45. Kampfgeist

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Es hatte einige Tage gedauert, bis wieder einigermaßen Routine in alles auf der Lichtung gekommen war. Alby hatte die Aufgabe des Anführers übernommen, nachdem wir einstimmig abgestimmt hatten. Außer Newt wäre sowieso niemand in Frage gekommen und der hatte sich gar nicht erst zur Wahl aufstellen lassen.
Gleich am nächsten Tag nach dem 'Vorfall', wie wir begonnen hatten, es zu nennen, waren wir wieder alle Mann ins Labyrinth gegangen und hatten dort weiter gemacht, wo wir zwei Tage zuvor aufgehört hatten – was bedeutete, dass wir einfach weiter durch die Gänge gelaufen waren und den geöffneten Abschnitt durchsuchten.
Auch die anderen Lichter hatten so normal wie möglich weiter gemacht, aber man hatte an der Gesamtstimmung gemerkt, dass es anders war, als vor dem Vorfall. Die Gespräche waren kürzer, gelacht wurde leiser und in den Gesichtern von jedem Einzelnen konnte man das Geschehene sehen.
Sogar Gally war anders als sonst, auch wenn ich wusste, dass er insgeheim froh war, dass Nick keinen Ausgang gefunden hatte. Aber dass etwas so schlimmes passierte, hatte er garantiert nicht gewollt, dafür war selbst er nicht hart genug.
Eine Woche nach dem Vorfall war die Box wie immer hochgekommen und hatte Materialien und Lebensmittel gebracht. Als die Baumeister gerade dabei waren, ihre Sachen heraus zu räumen, hatte einer von ihnen plötzlich vor Entsetzen aufgeschrien, war aus der Box gesprungen und hatte sich übergeben – zumindest erzählte Chuck mir dies später. In der Box, zwischen den Sachen für die Baumeister, hatte eine Überraschung für uns gelegen – der Junge hatte mitten in Nicks untere Hälfte gefasst, als er einen Holzbalken anheben wollte.
Als wir am Abend aus dem Labyrinth gekommen waren, hatte Alby verkündet, dass wir uns in zehn Minuten im Versammlungsraum treffen würden. Bevor Minho und ich uns dorthin aufgemacht hatten, hatte Chuck uns abgefangen und aufgeregt erzählt, was am Vormittag passiert war. Deshalb waren wir vorbereitet, als wir jetzt die Versammlungshütte betraten und dort die untere Hälfte unseres ehemaligen Anführers aufgebahrt war.
Trotzdem musste ich mich zusammen reißen, damit ich nicht laut nach Luft schnappte oder mich gar übergab. Wir waren die letzten, die den Raum betraten, deshalb setzten wir uns in die hintere Reihe, womit ich absolut einverstanden war, denn ich wollte nicht unbedingt näher an die Leiche heran.
Alby stand in der Mitte, neben Nicks Beinen und wirkte stark und nicht so, als stände er gerade neben seinem toten besten Freund. Ich konnte mir vorstellen, wie sehr er sich gerade zusammen riss.
Ich versuchte so selten wie möglich hinzuschauen, aber allein die Vorstellung, löste einen Würgereiz bei mir aus. Newt, der neben Alby stand, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah ebenfalls ziemlich gefasst aus, auch wenn ich ihm ansehen konnte, dass er sich innerlich genauso fühlte wie ich.
„Wie ihr alle mitbekommen habt, wurde uns heute eine Art Geschenk von unseren Schöpfern hoch geschickt. Ich denke, dass ich das nicht besonders ausschmücken oder erklären muss, aber eines wollte ich euch mitteilen, deshalb habe ich euch zusammen gerufen. Als Newt und ich die Leiche untersucht haben, haben wir in seiner Tasche einen Zettel gefunden, der nicht von ihm war. Sie müssen ihn dort hinein getan haben." Er holte einen Zettel aus seiner Hosentasche und ich war gespannt, was die Schöpfer uns zu sagen hatten.
„Das passiert mit denen, die gegen die Spielregeln verstoßen."
Es herrschte Totenstille und alle warteten darauf, dass Alby weiter las, aber das schien es bereits gewesen zu sein.
„Ist das ihr Ernst? Nach fast vier Jahren, die du und Nick hier wart, schicken sie uns eine Nachricht und mehr steht nicht drinnen?" Winston war aufgestanden und sah entrüstet zu Alby.
„Erst bringen sie unseren Freund um und dann kommt so eine beklonkte Belehrung?" Auch Minho neben mir war aufgestanden.
Jetzt gab es kein Halten mehr und die Hüter schrien durcheinander und man verstand kaum, was sie riefen. Alle waren aufgestanden, nur ich saß noch und starrte nachdenklich auf den Boden, während ich versuchte das Geschrei auszublenden.
„Jetzt seid still!" Ich war aufgestanden und hatte lauter geschrien als alle anderen zusammen. Sofort verstummten die Jungen um mich herum und alle sahen mich an.
„Versteht ihr es denn nicht? Das soll keine dumme Belehrung sein, das ist eine Drohung. Wenn wir anfangen, uns gegen sie zu wehren, dann sind wir diejenigen, die sterben werden. Sie wollen uns zeigen, dass sie es sind, die uns in der Hand haben. Und wir können nichts dagegen tun, schließlich wissen wir nichts über sie. Ein Feind ohne Gesicht ist gefährlicher als hundert mit Gesicht."
Zuerst sagte niemand etwas, dann sagte Winston: „Wir kennen ihren Namen. WICKED."
„Wir wissen nicht, ob das ihr Name ist. Und selbst wenn, was bringt es uns denn? Wir wissen trotzdem nicht, was sich dahinter verbirgt." Newts Stimme war ruhig und er stand noch immer genauso da, wie am Anfang.
„Es muss auf jeden Fall etwas großes sein, sonst würden wir jetzt nicht hier sein", murmelte Fry Pan, aber alle hörten es, denn es war wieder totenstill.
„Genau. Ich meine, seht euch hier mal um, die haben das alles gebaut." Zart war der erste, der sich wieder hinsetzte, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Aber deshalb können wir doch jetzt nicht einfach so aufgeben. Wir können die doch nicht gewinnen lassen, Leute." Auch Winston setzte sich wieder hin.
Langsam kehrte wieder Ruhe ein und alle setzten sich, außer Alby und Newt.
„Und was sollen wir deiner Meinung nach tun, Winston?", fragte Minho.
Der Schlitzer zuckte mit den Schultern und sah zu Boden.
„Ich meine, ganz ehrlich Leute, ihr habt leicht reden. Wir rennen jeden Tag ins Labyrinth und suchen einen Ausgang, immer mit der Gefahr, dass uns ein Griever schnappt. Ihr hängt hier ab und seid in Sicherheit."
„Was willst du damit sagen, Minho? Meinst du, wir sitzen den ganzen Tag nur da und drehen Däumchen?"
Ich hatte noch nie erlebt, dass Clint wütend war, aber dieses Mal hatte er auch allen Grund dazu. Ich konnte verstehen, wie Minho sich fühlte, aber es war auch nicht richtig, so zu tun, als wären wir die einzigen, die etwas taten.
„Hey, hört auf. Es bringt doch nichts, sich zu streiten. Ja, es ist gefährlich was wir machen, aber jeder trägt hier seinen Teil bei und wenn die Anderen nicht wären, wären wir auch ziemlich aufgeschmissen, wie andersherum. Wir brauchen uns gegenseitig."
Ich versuchte, die Situation zu beruhigen, was anscheinend auch einigermaßen gelang, denn Minhos Haltung entspannte sich wieder etwas neben mir.
„Anna hat Recht. Wir sollten alle an einem Strang ziehen und uns überlegen, wie wir diese Strünke von WICKED oder wie sie heißen, überlisten", meinte Fry Pan und ich nickte ihm dankbar zu.
„Es gibt nichts, was wir anders machen können. Wir müssen weiter machen und hoffen, dass wir eines Tages einen Ausgang finden werden. Wir haben tolle Läufer, die ihn entdecken werden, wenn er da draußen ist und gleichzeitig dürfen wir nicht aufhören wachsam zu sein und unsere Augen aufzuhalten. Bis dahin erwarte ich von euch, dass ihr euer Bestes gebt, egal was ihr macht, und vor allem, dass ihr fair und gut zum Anderen seid." Damit schien die Diskussion für Alby beendet zu sein, denn er wandte sich an Gally, der die ganze Zeit nicht ein Wort gesagt hatte.
„Gally, bitte hol deine Baumeister und tragt den Sarg noch einmal hier herüber, damit wir Nick seinen zweiten Teil geben können. Der Rest darf gerne essen gehen oder was ihr sonst so vorhabt. Bis morgen und gute Nacht."
Stumm standen wir auf und verließen die Hütte. Den ganzen Abend dachte ich an Albys Worte und daran, dass da Menschen waren, die uns hier her geschickt hatten. Seit der Nachricht war diese Tatsache viel klarer als vorher und irgendwie fühlte ich mich beobachtet.
Als ich am Abend neben Newt lag und verträumt durch seine Haare strich, dachte ich noch immer daran. Auch als er mich dann küsste und näher an sich heran zog, wurde ich das Gefühl nicht los, das man uns beobachtete, was völlig verrückt war, weil wir uns in einer von Gally gebauten Hütte befanden und niemand hier eine Kamera oder ähnliches hätte installieren können. Trotzdem fühlte ich mich die ganze Zeit beobachtet, auch als wir uns wieder voneinander lösten und Newt sich neben mich fallen ließ, ein wenig außer Atem.
Ich zog mir eines seiner Oberteile an, sog seinen Geruch in mich ein und kuschelte mich dann an ihn. Als er schon eingeschlafen war, lag ich noch da und sah zur Decke hoch, immer noch in Gedanken bei denen, die irgendwo saßen und über uns Bescheid wussten, uns aus irgendeinem Grund hier hinein gesperrt hatten und jetzt zusahen, wie wir einer nach dem anderen starben.
Irgendwann schlief ich dann doch ein, nur um von einem großen Monitor zu träumen, auf dem ich beobachtete, wie Gally und Newt auf der Lichtung eingesperrt waren.
Bei mir waren ein Mädchen und ein Junge, deren Namen ich nicht kannte und deren Gesichter ich nur verschwommen sah. Ich wusste nicht, ob sie meine Freunde oder meine Feinde waren, aber eins war klar, wir machten das Gleiche, wir beobachteten die Lichter auf der Lichtung. Ich konnte Gally sehen, wie er eine Hütte baute, die aussah wie unsere Versammlungshütte, Newt, wie er zusammen mit Alby und Nick irgendetwas aufzeichnete und Fry Pan, der in der Küche stand und kochte.
Die ganze Zeit wusste ich nicht, ob es ein Traum oder eine Erinnerung war, aber ich hatte wieder dieses komische Gefühl, das ich auch bei den letzten Malen gehabt hatte, als ich einen derartigen Traum hatte.
36 Monate und 14 Tage.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt