8 - Die Maske fällt Teil 2

3.4K 147 4
                                    

Als sie die Tür öffnet, stehen wir am Ende eines langen Flures. Links wurde viel Platz für einen breiten Torbogen gelassen, durch den man in das Wohnzimmer gelangt. Rechts steht eine hölzerne Schiebetür offen, durch dessen Spalt ich den Herd sehen kann. Vermutlich die Küche. Geradeaus erstreckt sich der lange Gang mit zwei verschlossenen Türen und einer Treppe ganz am Ende. Wir stellen unsere Schuhe an und nachdem wir auch die Jacken aufgehängt haben, folge ich Maja in die Küche. „Möchten Sie etwas trinken?" Ich nicke. „Was habt ihr denn?" „Wasser." Ich trinke den ganzen Tag Wasser oder Kaffee, das muss nicht unbedingt sein. Also frage ich, was sie sonst noch hat und Maja erwidert: „Also Sprudelwasser haben wir auch." Jetzt muss ich anfangen zu lachen und sie stimmt mit ein. Es ist kein aufgesetztes Lachen, was sie sonst oft auf ihrem Gesicht trägt. Nein, ich erkenne, dass es ehrlich gemeint ist, so wie meines und dieses Lachen möchte ich nichtmehr vergessen. Es löst ein wunderbares Gefühl in mir aus.

Nachdem wir beide unser Glas Sprudelwasser in der Hand halten, laufen wir die Treppe nach unten, die am Ende des Ganges liegt. Ich beginne mich schon zu fragen, was sie wohl im Keller machen will aber als sie ihre Tür zu ihrem „Zimmer" öffnet, beantwortet sich meine Frage von selbst. Wir stehen nun in einem großen, lichtdurchfluteten Raum und die stilvolle aber dennoch schlichte Einrichtung aus modernen Schränken, einem Schreibtisch, einer grauen Couch und dem französischen Bett lassen schon gleich erkennen, dass das nur Majas Zimmer sein kann. „Also das hier ist mein Zimmer. Eigentlich eine kleine Wohnung aber mir gefällt es sehr hier", erklärt sie. Wir nehmen auf der Couch Platz und unterhalten uns sehr lange über die Schule und andere Sachen. Mittlerweile habe ich jegliches Zeitgefühl verloren. Genauso, wie ich mich ständig in ihren meerblauen Augen verliere. Sie wirken wie ein unendlich tiefer Strudel mit vielen Geheimnissen, Gefühlen und Gedanken. Eben etwas ganz besonderes. Wir sind schon lange vom Thema Schule angekommen und unterhalten uns gerade darüber, wie ich in den Sommerferien hierher gezogen bin. Davon, dass ich nur wegen meiner Ex Frau hierher gezogen bin, erwähne ich jedoch nichts. Denn das ist eine andere Geschichte. Mir fallen plötzlich wieder die Narben ein, die überall auf Majas Körper verteilt waren. Ich würde gerne wissen, woher sie alle stammen aber ich bin nicht sicher, ob das zu direkt ist, sie zu fragen. Andererseits muss sie mir auch nichts erzählen, wenn sie das nicht will... „Maja?" Sie ist sofort still und sieht mir erwartungsvoll in die Augen. Ok jetzt gibt es kein zurück mehr. Ich muss jetzt fragen. „Ich weiß, dass es mich vielleicht nichts angeht und du musst auch nicht darauf antworten aber... Wo kommen diese ganzen Narben her, wenn ich fragen darf?" Sie sagt nichts, ist ganz still. Lange. Sieht mich etwas erschrocken aber auch nachdenklich an. Gerade will ich meine Frage zurücknehmen und das Thema wechseln doch leise und zittrig finden doch ein paar Wörter aus ihrem Mund: „Vor ein paar Monaten... da hatte ich einen Unfall mit meinem Vater. Ich hab kein sehr gutes Verhältnis zu ihm weil er früher oft nicht da war und wir uns so entfremdet haben. Wir wollten seit längerem mal wieder etwas unternehmen. Er hat über sein Headset telefoniert. Ich weiß nicht, wer es war aber... aber er hat sich mit der Person gestritten, wurde irgendwann dadurch zu sehr abgelenkt und hat weniger auf den Verkehr geachtet. Wir waren schnell unterwegs und als wir von der Spur abgekommen sind, sind wir gegen einen Lastwagen gefahren. Ich hatte mir mehrfach das Bein gebrochen und hatte innere Verletzungen. Mein Vater... er liegt seitdem im Koma und wir wissen nicht, ob er wieder aufwacht." Die letzten ihrer Worte gehen fast komplett in ihrem Schluchzen unter. Es zerreißt mir fast das Herz, sie so weinen sehen zu müssen. Ich nehme sie in den Arm und streiche ihr beruhigend über den Rücken. Nach einer Weile wird ihr Atem wieder gleichmäßig und sie löst sich, zu meinem Bedauern, wieder von mir. „Danke", sagt sie und lächelt leicht. „Es ist mittlerweile spät. Ich weiß nicht, ob Sie noch zum Essen bleiben wollten oder noch was vorhaben? Wir haben noch Essen also ich könnte das kurz machen." „Ich würde sehr gerne noch etwas bleiben", antworte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Offenbar zufrieden mit meiner Antwort steht Maja auf und ich folge ihr zurück in die Küche, in der wir vorhin schon waren. Diese ist ebenfalls sehr stilvoll eingerichtet mit zwei großen Arbeitsplatten, einem Tisch und Barhockern daneben. Als ich nach einer kurzen Toilettenpause wiederkomme, ist sehr viel hergerichtet. Wie hat sie das nur in kurzer Zeit alles geschafft? Der Tisch ist gedeckt, sämtliche Küchengeräte liegen auf der Arbeitsplatte und hinter dieser steht ein blondes, hübsches Mädchen welches mit dem Rücken zu mir steht und am Herd hantiert. Ihre eng anliegende Jeans betont besonders ihre Kurven und der olivgrüne Pulli steht ihr einfach. Er passt wunderbar zu ihren blonden, lockigen Haaren, die sie zu einem wilden, französischen Zopf geflochten hat.

Ich muss wohl schon eine Weile hier am Türrahmen gelehnt haben denn als Maja sich umdreht, um an die Gewürze zu kommen, sieht sie mich intensiv an und ihre Wangen röten sich leicht. Die Uhr, die sie für die Nudeln gestellt hat, piept und der Moment wird unterbrochen. Sie wuselt schnell durch die Küche und meint nur nebenbei ohne mich anzusehen: „Ich hoffe, du magst Nudeln mit roter Sauce. Setz dich ruhig, ich bin gleich fertig." Ich muss sofort grinsen, weil sie dieses Mal ‚du' zu mir gesagt hat. Allerdings sage ich nichts dazu, sondern gebe nur ein „ok" von mir, um mich anschließend auf den Barhocker zu setzen und sie weiter zu beobachten. Kurz darauf kommt sie mit der Schüssel Nudeln zum Tisch aber es stimmt etwas nicht. Sie stoppt mitten im Gehen und verzieht das Gesicht. Ein leiser aber schmerzerfüllter Laut kommt von ihr und ich springe sofort auf, um sie zu stützen. Ich helfe ihr, sich zu setzen. „Maja ich hätte dir doch helfen sollen, es tut mir leid. Bitte setz dich, ich mache den Rest." „Ist schon in Ordnung, es war meine Schuld. Danke", antwortet sie und beschwert sich dieses Mal sogar nicht über meine Hilfe. Es scheint ihr echt nicht gut zu gehen. Ich setze mich neben sie und wir fangen an zu essen. Jetzt redet keiner, denn wir haben beide sehr viel Hunger.

Als wir fertig mit Essen sind und ich Maja überreden konnte, sich auf die Couch zu legen, während ich die Küche aufräume, folgt sie meiner Bitte und verschwindet zurück in ihr Zimmer. Nach einer guten viertel Stunde bin ich fertig und die Küche sieht aus wie neu. Zufrieden schlendere ich den Flur entlang, runter zu Majas Zimmer. Sie scheint mir sehr zu vertrauen. Andernfalls würde sie mich nicht in ihrem Haus in Räumen alleine herum räumen lassen, geschweige denn hier überhaupt herein lassen.

Beim Öffnen der Tür blicken mir sofort zwei Ozeane entgegen und mit einer einladenden Geste ihrerseits finde ich mich gleich darauf auf Majas Couch nieder. Ich habe mich jedoch so schnell gesetzt, dass ich nun halb auf Maja falle, was uns beide lachen lässt. Nachdem wir uns wieder beruhigt haben, bleibe ich trotzdem dicht neben ihr sitzen und frage: „Wie geht es dir jetzt?" Meine Nähe scheint sie sichtlich an Konzentration zu kosten, denn sie antwortet leise und zittrig, haut schon fast ein „Gut. Jetzt geht es mir besser." Da ist so ein gewisser Unterton. Unsere Oberschenkel und Arme berühren sich. Sie sieht so süß aus. Sie sieht mir intensiv in die Augen und wenn ich mich nicht täusche, sehe ich dort auch ein kleines Funkeln. Ich spüre ihren Atem auf meiner Haut und es breitet sich von dort aus eine Gänsehaut über meinen Körper aus. Mir wird langsam heiß und mein Herz rast noch schneller, als es sowieso schon tut. Langsam kommen wir uns näher und mein Verstand verabschiedet sich komplett. Ihr Blick ist abwechselnd auf meine Augen und dann wieder auf meine Lippen gerichtet. Ich beobachte jeden ihrer Gesichtszüge und konzentriere mich immer mehr auf diese wunderschönen rosafarbenen Lippen, die meinen langsam immer näher kommen. Sie sehen so weich aus... wie sie wohl schmecken?Als ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt ist, dreht sie ihren Kopf plötzlich weg und entfernt sich ein großes Stück von mir. „Es- es tut mir leid. Ich äh ich wollte nicht...", versucht Maja sich zu entschuldigen. Was ist nur in mich gefahren? Warum war ich nicht diejenige, die den Moment unterbrochen hat? Wie konnte ich es überhaupt nur so weit kommen lassen? Ich bin verwirrt über mich selbst und über die Situation. Eilig stehe ich auf. „Das hätte nicht passieren dürfen. Ich sollte gehen. Es tut mir leid aber das geht so nicht. Ich bin deine Lehrerin! Du kannst nicht einfach versuchen, mich zu küssen!" Unüberlegt verlasse zuerst den Raum und anschließend mit meinen Sachen auch das Haus. Angekommen in meinem Auto, diesmal jedoch alleine, lasse ich alles noch einmal Revue passieren. Warum habe ich mich in ihrer Nähe nicht besser unter Kontrolle? Wie konnte es zu so einer Situation kommen? Habe ich sie verletzt? Wahrscheinlich schon aber was erwartet sie? Ich bin ihre Lehrerin und das ist verboten. Ich muss das vergessen. Den Nachmittag, die Situation. Ich muss sie vergessen. Das darf nicht noch einmal passieren. Entschlossen starte ich jetzt mein Auto und mache mich auf den Heimweg. Welchen Schaden ich allerdings mit meinem schroffen Verhalten angerichtet habe, war mir nicht bewusst.

Sooo hier mal ein zweiteiliges Kapitel. Hoffentlich gefällt es euch und auch, dass ich mal aus der Perspektive von Kyra Schneider geschrieben habe. Bald gehts weiter aber bis dahin ciao <3

✔️Eine ganz besondere Liebe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt