Kapitel 3

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Der Montag fühlte sich an wie der Tag nach einer Weisheitszahn-OP, bei der alle vier Backenzähne auf einmal gezogen wurden.

Der Schmerz saß tief und in diesem Fall half nicht einmal Essen weiter.

Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, den Bauch einzuziehen und die Brust rauszustrecken, den Kopf gerade zu richten und die Nase ein wenig höher zu halten, als alle anderen - aber war schon beim Haare kämmen gescheitert und schlürfte jetzt wie ein Halbtoter durch die Flure.

Mein kastanienbraunes Haar lud die Vögel regelrecht zum Brüten ein und meine Augen hatten Ringe, die eher an Veilchen aus einer Prügelei erinnerten.

Von den Lehrern hatte ich bereits mehr als einen tadelnden Blick erhalten, denn es schickte sich an dieser Schule nicht, herumzulaufen, als sei man auf der Straße aufgewacht. Aber letztendlich war ihnen wohl wieder eingefallen, dass eine Schülerin dieser Schule gestorben war und so beließen sie es bei den wenigen giftigen Blicken, die ich geflissentlich ignorierte.

Ich atmete auf und vergrub meinen Kopf in meinem Spind, um den neugierigen Blicken der Schüler zu entgehen, die wie Aasgeier um mich herum kreisten und nur darauf warteten, sich auf mich zu stürzen und mich mit Fragen durchlöchern zu können.

Ich wollte wieder nach Hause in mein Bett.

Die Schule war ohne Sally nicht das gleiche und ich fühlte mich schäbig, überhaupt ein Lächeln für Oliver aus meiner Straße übrig zu haben, auf den ich seit einem Jahr stand.

Wie konnten diese Leute alle so tun, als wäre nichts passiert? Selbst die Lehrer redeten im Unterricht weiter gedankenlos vor sich hin, obgleich gerade eine ihrer Schülerinnen gestorben war.

Mit einem Knall schmiss ich meine Spindtür zu und schubste den Jungspund zur Seite, der anscheinend Ewigkeiten brauchte, um zu lernen, dass die Abschlussklasse mit Respekt zu behandeln war.

Diese Winzlinge wurden immer rotzfrecher.

Ich in ihrem Alter hatte Angst, von einem Zwölftklässler mit dem Kopf in die Kloschüssel gesteckt zu werden, weil ich ihn zu lange angesehen hatte.

Die lauten Flüche gingen im Lärm der rennenden Kinder unter, die von dem Trubel hier nichts mitbekommen hatten, doch dann schrie ein waghalsiger Junge, der sich vermutlich gerade im Stimmbruch befand: „Blöde Olle!" und ich wirbelte auf dem Absatz herum.

Meine Augen blitzten gefährlich auf und ehe er sich versah, hatte ich ihn am Kragen seines schmucken Polohemdes gepackt und mit dem Rücken gegen meinen Spind gedrückt.

„Willst du das nochmal wiederholen?", zischte ich. Er war nicht älter als 12 oder 13 Jahre, aber wenn er die Klappe aufreißen konnte, dann hatte er auch mit den Konsequenzen umzugehen.

„Lass mich los! Bist du verrückt geworden?" Er begann zu strampeln, doch ich war um einiges größer als er und da seine Freunde ratlos neben ihm standen und sich fragende Blicke zuwarfen, hatte ich leichtes Spiel, ihn festzuhalten.

„Mara? Mara, lass ihn los!", donnerte eine tiefe Stimme hinter mir. Keine Sekunde später wurde ich an Henkel meines Rucksackes zurückgezogen und dieses Mal war ich es, die sich nicht wehren konnte. Ich trat nach Brents Schienbein und schlug um mich, um mich loszureißen.

„Lass mich, ich mach den kleinen Scheißer fertig!"

Doch Brents Griff wurde bloß noch fester. Er hielt mich so lange fest, bis meine Beine nachgaben und ich mich erschöpft an der Wand abstützte. Meine letzte Kraftreserve war verbraucht und mein Atem ging hektisch und schnell.

„Was zur Hölle sollte das? Willst du von der Schule geschmissen werden? Du weißt genau, dass die hier nicht lange fackeln!"

Brent klang wütend, aber seine Stimme war außergewöhnlich ruhig und gefasst. Was war er? Mein Vater?

lavendertea [beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt