Kapitel 18

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Es waren nicht ganz drei Minuten, sondern eher fünfzehn, die Shane brauchte, bis sein schwarzer Chevrolet Truck vor der Haustür der Jones hielt.

Aber diese Zeit brauchten Viola und ich auch, um Mitch hochzuhieven und vor zur Straße zu bringen. Da das Haus jede Menge Garten hatte, führten auch zwei Wege rechts und links neben dem Haus vor zur Einfahrt. So mussten Viola und ich Mitch zumindest nicht durch die ganze Meute schleppen.

Mittlerweile hatte es begonnen zu regnen, erst nur in wenigen Tropfen, doch je länger wir warteten, desto stärker wurde der Regen, der auf uns nieder prasselte.

„Hört auf!", rief Mitch, der mittlerweile wieder einigermaßen bei Bewusstsein war. Seine Hand verkrampfte sich in meinem Mantel und zerrte an dem Stoff.

„Womit sollen wir aufhören?", fragte ich. Ich sprach mit ihm wie mit einem kleinen Kind, das man belehren musste. 

„Ihr wollt mich ertränken.", sagte Mitch. Regentropfen rannen ihm über das Gesicht und er schüttelte den Kopf, um sie loszuwerden. Als Viola und ich ihn fester hielten, schnappte er nach Luft und versuchte, sich loszureißen. Sein Knie traf in meinen Bauch und Viola bekam seinen Ellenbogen an die Schläfe.

„Wir müssen ihn beruhigen.", rief ich Viola zu.

„Nein! Lasst nicht zu, dass sie mich ertänken!"

Viola und ich griffen Mitch fester an seinen Oberarmen und tauschten Blicke aus.

„Mitch, hör mal!" Viola legte ihre Hände auf Mitchs Schultern ab und hockte sich vor ihn hin. Sie strich ihm von den Schultern über die Arme, bis er sich ein wenig beruhigt hatte und nahm dann sein Gesicht in ihre Hände. Mit ihren Daumen strich sie ihm behutsam die Regentropfen aus dem Gesicht.

„Es regnet, hörst du die Tropfen auf den Blättern? Weißt du noch, als wir uns kennengelernt haben? Da hat es auch geregnet. Es war Sommer und warm und der Regen hat die heißen Straßen abgekühlt."

Was auch immer Viola tat, es schien zu funktionieren. Mitch zerrte nicht mehr so sehr und ich konnte meinen Griff wieder lockern.

„Okay, da ist Shane!", sagte ich, als ich sein Auto aus der Ferne erkannte.

Er hielt mit quietschenden Reifen direkt vor der Haustür und Viola bugsierte Mitch und sich auf den Rücksitz . Ich stieg vorn neben Shane ein. Es roch wie immer nach Lavendel, der einzige Geruch auf dieser Welt, der mir die Angst aus den Adern ziehen konnte. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber das hatte er selbst an dem Tag von Sallys Beerdigung schon getan.

„Danke.", flüsterte ich mit einem Blick auf die Rückbank. Shane nickte mit einer Selbstverständlichkeit, die ich vor einigen Wochen niemals von ihm erwartet hätte und trat in die Pedale, sodass ich mit dem Rücken in den Sitz gepresst wurde. Die Straßen waren wie leergefegt. Ich schaute aus dem Fenster und sah den Regentropfen dabei zu, wie sie die Scheiben herunterliefen. Im Radio lief ein Lied von Bob Dylan, auf der Rückbank war Stille eingekehrt und selbst Shane schwieg und achtete auf die Straße.

„Was wird jetzt mit ihm passieren?", fragte ich Shane irgendwann.

„Wäre das Meth oder Koks gewesen hätte ich sofort einen Krankenwagen gerufen, aber an LSD ist noch keiner gestorben. Ich werde sehen, was ich tun kann."

Shane zuckte mit seinen breiten Footballschultern und warf mir einen kurzen Blick zu. Dann sah er zurück auf die Straße.


Keine Viertelstunde später taumelte Mitch mit uns gemeinsam in eine kleine Wohnung, in der er  seit seinem 18. Geburtstag lebte. Er war bei einer Pflegefamilie aufgewachsen, wie ich in einer der Pausen, die ich seit neustem bei Oliver am Tisch verbrachte, herausgefunden hatte und seine Pflegeeltern schienen nicht gerade die beste Partie Mensch zu sein.

lavendertea [beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt