thirty five

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Mein Mund war trocken, als ich die Rasierklinge nahm.

Ich hatte Angst, dass er sich noch mehr antun würde. Ich wollte ihn nicht verlieren. Ich fühlte das klebrige Blut an meinen Fingern und schluckte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, neue Rasierklingen zu kaufen. Tränen schossen in meine Augen, doch ich versuchte, sie zurückzuhalten. Ich ging ins Bad, wickelte die Klinge in etwas Toilettenpapier und warf sie weg.

Ich nahm die Rolle Toilettenpapier mit in die Küche und setzte mich neben Tyler. Dieser starrte noch immer auf einen Punkt irgendwo im Raum.

Vorsichtig griff ich nach seiner Hand, die das inzwischen rote Toilettenpapier auf den Arm drückte. Tyler wehrte sich nicht, sondern ließ es zu.

Es offenbarten sich mir zwei tiefe Schnitte, die noch immer bluteten. Am Handgelenk waren viele kleine Schnitte, das Blut war aber schon getrocknet. Die zwei Schnitte mitten auf seinem Unterarm machten mir durchaus viel mehr Sorgen. Nicht aber, weil sie recht tief waren. Tyler war sonst immer darauf bedacht, seine Wunden gut verstecken zu können, damit niemand sie sieht. Aber jetzt schien es ihm egal zu sein.

Ich wischte nun doch eine Träne weg, die mir über die Wange lief. Erst jetzt schien Tyler aus seiner Trance zu erwachen, denn er sah mich direkt an.

"Es tut mir Leid", murmelte ich, doch weder mir, noch Tyler war zunächst klar, wofür ich mich überhaupt entschuldigte. Ich hielt kurz inne, ehe ich ergänzte: "Für mein Verhalten. Ich hätte dich nicht so anschreien sollen, aber... ich hatte solche Angst"

"Ich dachte, dass du dich bei mir sicher fühlen würdest", krächzte Tyler. Er nahm sich neues Toilettenpapier und drückte es sich auf seine noch immer blutenden Schnitte.

"D-das tue ich eigentlich auch", erwiderte ich, während ich jede seiner Handlungen genau verfolgte, "aber diese Flashbacks kommen immer wieder"

Ich presste die Lippen aufeinander und konzentrierte mich darauf, nicht an Matt zu denken.

Tyler sagte nichts mehr, als habe er Angst, etwas falsches zu sagen.

"Verzeihst du mir?", flüsterte ich nach einer Weile unsicher.

"Natürlich. Ich könnte niemals sauer auf dich sein"

Ich beugte mich vor und küsste Tyler kurz, aber mit viel Nachdruck, um ihm zu verstehen zu geben, wie dankbar ich ihm bin.

"Lass mich deinen Arm verbinden", sagte ich schließlich und stand auf. Ich holte aus der Schublade einen Verband und eine Kompresse. Ohne Widerworte von Tyler legte ich die Kompresse auf seine beiden Wunden, die inzwischen fast gar nicht mehr bluteten. Sie würden deutliche Narben hinterlassen und ich wusste nicht, wie Tyler dies erklären wollte. Wie würde seine Mutter darauf reagieren...? Vorsichtig wickelte ich den Verband um die Kompressen und seinen Arm. Es machte mir Angst, wie normal es für uns beide geworden war, dass wir in der Küche saßen und uns gegenseitig unsere selbst zugefügten Wunden versorgten. Auf der einen Seite war es mir egal, doch normal war es sicherlich nicht.

Ich klebte das Ende des Verbands fest und lächelte Tyler vorsichtig an.

"Danke", murmelte er.

"Ich werde die Scherben auffegen", sagte ich und richtete den Blick auf das zerbrochene Glas, das noch immer auf dem Boden lag.

"Danke", wiederholte Tyler nur und stand auf.

Ich sah ihm hinterher, als er ins Wohnzimmer ging, doch ich folgte ihm nicht. Stattdessen holte ich ein Kehrblech aus dem Schrank und fegte die Scherben zusammen. Ich hörte, wie Tyler eine Melodie auf seinem Keyboard spielte. Ich lauschte ihm und war beruhigt, dass er sich damit etwas von seinen Gedanken ablenkte.

Ich wünschte, ich könnte ihn irgendwie glücklich machen. Doch ich machte es nur noch schlimmer. Wie sollte ich ihn glücklich machen, wenn ich es selbst nicht war?

Ich warf die Scherben in den Müll.

Leise stellte ich mich in den Türrahmen zum Wohnzimmer und beobachtete Tyler, der mich nicht einmal bemerkte. Er schrieb sich immer wieder schnell ein paar Worte auf einen kleinen Zettel, ehe er die Tasten seines Keyboards wieder anschlug. Ich hatte noch nie gesehen, wenn er ein Lied schrieb. Es hatte eine ungewöhnlich beruhigende Wirkung auf mich, weshalb ich ihn lange beobachtete.

"Is the blood mine or yours? Don't wanna do this anymore", sang er leise zu zwei Akkorden.

Mein Magen drehte sich mir um. Ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass ich Tyler alles andere als gut tat. Machte ich alles nur noch schlimmer?

Ich drehte mich um und ging ins Schlafzimmer. Ich legte mich in das Bett und kniff die Augen zusammen. Leise schluchzte ich, als ich mich fest in die Decke rollte.

Øur brains are sick // twenty one pilots Fanfiction // germanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt