Kapitel 18

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Meine Mutter war fast durchgedreht, als ich zusammen mit Jan abends wieder nach Hause gekommen war. Sie hatte ebenfalls gedacht, dass ich mir etwas angetan hätte. Aber nach einem langen Gespräch mit ihr, kam die Entscheidung auf, dass es so nicht bleiben konnte. Das ich mein eigenes Leben brauchte. Jan wollte zusammen mit seinem und meinem Vater die Stufen vor meiner Wohnung entfernen, so dass ich wieder alleine Leben konnte.

Einer der Vorteile, wenn das Haus, in dem man zur Miete wohnt, den Großeltern gehört, man darf alles so umbauen, wie man es braucht und möchte. Damit wurde nämlich nicht nur der Eingangsbereich geebnet, sondern auch drinnen umgebaut. Das Bad wurde Rollstuhlgerecht umgebaut, mit einer ebenen breiten Dusche, ein höhenverstellbares Waschbecken wurde eingebaut und es wurden neue Möbel angeschafft oder von Freunden geschenkt, die für meine neue Größe passend waren, so dass ich alles erreichen konnte. Auch in meinem normalen Wohnbereich des Einzimmerappartements veränderte sich einiges. Alle Teppiche verschwanden, Möbel wurden neu eingeräumt, so dass die unnützen Sachen weiter oben waren und nicht ganz unten, wie vorher. Außerdem organisierte ich meine Küchenzeile zusammen mit meiner Mutter neu. Von Handwerkern wurde die Kücheninsel niedriger gebaut und die Hängeschränke komplett abmontiert. Alles wurde auf meine Höhe zugeschnitten.

In nicht einmal einer Woche hatten wir diese ganzen Umbauarbeiten geschaffte und das alles nur durch die Tatkräftige Unterstützung so vieler Freunde und Verwandter. Ich hätte nicht dankbarerer sein können. Das war der erste Schritt, um mich wieder wie ein normaler Mensch zu fühlen und weniger, wie ein hilfloser Sozialfall, der bei allem Unterstützung und Hilfe brauchte. Natürlich würde ich immer bei irgendetwas Hilfe brauchen, aber nicht mehr in meiner eigenen Wohnung.

Mein klingelndes Handy ließ mich erleichtert aufatmen. Befreit legte ich mein Buch zur Seite. Der Text, den ich für die Uni am Lesen war, um mich vorzubereiten für nächstes Semester, war mehr als anstrengend. Das Klingeln hatte mich gerade davor gerettet meinen Kopf gegen die nächst beste Wand zu schlagen.

"Was hast du heute vor?", fragte Adrian sofort, nachdem ich abgehoben hatte.

"Noch nichts, warum?", fragte ich grinsend.

"Fantastisch. Ich bin in einer viertel Stunde vor deiner Tür und hol dich ab. Zieh dir was bequemes an."

Ich hörte, das er am Lächeln war, während er sprach. Aber noch bevor ich ihn fragen konnte, was er denn vorhatte, hatte er schon aufgelegt. Etwas bequemes anziehen? Was sollte das denn bitteschön bequeme Kleidung bedeuten? Sollte ich leichte Sportkleidung tragen oder einfach nur Sachen in denen ich mich unbeschwert bewegen könnte? Ich saß in einem verdammten Rollstuhl, die unter Hälfte meines Körpers konnte nicht mal mehr zwischen bequem und unbequem unterscheiden! Unentschlossen sah ich an mir runter. Dunkle Jeans, ein weißes T-Shirt und ein graues Strickjäckchen. Alles ziemlich einfach ohne viel Farbe oder Muster. Es fühlte sich bequem an, also warum es ändern? Schulter zuckend begab ich mich noch ein letztes Mal ins Bad. Im Spiegel betrachtete ich mich selbst. Meine hell braunen fast Blonden glatten Haare hingen gerade an meinem Gesicht herunter. Diese grau-blauen Augen, die sich anscheinend nicht für eine Farbe entscheiden konnten, trugen immer noch einen verwaschenen Effekt der Trauer in sich. Dieses Gefühl wurde nur noch verstärkt durch meine blasse Haut, die deutlich zeigte, dass ich seit einer ganzen Weile keine Sonne mehr gesehen hatte.

Die Klingel riss mich aus meinen Gedanken. Grinsend konnte ich Adrian sehen, der vor der Glastür stand und aufgeregt auf mich wartete.

"Hey!", begrüßte er mich überschwänglich und zog mich in eine feste Umarmung, "Du siehst toll aus." Lächelnd sah er auf mich herab.

"Was hast du denn mit mir vor?", wollte ich neugierig wissen.

"Oh, das ist eine kleine Überraschung. Lässt du dich darauf ein?", fragte der junge Mann herausfordernd. Ein verschmitztes Grinsen lag auf seinen Lippen. Adrian hielt mir seine ausgestreckte Hand entgegen, als wolle er mich mit sich ziehen.

Kopf schüttelnd, aber grinsend griff ich nach seiner Hand. Sofort wurde das Lächeln auf Adrians Gesicht noch breiter, als er mich zu seinem Wagen schob. Dieses Mal versuchte er nicht mich ins Auto zu heben, sondern wartete geduldig, bis ich mich selbst ins Auto gehoben hatte. Dann packte er meinen Rolli auf die Rückbank und kam zur Fahrerseite.

Aufmerksam beobachtete ich die Straßen, an denen wir vorbei kamen. Immer näher kamen wir Frankfurt. Nervös sah ich zu Adrian herüber. Ganz entspannt saß er hinter dem Lenkrad und bewegte seine Lippen passend zum Lied Snow, das gerade im Radio lief. In mir kam ein unwohles Gefühl auf, dass er mich zum Stadion bringen würde.

"Adrian, wo fahren wir hin!", fragte ich ernst. Jegliche Unbeschwertheit war aus mir verschwunden. Mit gerunzelter Stirn drehte Adrian sich schnell zu mir, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. Aber dieser kurze Blick hatte wohl gereicht, um meine Angst zu sehen.

"Mach dir keine Gedanken, ich bringe dich nicht zum Stadion. Das habe ich doch auch Jan gesagt, ich würde niemals jemanden zu etwas zwingen, das er oder sie nicht will!", beruhigte Adrian mich. Oder zumindest versuchte er es, aber dieses Gefühl in meiner Magengrube verschwand einfach nicht.

Und dann hielten wir an. Wir parkten vor einer schäbig aussehenden Bar. Aufgeregt half Adrian mir aus dem Auto und schob mich auf den Pub zu.

"Was ist das?", fragte ich verwirrt. Ich versuchte zu verbergen, wie angewidert ich von dem äußeren Erscheinungsbild war. Trotzdem kräuselte sich meine Nase, bei dem Gedanken dort rein zu gehen.

"Das ist die Bar von Holger und Sibille. Ein bisschen das Hauptquartier der UF97. Warte kurz hier", erklärte Adrian. Er wirkte fast, wie ein fünf jähriger, der gleich seine Geburtstagsgeschenke öffnen dürfte. Schnell lief er die schmale, hohe Treppe zur Tür auf. Nur nach wenigen Augenblicken kam er wieder zurück. Im Schlepptau hatte er einen anderen jungen Mann.

"Hey, ich bin Christian, aber du kannst mich Chris nennen", stellte er sich vor. Kurze blonde Haare, die ordentlich gegelt waren mit einem Seitscheitel, grüne stechende Augen, schmaler Mund und eine gerade Nase. Er sah mehr, wie ein Anwaltssohn, als wie ein Ultra, aus.

"Emilia, aber nenn mich Mila", schüttelte ich seine ausgestreckte Hand.

"Mila, also", grinste er mich an und zeigte dabei perfekte weiße Zähne, "Adrian, hat nicht aufgehört von dir zu reden." Neckisch stieß Chris gegen die Schulter seines Freundes, der allen Ernstes rot anlief.

"Halt einfach die Klappe", murmelte Adrian peinlich berührt, "Ich dachte es wäre einfach, wenn er deinen Rollstuhl nimmt und ich dich reintrage, wenn das für dich in Ordnung wäre?"

Grinsend nickte ich.

Der Anschlag *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt