42. Abstieg in die Tiefe

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Die Sonne schien gerade aufzugehen, als ich die Augen wieder öffnete und feststellte, dass ich noch immer so dalag, wie ich eingeschlafen war. Gally schnarchte leise vor sich hin und ich erhob mich vorsichtig, um ihn nicht zu wecken.
Meine linke Seite, auf der ich gelegen hatte, schmerzte wegen des harten Bodens und ich streckte mich, bevor ich zum Gitter rüberging und hinaus spähte. Noch konnte ich niemanden sehen, aber ich war sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis jemand uns holen würde, schließlich wollte Nick, dass wir dabei waren, wenn er seinen Plan durchführte.
Und ich behielt Recht. Nur wenige Minuten später, in denen ich den Sonnenaufgang beobachtete, wie ich es schon so oft mit Newt gemacht hatte, hörte ich Schritte, bevor ich die sah, denen sie gehörten.
Newt und Minho kamen in unsere Richtung und ich drehte mich um, um Gally zu wecken. Vorsichtig hockte ich mich neben ihn und berührte ihn an der Schulter.
„Hey, aufwachen. Wir werden hier rausgeholt", flüsterte ich und bekam ein Grunzen als Antwort. Ich versuchte es noch einmal, dieses Mal etwas lauter und kräftiger. Endlich öffnete er die Augen und setzte sich auf, wobei er sich fast wieder den Kopf gestoßen hätte, wenn ich meine Hand nicht dazwischen gehalten hätte.
„Na, gut geschlafen?", fragte ich und lächelte ihn an.
„Hervorragend. Ich hatte erstklassige Gesellschaft." Bei diesen Worten zwinkerte er mir zu und ich boxte ihm gegen die Brust.
Da hörten wir, wie sich jemand an dem Gitter unserer Zelle zu schaffen machte und nur kurz darauf sprang jemand zu uns herunter. Ich drehte mich um, noch immer in der Hocke, weil die Decke so niedrig war, und erkannte Newt, der im Dämmerlicht dastand und uns ansah.
Weil die Sonne ihn von hinten anstrahlte, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, aber ich konnte mir vorstellen, wie er guckte, weil ich so vor Gally hockte und er mir nur wenige Zentimeter gegenüber saß, die Hände auf dem Boden abgestützt. Ich stand auf und ging auf ihn zu, um ihn zu umarmen.
Er schloss mich in seine Arme und drückte mich fest an sich, wobei ich mir ganz genau vorstellen konnte, wie er Gally dabei ansah.
Gut, dass er sein Gesicht nicht sehen kann.
Jetzt löste Newt sich ein wenig von mir, nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich. Ich schloss die Augen und genoss seine Nähe. Ja, ich hatte ihn vermisst, auch wenn wir nur etwa zwölf Stunden voneinander getrennt gewesen waren.
„Leute, ich unterbreche euer Wiedersehen ja nur ungerne, aber wir sollten jetzt echt was essen gehen und dann rüber zur Box, bevor Nick uns für's zu spät kommen noch alle vier hier rein wirft."
„Was hast du denn, Minho? Das wäre doch gemütlich." Gally lachte, stand auf, schlüpfte an uns vorbei, wobei er mir zuzwinkerte, und kletterte aus der Zelle heraus.
Als nächstes kletterte ich heraus – Minho half mir, weil ich ziemlich kraftlos war – und zuletzt kam Newt zu uns hoch.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zur Küche, wo es herrlich nach Rühreiern roch. Newt nahm meine Hand und ließ sie erst wieder los, als wir bei Fry Pan angekommen waren, um uns unser Frühstück abzuholen.
„Womit haben wir denn dieses Festmahl verdient, Fry?", fragte Gally, als wir uns an einen freien Tisch setzten.
„Nick wollte, dass ich an unserem letzten Morgen hier mal etwas Besonderes mache."
Diese Antwort gefiel Gally nicht, er verzog das Gesicht und aß fast nichts von seinem Teller, bevor er stumm aufstand und verschwand.
„Was ist denn mit ihm los?", fragte Minho mit vollem Mund und sah ihm verwirrt nach.
Ich zuckte mit den Schultern. „Er will hier nicht weg."
„Tja, dann soll er doch hier bleiben! Niemand zwingt ihn, mitzukommen. Schließlich sind wir bald frei." Nick ließ sich, völlig untypisch für ihn, neben mir auf den nun freien Stuhl fallen und begann, Gallys Rührei zu essen.
Ich sah ihn verwirrt an, aber anstatt eine spitze Bemerkung zu machen, fragte er: „Hattet ihr eine gute Nacht im Bau? Sorry, dass ich euch da rein schicken musste, aber irgendwie musstet ihr ja zur Vernunft gebracht werden." Er lachte mich an und schaufelte die Eier in seinen Mund.
„Das scheint ja nicht sonderlich gut funktioniert zu haben, Gally will ja immer noch hier bleiben", murmelte Newt, sodass nur ich neben ihm und Minho, der ihm gegenüber saß, es hören konnten.
Als Nick das Rührei aufgegessen hatte stand er auf, brachte Fry Pan den Teller und machte sich auf den Weg Richtung Box, wobei er uns zuzwinkerte.
„Also der Typ hat 'ne Vollklatsche, wenn ihr mich fragt." Minho sah ihm verständnislos nach.
„Das werden wir gleich sehen, richtig?", fragte Newt.
Er hatte Recht. Gleich würde sich herausstellen, ob Nick wirklich verrückt war, oder ob er da unten wirklich einen Ausgang finden würde.
Die Sirene, die die Box ankündigte, ertönte und wir brachten unsere Teller zum Tresen, bevor wir zusammen mit Fry Pan als letzte zur Box liefen.
Wie jedes Mal öffneten zwei Lichter – heute waren es Winston und einer seiner Schlitzer – die Klappen und jeder sprang hinein, für den etwas darin lag. Die Baumeister – ohne Gally – waren die letzten, die ihre Materialien herausholten, während Alby, Clint und Jeff Nick ein selbstkonstruiertes Gebilde aus Seilen zur Sicherung anlegten.
Ich spürte, wie mein Herz immer schneller schlug, als die Box herunter fuhr, die Klappen allerdings offen blieben, und Nick sich auf die Kante setzte. Wir stellten uns um den Schacht herum auf und jetzt tauchte auch Gally auf, stellte sich ein Stück weit abseits hin und verschränkte die Arme vor der Brust.
Einige Lichter wünschten Nick viel Glück, andere – so wie wir – schwiegen und sahen dem ganzen mehr mit Angst als mit Euphorie entgegen. Ich wusste nicht, was Nick da unten erwarten würde, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es am Ende so einfach sein sollte, hier heraus zu kommen.
Newt legte mir einen Arm um die Taille, Chuck, der zu uns gestoßen war, griff nach meiner rechten Hand, Minho, der hinter uns stand, legte ihm und mir jeweils eine Hand auf die Schulter und Fry Pan, der ebenfalls noch immer bei uns war, schüttelte unaufhörlich mit dem Kopf. Ich sah zu Gally herüber und unsere Blicke trafen sich, wobei er mich finster ansah. Er stand noch immer etwas abseits und wandte seinen Blick nicht einmal von mir, auch nicht als Nick begann, den Schacht hinunter zu klettern.
Ich hingegen sah angespannt zu, wie unser Anführer von Alby abgeseilt wurde und immer tiefer in die Dunkelheit kletterte.
Das kann nicht gut gehen, irgendetwas wird passieren.
Meine Gedanken spukten durch meinen Kopf, aber Nick kletterte immer tiefer und tiefer und nichts Schlimmes geschah.
Das Seil wurde immer kürzer und ich fragte mich schon, ob es überhaupt reichen würde, als es passierte. Ein erstickter, weit entfernter Schrei war aus dem Schacht zu hören, dann ein Geräusch, wie ich es noch nie gehört hatte, als würde man etwas zersägen, und ein Ruck an dem Seil.
Alle waren wie erstarrt und sahen Alby an, der ebenfalls starr da stand. Es dauerte etwas, bis er sich wieder fing und vorsichtig rief: „Nick? Nick, ist alles in Ordnung?"
Keine Antwort. Noch einmal: „Nick? Mann, sag schon was!"
Aber wieder bekam er keine Antwort und der kleine Chuck, der nun nicht mehr meine Hand, sondern meinen kompletten Arm hielt, war der erste, der etwas Intelligentes von sich gab.
„Sollten wir ihn nicht hochziehen?", fragte er leise, aber jeder konnte ihn hören, weil sonst keiner ein Geräusch machte. Kurz waren alle Augen auf ihn gerichtet, was ihn rot werden ließ, aber dann sahen wieder alle Alby an, von dem sie eine Reaktion erwarteten.
Dieser schüttelte einmal mit dem Kopf, als müsse er wieder zur Vernunft kommen, und nickte dann. „Ja, Chuck, du hast Recht. Winston, Zart, helft mir mal!" Die beiden Hüter traten zu ihm und gemeinsam begannen sie, das Seil wieder hochzuziehen.
Desto mehr sie herauszogen und desto näher Nick kommen musste, desto mehr Angst bekam ich vor dem, was uns jetzt erwartete. Noch immer sah Gally mich an, als zählte für ihn nichts, als meine Reaktion. Ich starrte zurück und versuchte, seinem Blick standzuhalten, wurde allerdings durch ein lautes Lufteinsaugen von Newt neben mir abgelenkt. Ich sah erst ihn an, dann zum Schacht und der Anblick, der sich mir dort bot, brannte sich derartig in mein Gehirn, dass ich ihn mit Sicherheit nie wieder vergessen würde.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt