Kapitel 4

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Schweißgebadet wache ich auf. Das war ein schrecklicher Traum. Ich hoffe es ist keine Wahrsagung auf eine üble Tat. Verstört und immer noch voller Angst lasse ich mich zurückfallen und schließe meine Augen. Der Traum überkommt mich wieder und zwingt mich dazu aufzusehen. Aber anstatt meine langweilige, graue Zimmerdecke zu sehen, schaue ich auf holzige Balken, welche an der Decke befestigt sind. Dieser Raum hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Turnhalle in meiner von Hass übersäten Schule. Ein weiteres Mal setze ich mich auf, um den Raum, in welchen ich mich zu befinden vermag, zu mustern. Es gibt nicht nur eine Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Turnsaal, denn dieser Raum, in dem ich erwacht bin, ist zweifelsfrei der Turnsaal.

Schwankend versuche ich aufzustehen, doch als ich vor mir ihn erblicke, stocken meine Bewegungen und ich schaue ihn entsetzt an. "Was mache ich hier?", frage ich verblüfft, doch er reagiert nicht. Wider Willen stehe ich auf und betrachte den Turnsaal genauer. Es ist nichts verändert, er sieht so aus wie immer. Doch als ich sehe, dass er ein Messer zückt und schelmisch lächelt, weiß ich, dass hier irgendetwas gewaltig schief läuft. "Du wolltest es so.", sagt er, ein höhnisches Lächeln und böse verengte Augen zieren sein Gesicht und schauen durch mich hindurch. Déjà vu. Eindeutig musste das schon einmal passiert sein. Ich spüre es. Im nächsten Moment sehe ich das Messer auf mich niedersausen, erschrocken schließe ich meine Augen und keuche auf.

Eigentlich erwarte ich einen stechenden Schmerz, aber der fällt aus. Aus Angst schon tot zu sein öffne ich erst mein linkes Auge, danach mein rechtes. Er hält das Messer immernoch in der Hand, allerdings ist es blutverschmiert. War es vorher nicht auch schon voller Blut? Ist das ein Traum in einem Traum? Egal was hier passiert, ich will, dass es aufhört. Ein weiteres Mal schaut er durch mich hindurch und da ich denke, etwas sei hinter mir, drehe ich mich hastig um. Doch niemand ist da. Demnach schaue ich zu ihm. Er wirkt souverän. Zu souverän. Langsam mache ich einen Schritt zurück, doch als ich etwas Feuchtes unter meinen Schuhen spüre, springe ich erschrocken zur Seite und schaue gleichzeitig zu Boden.

Auf dem Boden liegt ein zerstückeltes Mädchen. Normalerweise würde ich anfangen zu schreien, aber jetzt verzagte meine Stimme. Das Mädchen ist kreidebleich und im Kontrast mit ihren dunklen Haaren, sieht sie schon fast wie eine Eiskönigin, bestehend aus Schnee, aus. Ihre glasigen, in schmerzerfülltem Grau scheinenden Augen sind erschrocken weit aufgerissen und starren ins Leere. Noch nie zuvor habe ich eine Leiche gesehen. Allerdings empfinde ich weder Mitleid, noch Angst. Ich fühle keine Angst davor, dass das Gleiche mit mir passiert. Langsam aber sicher mache ich mir Sorgen.

Eilig will ich mein Handy herausholen, doch als ich es in der Hand halte, fällt es einfach runter. Durch meine Hand hindurch. Kniend versuche ich es aufzuheben, aber immer greife ich durch das Handy und spüre gleichzeitig ein kleines Kribbeln in meiner Hand. Hilfesuchend schaue ich zu ihm, aber mittlerweile steht er nichtmehr vor mir. Mein Blick fällt voller Verzweiflung auf das Mädchen, als mir etwas auffällt. Sie hat die gleichen Haare, die gleichen Augen, die gleiche Nase, den gleichen Mund, die gleiche Narbe an der Wange und die gleichen Klamotten. Sie ist niemand geringeres als Ich. Sie ist Ich. Oder ich bin sie. Wir sind die selbe Person.

Ich, die AuserwählteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt