Prolog

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Echte Freundschaften halten ewig.

Das hatte meine Mutter mir bewiesen, als wir in das Haus direkt neben ihrer besten Freundin Jessica gezogen waren.

Seit der Highschool waren sie ein Herz und eine Seele und als sie im College die Männer kennengelernt hatten, mit denen sie den Rest ihres Lebens verbringen wollten, hatten sie beschlossen, nebeneinander einzuziehen.

Die Doppelhochzeit folgte wenig später und mein Vater regte sich heute noch prächtig darüber auf, dass sie in den Flitterwochen auch noch dasselbe Hotel bewohnten. „Ich habe das Gefühl, du bist mit Jessica verheiratet und nicht mit mir.", meckerte er oft scherzend, aber ich wusste genauso gut wie er, dass ein Funken Wahrheit an der Sache dran war.

Die ersten drei Jahre nach der Hochzeit fuhren sie gemeinsam in den Urlaub, sie arbeiteten im gleichen Gebäude - meine Mutter als Apothekerin in einer Filiale, die direkt unter der Physiotherapie-Praxis von Jessica lag - und jeden Samstag kochte entweder Mom oder Jessica für die Vier.

Doch dann wurde Jessica schwanger.

So unversehens, dass sie vollkommen überrumpelt war von dem kleinen Jungen, der in ihr heranwuchs.

Shane war quasi der lebende Beweis dafür, dass unsere Familie kein seltsames Duplikat von Jessicas Familie aus einem Paralleluniversum war, denn zwei Jahre später wurde meine Mutter mit mir schwanger - und Jessica mit Sally.

Und von diesem Zeitpunkt an glichen sich die Leben unserer Mütter wieder wie ein Ei dem anderen.

Sally kam zwei Wochen nach mir auf die Welt und jedes Kleid, das Sally hatte, wurde auch mir gekauft.

Es war, als hätte ich die Zwillingsschwester, die meine Mutter in Jessica immer sehen wollte und so war es nicht abwegig, dass auch Sally und ich beste Freundinnen wurden.

Heute bin ich der Meinung, wären unsere Mütter nicht befreundet gewesen, dann hätte Sally mich vermutlich gehasst.

Im Gegensatz zu ihr, die wie ein leuchtender Stern den gesamten schwarzen Nachthimmel erhellte, glich ich eher einer Sternschnuppe, die für einen Moment aufleuchtete und in der nächsten Sekunde wieder erlosch. Mit etwas Glück prallte ich irgendwo dazwischen noch auf einen bevölkerten Planeten und merzte alles Leben aus, bevor ich endlich verglühte.

Ich hatte eben meine Fehler.

Ganz im Gegensatz Sally. Zumindest glaubte ich das - wie jeder andere - für eine sehr lange Zeit. Sally war außergewöhnlich. Außergewöhnlich gutherzig und außergewöhnlich klug und außergewöhnlich schön.

Ihre blonden Locken glichen denen eines Engels, der aus dem Himmel gesandt worden war. Ihre leuchtend blauen Augen glänzten, als würden sich die Wellen des tiefgründigsten Ozeans in ihnen schlagen und ihr Lächeln war von einer Kraft, die jedem Jungen im Umkreis weiche Knie verpasste.

Wer nun aber denkt, dass ihre Schönheit ihrem Charakter einen Abbruch tat, der liegt so falsch, wie man nur falsch liegen kann. Je schöner Sally wurde, desto allumfassender wurde auch ihr Mitgefühl jedem lebenden Wesen auf diesem Planeten gegenüber. Sie war einer dieser Weltverbesserer, die aus Tierliebe auf Fleisch verzichten und Kindern im Krankenhaus aus Büchern vorlesen.

Neben ihr fühlte ich mich manchmal wie eine muffige Kleinkriminelle.

Ich aß gern Fastfood, ich hatte eine große Klappe und lachte in den falschen Momenten und ich konnte Kinder im Gegensatz zu ihr nicht ausstehen.

Trotzdem hatte sie mir nie das Gefühl gegeben, ihre Freundschaft nicht wert zu sein.

Wir waren unterschiedlich, oh, und wie wir das waren, aber am Ende des Tages zählte nur, dass ich ihre beste Freundin war und sie meine.

Bis sie eines Abends überhaupt nicht mehr war und ein Loch im Ausmaß ganz Englands in mein Leben riss.

(578 Wörter)

lavendertea [beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt