* Wiedersehen *

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Am nächsten Tag ging es aus Österreich zurück nach Berlin. Ich fuhr mit meinem Bruder den Tourbus hinterher. Mit hundert km/h konnte die Fahrt etwas dauern. Doch das war egal. Ich schaute wieder die Gegend an, nach den ganzen Alpen wurde es schnell wieder flach und die Massen an Schnee wurden auch weniger und immer mehr braune Wiesenflächen kamen zum Vorschein. Das war hässlich, lieber habe ich, wenn alles schneeweiß und unberührt erscheint. das hat etwas von Reinheit und purem Frieden.
Die zehn stündige Fahrt war wesentlich angenehmer, als ich es mir gedacht hätte. Naja gut, es gab auch viele amüsante Pausen, die wir gemeinsam erleben durften. Zwar blieb ich diskret im Hintergrund, als die Jungs ihre Gags auf diversen Parkplätzen rissen, trotzdem hatte ich unglaublich Spaß. Ich war eh die Beobachterin, die sich alles ganz genau einprägte.
Auf dem letzten Parkplatz bei Beelitz, kurz vor dem Berliner Ring, bei dem sich alle unsere Wege trennten, gab es die letzte Pause. Es war schon wieder stock dunkel und keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Alles schien wie ausgestorben. Vielleicht war auch ein Grund dafür, dass es kein richtiger Rastplatz war, sondern nur ein kleiner Parkplatz, wo diese typischen Metall Klos zu finden waren.
Alle verabschiedeten sich voneinander. Voller Anstand schüttelte ich jeden die Hand. Außer Lukas...
Der zog mich an ihn heran und umarmte mich. Oh mein Gott, ich hatte so lange keinen Mann mehr umarmt, außer meinen Bruder. Es war ein ganz komisches Gefühl. Nie wieder wollte ich einen Mann umarmen, der nicht der Familie angehörte, doch da zog mir der feine Herr Strobel einen Strich durch die Rechnung. Mein Bruder war so überrascht, dass ihm fast die Zigarette aus der Hand fiel.
Als die Lichter des Busses so langsam im Nichts verschwanden, fuhren wir auch wieder los, nachdem mein Bruder die letzten Züge seiner Zigarette paffte.
Zuerst sagte er garnichts, doch das änderte sich schnell, als wir vor der Gabelung doch noch den Bus einmal überholten und ich noch einmal euphorisch rüber winkte.
"Seit wann umarmst du Fremde? Das ist ja was ganz was neues. Oder hab ich was verpasst?", fragte Tom und schaltete das Radio leiser, da er jetzt wirklich noch ein Gespräch beginnen wollte.
Da ich ja bei meinem Bruder nicht so ruhig war, sondern ihm eigentlich alles erzählte, quatschte ich auch nicht lange um den heißen Brei rum. Alles was in der Nacht davor passierte, erzählte ich freudig und immer mit einem ungewollten Grinsen auf den Lippen.
Er kommentierte meine Geschichte nicht, sondern dachte sich seinen Teil. Irgendwann, ein paar Jahre später erst, erzählte er mir, dass er schon damals, vor mir, wusste, dass sich daraus irgendwelche Gefühle entwickeln würden. Er war sogar etwas stolz darauf, dass er mich davon überzeugen konnte, mit auf Tour zu gehen. Tom sah plötzlich eine ganz neue Schwester auf seinem Beifahrersitz sitzen und später auch noch, immer wieder wenn ich Lukas begegnete. Die Lilly, die sich unkontrolliert die Haare Abschnitt und deprimiert in ihrer Kuhle auf dem Sofa saß, war wie weggeblasen. Seitdem er den Job angenommen hatte, war alles anders. Erst die Einrichtung und dann die Gemütslage seiner kleinen Schwester. Er fand sein Leben endlich gut und wusste, er hatte richtig gehandelt, dass er mich nicht in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen hatte.

Ein paar Tage später, um genau zu sein zehn, dass weiß ich noch ganz genau, meldete sich hoher Besuch an. Lukas wollte endlich seine Wünsche mit mir bereden. Ich wirbelte wie ein abgeschossenes Huhn durch das Haus und versuchte jedes noch so kleine Staubkorn zu beseitigen. Alles sollte gut aussehen, wenn wir schon einmal Besuch erwarteten. Tom saß auf dem Sofa, ich glaube schon, dass er von meiner Euphorie leicht genervt war, doch er ließ mich einfach machen. Er wusste zwar, dass ich kein Staubkörnchen mehr finden würde, trotzdem begab ich mich immer wieder auf die Suche danach.
Das ging eine ganze Weile so weiter, bis es endlich an der Tür klingelte und ich wild den Flur hinunterlief und nur laut brüllte: "Ich mach schon auf!"
Ich merkte selber garnicht, wie ich mich verändert hatte, nur, dass es mir in letzter Zeit unwahrscheinlich gut ging und ich immer weniger an meine Schicksalsschläge dachte. Natürlich gab es die Phasen auch, aber viel weniger als noch vor ein paar Monaten. Doch wie ich halt war, schob ich es nicht auf irgendwelche Personen, sondern auf das umdekorierte Wohnzimmer.

"Hallo!", sagte ich freundlich, als Lukas vor mir stand. Er sah so jung aus, als hätte er gerade die Schule beendet. Das er schon einige Zeit auf Bühnen rumhüpfte, traute man ihm garnicht zu.
Ich bat ihn rein und er setzte sich direkt auf meinen Platz auf dem Sofa. Ich wollte nicht wie Sheldon Cooper aus der Big Bang Theory wirken und ihn von "meinem Platz" verjagen, so ließ ich ihn einfach da sitzen und mit etwas komischen Gefühl machte ich mich auf dem Sessel breit. Er war doch bequemer, als ich immer annahm.
Tom brachte Kaffee und Kuchen und ersteinmal wurde der übliche Smal Talk gehalten, den man so macht. Über Wohlbefinden, Tour und über alles.
Dann wurde der Kaffeeklatsch, den sonst nur Rentner hielten, aprubt unterbrochen, als Tom's Handy klingelte.
Sein Chef war dran und er musste für jemand einspringen, der leider krank geworden war. Und nicht erst morgen sollte er nach Köln, nein sofort. Da Tom immer noch in der Probezeit war, machte er das natürlich, immerhin liebte er seinen Job und wollte diesen nicht verlieren.
Schnell half ich ihm seine Sachen zu packen und Lukas musste für kurze Zeit alleine zurecht kommen. Doch ich mag zu bezweifeln, dass es ein Problem für ihn war.
Schnell verabschiedete ich meinen Bruder und er zwinkerte mir noch mysteriös zu, was auch immer das zu bedeuten hatte und dann war ich plötzlich mit Lukas alleine. Ein ganz komisches Gefühl. Immerhin kannte ich ihn ja nicht einmal richtig, wir hatten uns lediglich mit Schnee beworfen und kurz über allgemeine Dinge gesprochen, doch diesesmal war es anders. Wir sollten uns eigentlich über berufliches unterhalten, doch es kam schon wieder alles anders.
Erst war alles noch normal und wir quatschen mal wieder über die selben Themen, die in den Nachrichten besprochen wurden. Doch dann von der einen zur anderen Minute wurde es komisch. Er fragte Dinge, dich mich niemals getraut hätte zu fragen, da sie einfach verdammt persönlich waren.
Er wollte wissen, wieso ich mir meinem Bruder zusammen lebe, das wäre ja schließlich nicht mehr normal mit dem Alter. Ich versuchte diesen Gesprächen aus dem Weg zu gehen und so offen, wie ich gerade noch war, so verschlossen wurde ich jetzt wieder. Wie sollte der angebrochene Tag so nun weiter gehen? Ich war leicht angefressen und ich glaube, das spürte Lukas auch...

Dann stand er einfach so da... (Alligatoah Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt