"Eigentlich wollte er dich bloß durch die Gegend tragen", neckte Chris seinen Freund weiter, als er uns die Tür zur Gaststube aufhielt.
Während ich mir ein Kichern nicht verkneifen konnte, erdolchte Adrian Chris mit Blicken. Vorsichtig setzte er mich zurück in meinen vier rädigen Begleiter.
"Emilia! Es ist schön dich wieder zu sehen!", begrüßte Sibille mich überschwänglich. Wie diese Frau mit einem harten Brocken, wie Holger zusammen finden konnte, wunderte mich mehr und mehr.
"Sie heißt nur Mila", grinste Chris und wackelte dabei mit den Augenbrauen. Wütend stürmte Adrian auf den jungen Mann zu. Bevor ich aber sehen konnte, was passierte, drehte Sibille mich in meinem Stuhl von den beiden weg und schob mich in die entgegengesetzte Richtung.
"Ignorier die beiden. Die stacheln sich immer gegenseitig auf. Die können nicht mit, aber schon gar nicht ohne einander", erklärte die ältere Dame in Rockerkleidung.
"Was ist das hier für eine Bar", fragte ich neugierig. Aufmerksam sah ich mich in der alten düster wirkenden Kneipe um, überall hingen Bilder oder Fahnen von der Eintracht. Die Decke bestand nur aus verschiedenen fest getackerten Eintrachtschals. Die Bar war mit Holzvertäfelt und strahlte ein gemütliches Ambiente aus. Und obwohl ich es anders erwartet hatte, war alles unglaublich sauber und gepflegt.
"Oh, Holger hat sie von seinem Vater geerbt und wir haben sie zusammen weitergeführt, nachdem wir geheiratet haben. Komm ich zeig dir unser Herzstück", lächelnd schob Sibille mich in einen Hinterraum. Hier erstreckte sich ein wahres Bastelparadis.
"Hier bereiten wir alle Choreos und Fahnen und so was vor. Eigentlich dürfen hier nur Ultras rein, aber Adrian wollte dich unbedingt überraschen und hat so lange gebettelt, bis Holger zugestimmt hat. Der Junge hat dich sogar als inoffizielles Ehrenmitglied bezeichnet, weil du doch im Block schon immer gearbeitet hast und dich nicht einmal von einer Bombe hast aufhalten lassen. Wir haben keine Choreos oder ähnliches geplant, dass heißt du musst dich an keine Vorgaben halten", erklärte Sibille. Sie schob mich an einen Tisch und setzte sich zu mir. Fröhlich zeigte sie mir, was sie begonnen hatte und wie ich ihr am besten helfen könnte. Beide nähten wir mit Nähmaschinen schwarze und weiße Stoffe aneinander.
Lächelnd kam Holger rein. Es war das erste Mal, dass ich ihn lächeln sah. Langsam lief er auf seine Frau zu und drückte ihr einen Kuss auf ihren Scheitel. Von diesem kleinen privaten Moment angetan konnte ich einfach nicht wegschauen.
"Es ist wirklich nett von dir, dass du hilfst", brummte der Mann mir zu, "Als Adrian meinte, dass du das unbedingt machen willst, war ich um ehrlich zu sein, ziemlich überrascht."
Verwirrt sah ich den Ultra an. Erst beobachtete Holger mich nur, aber dann wurde ihm wohl etwas klar. Sein Gesicht hellte sich auf und er stieß einen kurzen Lacher aus.
"Oh, da habe ich mich wohl vertan. Alles gut", lachte der Mann, "Habe Adrian verwechselt."
Nickend erforschte ich sein Gesicht. Ich war mir nicht sicher, ob er mich wirklich für so dumm hielt das zu glauben. Adrian hatte mit allen Mitteln versucht mich hier her zu bekommen und den Sinn dahinter verstand ich noch nicht ganz.
Laut kamen Chris und Adrian in den Raum gestolpert. Chris Frisur sah sehr viel zerstörter aus, als noch vor wenigen Minuten und die Kleidung von beiden sah verknitterter aus. Adrians Haare waren aus dem Dutt gelöst und hingen ihm locker auf seine Schulter.
"Heeey!", begrüßte Adrian uns mit einem seltsamen Winker. Hektisch nahm er seine Haar zusammen und befestigte sie in einem neuen Dutt. Kopf schüttelnd wand ich mich wieder den Näharbeiten zu. Auch wenn das eigentlich nicht mein größter Wunsch war, so würde ich Sibille hier trotzdem nicht alleine sitzen lassen.
"Wusstest du, dass Adrian und Chris schon hier her kamen mit ihren Vätern, als sie noch nicht einmal in der Schule waren. Die zwei haben sich hier in der Kneipe kennengelernt", fing Sibille an zu erzählen, "Die zwei wollten mir unbedingt hinter der Theke helfen, aber sie konnten nicht einmal über den Tresen schauen, also mussten wir Barhocker aufstellen. Die Dinger standen ständig im Weg herum!"
Holger schob mir ein Bild entgegen von zwei etwa vier jährigen Jungs. Mit breiten Grinsen auf den Gesichtern standen die beiden auf Barhockern hinter dem Tresen und streckten stolz Gläser mit einer durchsichtigen Flüssigkeit der Kamera entgegen.
"Wasser. Sie haben auch zu der Zeit eine ganze Menge Wassershots getrunken", meinte Holger neckisch. Ich hatte ihn gar nicht so liebevoll und irgendwie auch herzlich erwartet.
"Die zwei waren so süß", lächelte Sibille, als sie auf das Foto schaute, "Aber sie haben mich in den Wahnsinn getrieben. Sie haben die stärksten Hütchen gemacht, die ich jemals probiert habe. Haben uns fast in den Ruin getrieben mit ihrem exzessiven Alkoholausschank! Wir mussten sie irgendwann einfach nach hier hinten verbannen. Dumm nur, dass die beiden anscheinend nur unter Aufsicht miteinander zurecht kamen. Hier hinten haben sie ihren eigenen Fight Club veranstaltet!"
"Das stimmt doch gar nicht!", widersprach Chris energisch.
"Ach ja? Und woher hast du dann die Narbe am Kinn und woher hat Adrian den langen Cut an seinem Unterarm? Eure Väter mussten euch regelmäßig ins Krankenhaus bringen, damit ihr zusammen genäht werden konntet. Wir dachten schon, dass ihr euch hassen würdet. Aber wenn einer von euch mal krank war oder ihr in unterschiedliche Räume gesteckt wurdet, habt ihr einen noch viel größeren Terz veranstaltet. Ihr musstet immer sehen, was der andere gerade so treibt. Es wundert mich also kein Stück, dass ihr beide Wirtschaftsrecht in Frankfurt studiert habt. Das ihr jetzt bei unterschiedlichen Arbeitgebern gelandet seid, ist allerdings doch ziemlich verwunderlich."
"Aber nur weil dieser Idiot lieber dabei helfen will die Umwelt noch mehr zu verpesten", meinte Chris grinsend. Gespielt hochnäsig sah er zu seinem Freund rüber. Dieser war schon wieder kurz davor sich auf ihn zu stürzen.
"OK!", stieß ich schnell aus, um die nächste kleine Rauferei abzuwenden, "Gehört Nähen und Basteln zu den Vorraussetzungen, um ein Ultra werden zu dürfen?" Schulter zuckend sah ich die Jungs an. Ein amüsiertes Grinsen kräuselte sich über Sibilles Gesicht, während die beiden Jungs mich ansahen, als wäre ich gerade aus dem Himmel gefallen.
"Ich hätte nicht erwartet, dass du auf so seltsame Mädels abfährst", meinte Chris und klopfte dabei Adrian auf die Schulter. Noch immer mich mit hochgezogenen Augenbrauen musternd verließ er den Hinterraum.
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Der Anschlag *pausiert*
Aktuelle LiteraturEs sollte ein ganz normaler Tag werden. Ein spannendes Fußballspiel zwischen der Eintracht und Schalke, während ich ehrenamtlich einen Dienst als Sanitätshelferin absolvieren würde. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, was ich an diesem Tag zu Ge...