Kapitel 23

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Nervös saß ich im Wartebereich auf der Polizeistation. Aufgeregt faltete ich meine schwitzigen Hände in meinem Schoß. Jan saß neben mir. Er war genauso nervös, wie ich. Zwar hatte der Mann neben mir seiner Aussage schon gemacht, aber er wollte mich nicht alleine lassen. Ich war ihm sehr dankbar, dass er mich so tun ließ, als wäre er nur hier, weil er es wollte. Dabei wäre ich niemals auch nur in die Nähe der Polizeistation gekommen, wenn Jan nicht neben mir wäre.

Noch einmal darüber reden zu müssen, was ich gesehen hatte und was passiert war. Nur der Gedanke daran drehte mir schon den Magen um.

"Sie können dann mitkommen", meinte eine junge Polizistin, die vor uns auftauchte. Sofort stand Jan auf und wollte mich schieben, aber wir wurden aufgehalten.

"Es tut mir sehr leid, aber wir müssen die Aussage von Frau-", fing sie an.

"Nur Emilia bitte", unterbrach ich die Polizistin. 

"Na gut. Wir müssen die Aussage von Emilia alleine aufnehmen. Es tut mir leid, aber Sie müssen leider draußen warten", erklärte die junge Frau freundlich, aber entschuldigend.

Nervös sah ich zu Jan, nickte ihm aber zustimmend zu, bevor ich der Polizistin folgte.

Ich konnte die beiden Polizistin, die vor mir saßen nicht ansehen. Mein Blick war starr auf meine Hände gerichtet, die zitternd auf meinen bewegungsunfähigen Oberschenkeln lagen.

"Emilia", riss mich die sanfte Stimme der Polizistin aus dem Strudel der Gedanken in meinem Kopf. "Fang doch einfach damit an, an was du dich als erstes erinnern kannst."

Ich atmete tief ein und aus, um mich zu beruhigen, bevor ich weiter machen konnte.

"Ich wurde durch die Explosionswelle an die Wand gedrückt und war bewusstlos. Ich kam wieder zu Bewusstsein durch Jans Stimme. Er hat mich gerufen. Er und Simon haben mich durchgecheckt, aber ich habe gelogen. Mir ging es nicht gut", flüsterte ich mit gebrochener Stimme.

"War da noch etwas davor?", fragte der männliche Kollege, der Polizistin, vorsichtig.

"Die erste Explosion ging im Ultra-Block der gegnerischen Mannschaft hoch. Wir sahen nur rosa Nebel und Simon hatte über Funk gehört, dass es Pyrotechnik gewesen wäre. Alle dachten es wäre nur Pyrotechnik, aber es waren Menschen. Zerfetzte Menschen", brachte ich mit rauer Stimme hervor. Obwohl ich es schon ein paar Mal gesagt hatte, sammelten sich wieder Tränen in meinen Augenwinkeln.

Nickend zeigte der Polizist mir an, dass ich weitersprechen sollte. Obwohl alles aufgezeichnet wurde, so machte er sich auch Notizen.

"Simon, Jan und ich sind in unseren Block gelaufen. Aber das war nicht mehr der Block. Es war ein Trümmerfeld aus Beton und Menschen oder eben Menschenteilen. In der Mitte der Detonation waren keine Menschen mehr. Dann drumherum nur Menschenteile und erst am Rand lagen wieder Menschen."

Tief holte ich Luft. Ich wollte stark bleiben, aber die Tränen liefen mir schon über die Wangen.

"Was habt ihr gemacht, nachdem ihr gesehen habt, was passiert ist."

"Wir waren uns nicht einig", ein Schluchzen entkam meinen Lippen,"Simon wollte gehen, aber Jan hat gesagt, wir müssen helfen. Es war die richtige Entscheidung." Den letzten Satz sagte ich mehr zu mir, als zu den Polizisten.

"Wie ging es weiter?", fragte der Polizist wieder nach.

"Wir haben die Verletzten gesichtet. Die ersten müssen immer als erstes Sortieren. Wer braucht sofort Hilfe, wer erst später. Simon hat versucht über Funk andere Sanitäter, Rettungsdienste oder Ärzte zu holen, aber es kam niemand. Sie durften nicht oder wollten nicht", murmelte ich. Meine leise, gebrochene Stimme war das einzige Geräusch, das den kahlen Raum erfüllte.

"Auch als wir fertig waren, mit der Sichtung kam niemand. Die einzige Aufforderung die wir hatten war, dass wir wieder rauskommen sollten. Aber dann wären doch so viele Menschen gestorben." Es war das erste Mal, dass ich meinen Blick von meinen Händen zum Polizisten wandern ließ. Ich sah ihm direkt in die Augen, als erwartete ich von diesem Mann, warum uns niemand helfen wollte oder konnte. Warum ihnen diese Verletzten so egal waren. Aber wir wussten beide, dass keiner darauf eine Antwort hatte.

Kopfschüttelnd schaute ich wieder nach unten.

"Wir hatten nicht genug Material, also mussten wir Simon losschicken. Er musste zur Wache drei laufen und uns alles holen, was er tragen konnte. Jan hat ihm aufgetragen, jeden der versucht ihn aufzuhalten, klar zu machen, dass er oder sie dann dafür verantwortlich sei, dass viele Menschen sterben würden. Als er wieder da war, haben wir versucht den Mensch so gut es geht zu helfen."

Ich wollte nicht näher darauf eingehen, aber die beiden Polizisten ließen nicht nach.

"Ihr ward nur zu dritt, wie konntet ihr so vielen Menschen helfen?"

"Konnten wir nicht", flüsterte ich.

"Was meinst du damit, Emilia?", fragte die Polizistin sanft nach.

"Wir waren nicht genügend Helfer. Wir hatten nicht genug Material. Und wir wussten nicht wann wir Hilfe bekommen würden, ob die überhaupt irgendwann kommen würde. Also mussten wir uns entscheiden." Schluchzend holte ich Luft.

"Was musstet ihr entscheiden?", hakte der Polizist nach.

"Wem wir helfen", hauchte ich, "Die Verletzten lagen zum Teil übereinander. Ich musste Leichen wegschieben, entscheiden ob der noch lebende Verletzte meine Hilfe brauchen könnte oder nicht. Wir haben Dinge gemacht, die wir sonst nie gemacht hätten. Wir haben die Schwerverletzten, die eine Reanimation brauchten liegen gelassen, weil wir wussten, niemand würde sie rechtzeitig ins Krankenhaus bringen. Wir mussten Menschen neben uns Sterben lassen."

Kurz atmete ich durch, bevor ich weiter sprach.

"Erst als wir wussten, dass Hilfe kommt, haben wir uns noch einmal sortiert. Ich bin erst 21 Jahre alt und musste Entscheidungen in meinem Hobby treffen, die ich nie treffen wollte."

Nickend ließ der Polizist das Thema ruhen.

"Wie kam es zu ihrem momentanen gesundheitlichen Zustand?", fragte der Polizist peinlich berührt. Leicht gereizt sah ich ihn an.

"Meinen Sie den Rollstuhl? Dann weil ich einen Hirnschlag, daraus folgenden Schlaganfall und eine zu spät entdeckte Nervenquetschung. Oder meinen Sie, dass ich nachts nicht schlafen kann, weil ich über Leichen und Körperteile steigen musste, um anderen Menschen zu helfen, die am Ende doch gestorben sind? Oder vielleicht, dass ich mir konstant Vorwürfe mache, weil ich nicht mehr retten konnte und weil ich meinen Teampartner, einen jungen Mann, der noch nichts vom Leben gesehen hat, nicht davor bewahren konnte, sich selbst das Leben zu nehmen?"

Der Anschlag *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt