Kapitel 29

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Ich nickte.

„Du meine Güte, bist du groß geworden.", sagte er. „Kommt rein. Wollt ihr was trinken? Melanie holt gerade ihre Eltern ab, deswegen kann ich euch nicht bedienen, aber ihr könnt gerne in der Küche zugreifen."

Ich schüttelte den Kopf und folgte Charles durch den breiten Flur, der lichtdurchflutet dalag. Über uns befand sich eine große Glasfront, die in die Dachschräge eingearbeitet war und jetzt von dem leise rieselnden Schnee begraben wurde. An den Wänden hingen wunderschöne Kunstwerke, afrikanische Masken und andere Gegenstände aus aller Welt. Trotzdem sah es nicht zusammengewürfelt aus, nicht wie auf dem Flohmarkt, eher wie auf einer Vernissage.

„Haben Sie Bier?", fragte Mitch und zog damit Violas und meine Blicke auf sich. Ich schüttelte langsam den Kopf, Viola machte Gesten vor ihrem Hals - ich glaube, sie wollte ihm die Kehle durchschneiden. Mitch zuckte darauf mit den Schultern, sich keiner Schuld bewusst und beinahe so, als würde er fragen, was so schlimm an seiner Frage war.

„Ja klar, in dem Kasten unter der Küchenzeile.", antwortete Charles lachend, zeigte das glänzende Weiß seiner geraden Zähne und nickte zu der hellen Küche, die modern und hochpoliert eingerichtet war. „Du hast es hier sehr schön.", sagte ich, während ich mich vorsichtig umsah. Das Wohnzimmer hatte eine weite Fensterfront, die auf den großen Garten vor uns gerichtet war. Das Sofa war aus Samt und tiefem Rot, der Teppich ein Kunstwerk auf Flusen. Kleine Details in den offenen Glasvitrinen verliehen der Wohnung Persönlichkeit, Lebendigkeit, fast als könnten die Gegenstände aufstehen und durch das Haus spazieren, um es zum Leben zu erwecken.

„Das hat alles meine Frau eingerichtet, sie ist ein wahres Naturtalent, was sowas angeht.", sagte er mit einem stolzen Lächeln.

Seine Frau. Ich hatte nicht erwartet, dass Melanie Connor seine kürzlich entdeckte Schwester war, aber zu hören, dass er eine neue Frau, ein neues Leben hatte, stieß übel bei mir auf. Was Shane jetzt wohl dazu sagen würde?

Als meine Gedanken erneut zu Shane wandern wollten, schüttelte ich den Kopf und ließ mich auf dem Sofa nieder, in dessen Stoff ich tief einsank. Ich strich über den weichen Stoff und genoss die Wärme des Kamins, der an der Wand neben mir flackerte und knisterte. Im Gegensatz zu dem wilden Feuer im Kamin fielen die Schneeflocken vor dem Fenster ganz friedlich, ganz sanft aus den Wolken, legten sich über die kleinen Grashalme, die aus dem Schnee der letzten Tage herausguckten und schützen die Pflanzen vor dem eisigen Frost der Wintertage.

Das Scheppern von Flaschen riss mich aus meiner nebeligen Träumerei. Irgendwo in der Küche kramte Mitch noch immer nach einem Bier.  Viola schaute immer wieder zu Sahra, die sich scheinbar an Violas dunkle Gestalt und ihren aufdringlichen Blick gewöhnt hatte. „Warum sind deine Haare lila?", fragte sie Viola mutig, nachdem sie einige Augenblicke mit sich selbst gehadert hatte, ob Viola die Prinzessin oder doch der böse Drache war.

Viola schmunzelte, ja sie schmunzelte tatsächlich das kleine Mädchen an, und als Sahra sie bei der Hand griff und mit sich zur Treppe zog, konnte Viola nichts dagegen tun. Für einen kurzen Moment sah sie mich hilflos an, flehte mit ihrem Blick, dass ich etwas tat, aber Sahra war zu starrköpfig und insgeheim wusste ich, dass es besser war, wenn Viola mit Sahra ging, als bei dem Gespräch dabei zu sein, das unweigerlich folgen würde. „Oben auf meinem Zimmer habe ich ganz viele Prinzessinnen mit lila Haaren.", sagte Sahra. Ihre Stimme klang hell und klar, wie das Klingeln von Weihnachtsglocken. „Und der Prinz kann auch mitkommen."

Mitch, der mit einer Flasche Bier in der Hand im Türrahmen stand, blinzelte gegen das Bild vor seinen Augen an. „Der Prinz?", fragte er. „Das bin doch wohl hoffentlich nicht ich oder?"

Er hielt noch einen Moment inne, die Augen kugelfischrund und wie an dem kleinen Mädchen festgeklebt, bevor er an mir vorbeischlich und mir zuflüsterte: „Wer ist diese Frau mit dem lila Haar und was hat sie mit Viola gemacht?"

lavendertea [beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt