen Arzt", rief Trine, "Holt sofort irgendwen!"
"Ich hole einen!", meinte Markus. Ich hörte, wie eine Tür auf gemacht und kurz darauf knallend ins Schloss fiel.
Ich hatte meine Augen noch nicht geöffnet. Ich wusste, was ich für Folgeschäden haben könnte. Sprechen war schon einmal nicht das Problem, aber ich hatte Angst davor meine Augen zu öffnen und nichts mehr zu sehen.
"Wenn die Religion nicht Schuld am Handeln ist, dann bedeutet das, dass ganz normale Menschen so etwas schreckliches tun können. Das jeder zu so etwas im Stande wäre. Auch einer von uns", flüsterte ich weiter. Nach und nach wurde meine Stimme besser.
"Ich hole deine Eltern", meinte Trine und wieder ging eine Tür auf und schloss sich wieder.
Niemand traute sich etwas zu sagen, aber als die Ärzte rein kamen wurde plötzlich alles ganz hektisch. Ängstlich presste ich meine Augen ganz fest zusammen. Ich wollte sie nicht öffnen. Ich wollte keine Tests machen und herausfinden, was noch alles nicht mit mir stimmte.
Die Ärzte schickten alle raus und warteten, bis meine Eltern endlich da waren.
"Mila", flüsterte meine Mutter. Ich konnte ihrer Stimme entnehmen, dass sie nicht so ganz darauf vertraute, dass ich wirklich wach war. Das sie nicht gerade träumte.
*
"Was denkt ihr, was sie dadrinnen machen?", flüsterte Ida. Zusammen mit den anderen saß sie vor Emilias Zimmer. Ängstlich hatte sie sich an ihren Freund geklammert, um irgendeine Art von Halt zu bekommen. Mehr emotionalen, als wirklich physischen Halt.
"Sie werden sie untersuchen", meinte Jan trocken. Er war erst gerade wieder zu den Freunden dazu gestoßen.
"Wo warst du?", fragte Trine kritisch. Sie verstand, warum Jan sich so schuldig fühlte und Tag und Nacht anwesend war, aber das er jetzt in einer so unglaublichen Situation einfach verschwand, konnte sie nicht nachvollziehen.
"Ich habe telefoniert. Der ganze OV, sowie viele Leute aus dem Stadion warten auf Neuigkeiten. Außerdem stehe ich seit dem Anschlag auch in Kontakt mit ihren anderen Freunden. Denen von der Uni und ihrem FSJ. Sie wollten alle wissen, wenn es etwas neues gibt. Und ich denke uns ist allen klar, dass es schon einmal eine riesige Neuigkeit ist, dass sie überhaupt wieder wach geworden ist", erklärte Jan. Keiner von Emilias Freunden verstand, warum sie so gerne Dienste mit diesem Mann machte. Er war so kalt und schwer zu deuten, aber Emilia hatte ihn immer in den höchsten Tönen gelobt.
"Sag doch sowas nicht", flüsterte Ida entsetzt.
"Ida, du bist ausgebildeten Krankenpflegerin. Du arbeitest auf der Intensivstation in Bad Soden. Als ob du nicht am Besten weißt, was Hirnblutungen für Folgen haben können. Es ist ein Wunder, dass sie wieder wach wurde und das sie eben so normal mit uns reden konnte!", hielt Jan wieder einmal mit schlüssigen, aber harten Argumenten dagegen.
"Halt einfach die Klappe. Du bist ein fürchterlicher Eisklotz!", zischte Trine, den jungen Mann an.
"Nein, ich bin pragmatisch und das solltet ihr auch sein. Stellt euch der Wahrheit. Seid froh das sie wach ist, aber erwartet nicht zu viel. Wenn wir da wieder rein dürfen, werden die Ärzte wissen was los ist und Emilia auch. Findet euch lieber jetzt schon damit ab, dass wir gleich nicht mehr mit der alten Emilia reden werden. Sie könnte Lähmungen haben, eine geistige Beeinträchtigung, Wortfindungsstörungen. Das Risiko auf Schlaganfälle wird gesteigert und damit auf weitere Hirnblutungen. Ich wiederhole mich, aber findet euch damit ab! Das alles ist noch nicht überstanden, nur weil sie wach ist!"
Ein Schrei drang aus Emilias Zimmer und ließ ihren Freunden das Blut in den Adern gefrieren.
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Der Anschlag *pausiert*
General FictionEs sollte ein ganz normaler Tag werden. Ein spannendes Fußballspiel zwischen der Eintracht und Schalke, während ich ehrenamtlich einen Dienst als Sanitätshelferin absolvieren würde. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, was ich an diesem Tag zu Ge...