Kapitel 15

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Der Regen peitschte gegen die Fenster und auf der Straße befand sich keine Menschenseele. Sie war leergefegt. Die Geräusche des Sturmes klangen hier drin wie eingepackt in Watte, weit entfernt und trotzdem klar und deutlich.

Die Dämmerung hatte mittlerweile längst eingesetzt und man erkannte nur noch die Silhouetten der Häuser, die sich dem Horizont entgegen neigten.

„Kann ich dich etwas fragen?"

Ich drehte mich zu Shane, der neben mir auf dem Bett lag, an die Decke starrte und die ersten Worte seit einer Weile sagte.

Wir beide hatten die letzte Stunde geschwiegen, etwas gegessen und dem Wetterbericht aus dem Fernseher gelauscht, der hin und wieder selbst mit einigen Unterbrechungen zu kämpfen hatte.

Aber zumindest ging hier das Licht, auch, wenn wir es im Moment nicht brauchten. Allein die Tatsache, dass ich es anschalten konnte, wenn ich es musste, beruhigte mich.

Die anderen Gebäude, eine gelblich leuchtende Reklametafel und die Straßenlaternen unten auf der Hauptstraße tauchten den Raum hier oben in ein angenehmes Licht.

Ich war müde. Nicht nur, weil der Tag sich langsam dem Ende zuneigte, sondern auch, weil jeden Morgen eine neue Katastrophe bevorstand.

Was, wenn ich morgen erfahren würde, dass Sally schwanger gewesen war oder unter Depressionen gelitten hatte? Ich wäre eine schlechte Freundin gewesen, wenn mir so etwas nicht aufgefallen wäre. Ich war eine schlechte Freundin, weil ich nichts bemerkt hatte.

„Wenn ich dich auch etwas fragen darf. Und du musst mir ehrlich antworten." Diese eine Bedingung hatte ich.

„Solange es nichts mit mir und meiner Mutter zu tun hat.", stimmte Shane zu.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite und Shane tat dasselbe. Wir sahen uns einen Moment an und seine grauen Augen wurden mit jedem Mal faszinierender. Als würden sie eine Geschichte erzählen und jeder Blick offenbarte die nächste Wendung in der Handlung. Ich wollte nie mehr aufhören in ihnen zu lesen, auch wenn das bedeutete, nie wieder ein anderes Buch aufschlagen zu können. Das war es mir wert.

„Okay.", flüsterte ich. Ich hatte das Gefühl, ein zu lautes Wort, eine zu schnelle Bewegung würden diesen Moment zerstören wie ein ungeschickter Handgriff, der eine Porzellanvase von der Tischkante fegte und sie zerbrach. Meine Stimme zitterte leicht und sie war kratzig, weil ich bereits ahnte, was Shane fragen würde und weil ich Angst davor hatte, wie er auf meine Frage reagieren würde.

Wir bewegten uns auf äußerst dünnem Eis und ich wollte nicht einbrechen und vom kalten Wasser überrascht werden. Dazu war ich noch nicht bereit.

Nicht jetzt.

„Was war das vorhin im Aufzug? Du hattest eine Panikattacke. Was hat sie ausgelöst? Die Dunkelheit?"

Ich hatte es gewusst. Was mich allerdings überraschte, war, dass er erkannte, dass mein seltsames Verhalten etwas mit einer Panikattacke zutun hatte. Ich spürte wie mir die Hitze in die Wangen kroch und sie rot färbte. Das Thema war mir schon immer etwas unangenehm gewesen. Zum Glück konnte Shane nur meine Umrisse und nicht die rötliche Färbung meiner Wangen erkennen.

Die meisten Leute konnten eine Panikattacke nicht vom normalen Angstgefühl unterscheiden, weil die äußeren Symptome im Prinzip dieselben waren. Ein rasendes Herz, Zittern in den Händen, Schnappatmung.

Aber eine Panikattacke pumpte einem so viel Adrenalin in den Körper, dass man das Gefühl hatte, der Körper würde diese Energie nicht mehr aushalten und wie ein überladener Stromkreis zusammenbrechen.

lavendertea [beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt