Kapitel 9

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Nachdem das Ergebnis unserer Suche ziemlich ernüchternd ausgefallen war, hatten wir eine Weile auf der Stelle gestanden und geschwiegen.

Es war wie verhext.

Alle Wege verliefen im Sande und irgendwann endeten wir im Nirgendwo mit nichts als der leeren Flasche, mit der wir unsere Reise auch angetreten hatten.

„Wie geht es jetzt weiter?", traute ich mich schließlich zu fragen.

Das war bereits das zweite Mal, dass ich ihm diese Frage stellte und dieses Mal schien er keine Antwort zu haben.

Oder er wollte sie mir bloß nicht verraten.

Er schien geknickt, mehr noch als früher, wenn er seine tiefgründigen Phasen hatte, in denen Emo-Bands wie My Chemical Romance ausnahmsweise mal sein Punk-Gebrüll abgelöst hatten. 

Ich war froh, diese Zeit der Selbstfindung übersprungen zu haben. Ich hatte keine peinlichen Phasen, in denen ich mit der neuesten Ausgabe vom PONY magazine unter dem Arm umhergelaufen war und auch jetzt hatte ich nicht das Gefühl, meine Eltern zu hassen, mit einem Typen durchbrennen zu wollen oder mich zu Tylor Swift Musik in meinem Zimmer einschließen zu müssen.

Zumal Tylor Swift sowieso nicht ganz meinen Musikgeschmack traf.

Ich betrat den Flur und die Holzdielen knarzten wie jedes Mal, wenn ich hier war.

Shane hielt noch einmal kurz im Türrahmen inne und sog jedes Bild in sich auf, bevor er die Tür hinter sich schloss. Das Geräusch, das dabei entstand, klang wie das endgültige Schließen eines Sarges.

Dann atmete er auf und seine Muskeln spannten unter seinem schwarzen T-Shirt.

Ich war bereits auf dem Weg zur Treppe, als Shane den Kopf nach rechts drehte und sein Blick an seiner Zimmertür hängen blieb.

Oh oh.

Das Bild, das mir heruntergefallen war, lag noch genauso in meiner Sockenschublade wie letze Woche. Kaputt, verstaubt und am völlig falschen Ort.

Deshalb setzte ich Shane auch eilig nach, als er durch den Flur direkt auf seine Zimmertür zusteuerte.

Seine Hand griff gerade nach der Türklinke, als ich bei ihm ankam und meinen kleinen Körper zwischen ihn und die Tür schob. Sonderlich viel Platz ließ er mir dabei nicht mehr.

Stur blickte ich ihn an, musste den Kopf dabei allerdings leicht in den Nacken legen, weil er um einiges größer war als ich. Der Blick seiner grauen Augen sprang zwischen den meinen hin und her, seine Arme waren verschränkt und seine Muskeln, die mit Sicherheit vom Sport kamen, traten leicht hervor. Er stand so nah vor mir, dass mein Oberkörper fast seine Arme berührte.

Wieder drang der leichte Duft von Lavendel in meine Nase, mischte sich dieses Mal aber mit dem Geruch seines Aftershaves nach Hamamelis und Eukalyptus. Ich hatte nicht geglaubt, dass der sanfte Duft von Lavendel mit dem herben Geruch von Hamamelis harmonieren konnte, doch gerade diese ungewöhnliche Mischung machte es vermutlich aus.

„Du- äh, kannst da nicht rein.", sagte ich schließlich wenig geistreich. Seine Nähe hatte den Blutzufluss zu meinem Gehirn blockiert und Denken gehörte in diesem Moment zu jenen Dingen, die mein Kopf nicht mehr konnte.

„Und warum nicht?", fragte Shane erwartungsvoll. Er ahnte etwas und das war nicht gut. Überhaupt nicht gut.

Skepsis schlich sich in seinen Blick, als er die Augenbrauen hob und noch einen Schritt näher herantrat.

Mein Herz überschlug sich in seinem Versuch, vor Shane wegzulaufen.

Es pochte, während es auf der Flucht außer Puste geriet.

lavendertea [beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt