Kapitel 17

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Für eine Weile war es mir tatsächlich fast gelungen, Sallys Tod zu verdrängen und so zu tun, als wäre sie im Urlaub.

Aber auf Dauer hatte diese Methode keinen Erfolg und in den Momenten, in denen ich alleine war, wenn ich mit Shane nicht gerade Jessica hinterher schlich oder mit Oliver am Tisch saß und feindliche Blicke von Viola kassierte, schlugen mir die Erinnerungen an ihren Tod, die ich so lange zurückgehalten hatte, wie ein Bumerang ins Gesicht.

Und je weiter ich ihn weggeworfen hatte, desto mehr Schwung hatte er bei seinem Zusammenprall mit mir.

Ich erwischte mich immer öfter dabei, wie ich im Unterricht abwesend vor mich hin starrte und es zur Pause klingelte, ehe ich meine Sachen überhaupt ausgepackt hatte.

Es war, als hätte sich meine Seele gespalten in den Teil, der weitermachen wollte und in den, der nicht loslassen konnte. Und beide zerrten an mir, rupften an meinen Armen und Beinen, bevor sie meine letzten fragilen Nervenbahnen zum Zerreißen brachten.

Der Teil von mir, der weitermachen wollte, erhoffte sich mit Oliver einen Schritt in die richtige Richtung zu tun. Oliver war nett und gutaussehend und lustig und bei ihm fühlte ich mich ernstgenommen. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, noch niemand hatte mir so gut zugehört wie er, vor allem wenn sein T-Shirt mal wieder in einem Meer meiner Tränen ertränkt wurde, die ich wegen Sally vergießen musste.  Der Teil von mir, der nicht loslassen wollte, und ich konnte nicht abstreiten, dass dieser Teil der weitaus mächtigere war, der jagte mit Shane allerdings weiterhin Jessica hinterher und je mehr ich jagte und suchte, desto weiter enfernte ich mich von der Normalität und verlor mich selbst.  Deshalb hasste ich diesen Teil.

Mir war bewusst, dass ich Sally erst vergessen konnte, wenn Shane zurück in Brighton war und ich ihn nicht mehr ständig vor meiner Nase hatte.

Shane war wie eine wandelnde Erinnerung an den Tod höchstselbst für mich.

Aber der Gedanke, dass Sally dann noch einmal sterben würde, wenn er fort war, brachte mein Herz entgültig zum Brechen. Ich konnte diesen Kampf gegen den Schmerz nicht gewinnen. 

Deshalb war ich auch froh, als endlich der 20. Oktober kam.

Oliver hatte mir per Nachricht die Adresse seines Freundes geschickt, bei dem der Fußballabend stattfand und so wie er es schrieb, würde ich auch nicht das einzige Mädchen sein.

Um 17.00 Uhr verließ ich mein Haus, eingepackt in einen beigen Mantel und einen rot-gelb gestreiften Schal, der dieselben Farben wie das Laub am Rande der Wege trug.  Der Sturm hatte glücklicherweise nachgelassen, es war nun leichter Wind, der auch die letzten Blätter sanft vom Baum zupfte. Die Straßen sahen aus, als hätte sie jemand bunt angemalt und einige Häuser waren schon für Halloween geschmückt worden.

Das Fest hatte hier zwar nicht dieselbe Tradition wie in den USA, doch so langsam schwappte der Trend auch nach England über. Da Wakefield aber nicht gerade zu den hippen Großstädten gehörte, hielt sich die Begeisterung für die Nacht der Geister eher in Grenzen.

Die Party, die Kellin Black schmiss, fand allerdings am 30. Oktober - in genau 10 Tagen - statt. Jeder wusste, dass Halloween ein Vorwand für eine weitere Party, noch mehr Alkohol und dumme Partyspiele war, und jeder war damit einverstanden. Um der Sache ihren Reiz zu verleihen, verlangte Kellin Black natürlich, dass alle Gäste ein Kostüm trugen. Während ich vor dem großen Haus hielt, dachte ich darüber nach, ob ich ihn vielleicht gleich fragen sollte, ob ich auch kommen durfte.

Auch wenn das möglicherweise etwas verzweifelt wirkte.

Ich musste augenblicklich an Shanes Worte denken. Verzweifelt. Dann war ich eben verzweifelt.

lavendertea [beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt