Jeremys Arm lag noch immer auf Scarletts Schulter, als sie vor einem schick aussehenden Restaurant stehen blieben. Stirnrunzelnd sah Scarlett an sich hinab. "Ich hab gar nicht das richtige an für so ein Restaurant." Jeremy winkte grinsend ab. "Der Laden sieht nobler aus als er ist." Er öffnete ihr die Tür und lächelte ihr zu. Sca erwiederte das Lächeln sofort und trat ein. Sie befand sich in einem kleinen Vorraum, in dem sich Garderoben und Schirmständer befanden. Dahinter erstreckte sich ein großer Speisesaal mit zahlreichen Holztischen, an denen rote gemütliche Sitze standen. Jeremy ging sofort auf den Thresen zu, hinter dem ein kleiner Mann mit einer kugelrunden Brille stand. "Hallo, ich habe reserviert." "Guten Abend mein Herr, Name?" "Holdman." Der Mann nickte und führte sie zu einem Tisch. Er stand in der Ecke neben einem Fenster. Außer mit dem weißen Tischtuch, war er noch mit zwei brennende roten Kerzen geschmückt, die von Efeu umrankt wurden. "Ich dachte, ein wenige romantische Atmosphäre könnte nicht schaden", sagte der Mann augenzwinkernd und huschte davon. Jeremy grinste und schob Scarlett den Stuhl zurück und ließ sie sich setzen. Bald darauf eilte ein Kellner herbei und reichte ihnen die Speisekarte. Scarlett war nervös. Sie hatte keine Ahnung, über was sie sich mit ihm unterhalten sollte, was sie essen sollte und ob sie sich einfach ein Wasser bestellen sollte. Was, wenn er für sie beide einen Wein bestellte, der ihr dann nicht schmeckte? Entspann dich Sca, es wird sich alles finden. "Weißt du schon, was du trinken möchtest?", fragte Jeremy. Scarlett hob den Kopf und blickte in seine offenen blauen Augen. Sie merkte, wie sie in ihnen versank. Dann fiel ihr ein, dass er sie gerade etwas gefragt hatte und riss sich los. "Äh...ich denke ich nehme einfach ein Wasser." Jeremy nickte. "Es wäre aber auch kein Problem, wenn du irgendetwas anderes möchtest. Wein oder vielleicht ein Bier." Scarlett schüttelte den Kopf und vertiefte sich wieder in die Speisekarte. Sie atmete tief durch. Du sollst dich entspannen, Scarlett! Und schau ihm bloß nicht nochmal in die Augen, sonst gerätst du noch in eine peinliche Situation. Aber er hatte einfach wunderschöne Augen. Diese Farbe...und der krasse Kontrast zu den Haaren. Zum Dahinschmelzen. Stopp, nicht schon wieder mit diesen Schwärmereien anfangen. Scarlett zwang sich dazu, die Speisekarte nun tatsächlich zu lesen und nicht nur wie eine Irre hineinzustarren. Nachdem sie bestellt hatten, begann Jeremy ein Gespräch und Sca fiel auf, dass es ihr viel leichter fiel, sich mit ihm zu unterhalten als gedacht. Schnell wurden die Themen tiefgründiger. Sie erfuhr alles Mögliche über ihn und er alles Mögliche über sie: Seine Eltern hatten eine Firma und waren dementsprechend reich. Jeremy hatte von ihnen jetzt ein kleines Haus mit einem riesigen Garten am Stadtrand bekommen, das sie eine Zeit lang vermietet hatten. Außerdem hatte er von ihnen einen schicken Sportwagen zum Achtzehnten bekommen, mit dem er aber selten fuhr, da es ihm peinlich war. Er hatte eine jüngere Schwester, die vor fünf Jahren abgehauen war und seitdem äußerst selten zu Besuch kam. Sie war die Rebellin in der Familie Holdman und Jeremy meinte, dass er sich manchmal nicht so sicher war, ob er die Firma tatsächlich mal übernehmen wollte, wie sein Vater es stets geplant hatte. Scarlett erzählte ihm davon, dass ihre Mutter in Südamerika ihre Freiheit genoss, ihr Vater irgendwann abgehauen war und dass sie seit sie acht war auf dem Ballettinternat lebte. Sie erzählte ihm auch von ihren Plänen, dass sie darüber nachdachte, das Ballett aufzugeben und studieren wollte. "Ich will alles das machen, was ich verpasst habe. Als ich dich getroffen habe, ist mir das erst so richtig bewusst geworden." Jeremy runzelte die Stirn. "Ich will aber nicht, dass du wegen mir deinen Traum aufgibst, für den du seit zehn Jahren hart arbeitest." Scarlett lächelte und schüttelte energisch den Kopf. "Ich habe meine Entscheidung schon getroffen." Eine Weile schwiegen beide. Schließlich fragte Jeremy leise: "Weißt du dann überhaupt, wo du hinsollst so ohne Eltern?" Scarlett schüttelte den Kopf. "Nein, aber ich will in der Stadt bleiben. Ich finde es sehr schön hier. Ich hoffe einfach, dass ich schnell einen Job und eine Wohnung finde." Jeremy fuhr sich durch die dunklen Haare. "Wenn du willst....also wenn dir das nicht zu früh ist...also...du könntest bei mir einziehen. Das Haus ist zwar nicht groß, aber für zwei Leute ist Platz genug. Ich will dich da auf keinen Fall bedrängen, es kann auch erstmal für ein zwei Woche sein als Überbrückung. Du kannst mal darüber nachdenken." Scarlett starrte ihn völlig überrumpelt an. "Äh, danke." Sie hatte keine Ahnung, was sie darauf sagen sollte. Sie hatte nicht im Geringsten damit gerechnet. Er kannte sie kaum und bot ihr trotzdem an, bei ihm zu wohnen. Irgendwie befremdlich, auch wenn er es mit Sicherheit nur nett meinte.
Es war schon spät, als sie das Restaurant verließen. Jeremy hatte Scarlett sein Sakko um die Schulter gelegt, damit ihr nicht kalt wurde. Der Weg zum Internat war nicht weit und schließlich standen sie vor dem Tor. Das Wohnhaus war noch hell erleuchtet. "Hast du Lust, noch mit zu mir zu kommen?", fragte er nun. "Nein", sagte Scarlett sofort und bereute es im nächsten Moment. Natürlich wollte sie, aber sie fühlte sich in seiner Gegenwart noch nicht so richtig wohl und sie kannte ihn einfach noch nicht gut genug. Da wollte sie nicht gleich zu ihm nach Hause und mit ihm alleine in einem Haus sein. "Also so war das nicht gemeint, aber ich würde jetzt gerne nach Hause. Es war ein anstrengender Tag." Jeremy war enttäuscht, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. "Okay, dann bis irgendwann." Scarlett nickte. Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Womöglich dachte er jetzt, dass sie ihn doch nicht mochte. Jeremy drehte sich um, fuhr sich nochmal durch die dunklen Haare und ging dann mit schnellen Schritten die Straße hinunter. Erst da fiel Scarlett auf, dass sie noch immer sein Jackett anhatte.
DU LIEST GERADE
on Pointe Shoes (fertig und überarbeitet)
RomanceScarlett lebt in einer Ballettschule. Sie liebt das Tanzen so sehr wie nichts, aber der Ballettalltag bietet ebenso Herausforderungen, wie das ganz normale Leben einer jungen Frau. Wo ist der Weg, der für sie bestimmt ist?