* Friedhof *

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Ich lief langsam über die nasse Wiese und ich spürte mein Herz pochen. An Lisa's Grab war ich ein paar mal, doch bei Jo noch nicht. War ich deswegen ein schlechter Mensch? Ich weiß es nicht. Ich hatte es bisher nur nie geschafft mich zu überwinden und scheinbar war dieser Zeitpunkt jetzt gekommen.
Langsam ging ich in die hintere Ecke des Friedhofes und da waren die beiden weißen Steine, die wir damals ausgesucht hatten. Beim Anblick blieb ich versteinert stehen und musste einige Male Ein- und Ausatmen, ehe ich wieder in Bewegung kam.
Auch wenn ich nicht schon wieder weinen wollte, war es glaube ich das normalste der Welt, dass plötzlich doch Tränen flossen.
Tom kümmerte sich gut um die Gräber, alle beide waren liebevoll mit Reisig abgedeckt und die Trauerkerzen leuchteten auch.
Meine Knie wurden ganz weich, als ich endlich vor den Gräbern stand. Ich konnte mich nicht mehr halten und ging zu Boden. Nun hing ich da, wie ein Schluck Wasser vor meinen beiden liebsten und heulte alles aus mir raus.
Es war finster und meine Hose auch langsam von der nassen Wiese durchweicht, doch alles war egal. Ich streichelte sanft über beide Grabumrandungen und bekam kein Wort raus. Innerlich tat es mir so leid, dass ich so lange nicht da war. Doch es ging einfach nicht.
Hätten Lisa und Jo mich wirklich aus dem Himmel beobachten können, dann hätten sie es bestimmt verstanden.
"Es tut mir leid!", sagte ich leise und meine Blicke schwankten zwischen den Gräbern hin und her.
Nach einem Moment, in dem ich mich versuchte einzukriegen, begann wieder ein Monolog, den ich hielt, denn ich musste einige Sachen einfach los werden.
Immer noch kniete ich vor den benachbarten Totesstätten und ich hatte es tatsächlich geschafft, meine Tränen etwas zurück zu halten.

Wie geht es euch? Dumme Frage, ich weiß... Wahrscheinlich geht es euch besser als mir, doch es muss ja noch einen Sinn geben, wieso ich noch am Leben bin.
Lisa, ich hoffe dein Papa passt gut auf dich auf, da oben und du genießt eine gute, lockere Erziehung. Aber daran zweifel ich eigentlich nicht, denn Jo ist bestimmt ein guter Papa, der da oben mit unserem Engel spielt und auf es acht gibt.
Jo, es tut mir leid, dass ich es erst heute geschafft habe, dich besuchen zu kommen. Du weißt selber, das ist eigentlich meine Art, aber ich konnte nicht anders. Du bist von uns gegangen und es hat mich kaputt gemacht. Du fehlst so schrecklich... Es ist alles so trostlos und leer. Klar Tom baut mich auch auf, aber es ist nicht das selbe, als wenn du noch hier wärst. Ich liebe dich!
Ich war kurz davor mich neu zu verlieben, aber ich habe dir schon vor der Hochzeit gesagt, ich bleibe dir immer treu. Das ist vielleicht auch das beste, nicht dass ich irgendwann drei Leute hier besuchen muss.
Ich weiß ganz genau, du würdest mir jetzt den Vogel zeigen, aber so bin ich halt nun Mal...
Irgendwann sind wir wieder alle zusammen und essen am Tisch, so wie es die Nachbarn tun.

Irgendwie in dem Dreh redete ich mit den Steinen, die vor mir standen. Ich habe noch nie einen gesehen, der das tat, aber es fühlte sich in dem Moment einfach richtig und gut an.
Ein kalter Wind ließ mich erschauern, ich bildete mir ein, dass es Jo war, der mich wahr nahm. Man redete sich halt viel ein...
Langsam stand ich auf und meine Beine waren nicht mehr aus Wackelpudding. Ich hatte neuen Mut gefunden und entschloss mich mindestens einmal in der Woche meine Liebsten besuchen zu kommen, auch wenn das vielleicht sehr schmerzhaft sein würde. Vieleicht würde es mir ja sogar helfen wieder selbstbewusster zu werden.
Das Selbstbewusstsein, was ich mir die letzten Monate einredete war nicht da, das wurde mir auch bewusst. Es war nur ein kleines Hoch, was mich besuchte.
Ich verließ mit einem letzten Blick den Friedhof und schloss die quietschende Tür wieder. Ich atmete erneut schwer aus und zog noch ein wenig durch die Straßen meines Bezirkes. Es flimmerten nur noch einige TV Geräte in den Häusern, die Lichter waren fast überall schon aus. Es musste schon ziemlich spät sein, doch das war mir egal...
Nun stand ich wieder vor unserem Haus und wühlte nach dem Schlüssel in der Tasche, während ich die Einfahrt hinauf lief.
Als wäre es peferktes Timing gewesen, fing es genau in der Sekunde an zu regnen, als ich die Tür öffnete. Glück für mich, denn einen Regenschirm hatte ich nicht dabei. Wobei, wahrscheinlich wäre es mir in meiner Gemütslage auch egal gewesen, klitsch nass zu werden.
Ich kochte mir einen Cappuccino und wickelte mich in die Decke ein, die das Sofa zierte. Nur mit ein paar Deko Lichtern saß ich in dem Wohnzimmer und pustete den Cappu kalt.
Die Ruhe tat mir gut und die wackelnden Äste vor dem Fenster beruhigten mich noch mehr.
Ich griff zu meinem Handy und ich glaubte kaum, was ich sah. Mehrere verpasste Anrufe und Nachrichten von Lukas. Darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Spielte er ein falsches Spiel mit den Frauen? So richtig vorstellen konnte ich mir das zwar nicht, aber man wusste ja nie. Fakt war allerdings, dass das Thema Lukas schneller wieder durch war, als wir uns kennen lernten.
Ich war doch wirklich dabei mich zu verlieben, sonst hätte ich nicht so einen Gefühlsausbruch vor seiner Wohnung gehabt. Es war schon eigenartig für mich, sodass keine andere Erklärung, als verliebt sein, möglich war.
Oder war es nur ein schwärmen, weil er immer für mich da war in letzter Zeit?
Das Vertrauen zu meinen Gefühlen war dahin.
Ich hielt also das Handy und schon kam die nächste Nachricht rein. Ich schüttelte den Kopf, legte das Handy mit dem Display nach unten auf den Tisch und nahm wieder die warme Tasse zu mir.
Ich schloss die Augen und genoss das pfeiffen des Windes, der draußen herrschte.
Ich war nun wieder auf mich gestellt und das war vielleicht auch besser so...

Dann stand er einfach so da... (Alligatoah Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt