Kapitel 4: Streicher

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"Ihr seid Thranduils Sohn, der Elbenprinz, liege ich richtig?"
Endlich fand Legolas seine Sprache wieder. "Ja. Und wie lautet Euer Name?"
"Die Leute nennen mich Streicher.", kam zur Antwort.
Streicher? Das war...genau. Das war exakt der Mann, den er suchte. Also, manchmal gab es auch gute Überraschungen.
"Streicher...", murmelte er.
Der Mann nickte abermals.
"Doch dies ist nicht Euer wahrer Name."
Schweigend sah Streicher ihn an. "Nein. Ist er nicht.", sagte er dann. "Ich bin Aragorn, Arathorns Sohn, Erbe von Isildur."
Legolas neigte respektvoll den Kopf. "Mein Vater schickt nach Euch."
Dem Waldläufer wurde schon alles klar. "Ich werde kommen. Doch das hat Zeit. Die nahen Dörfer und Städte werden immer wieder von Orks geplündert. Die Menschen leiden Hunger, Durst und Kälte. Zuerst muss ich ihnen helfen."
"Dann werde ich mit Euch kommen. Zu zweit stehen die Chancen besser.", erwiderte der Elb ohne zu zögern.
Aragorn stimmte zu.
Da es jedoch bereits Nacht war, beschlossen sie, erst am nächsten Tag aufzubrechen und noch ein wenig zu schlafen.
Sie ließen sich auf etwas Moos nieder und Legolas hielt Wache. Streicher war bald eingeschlafen und sah irgendwie friedlich aus.
Der Elb musterte ihn. Die dunkelbraunen schulterlangen Haare hingen ihm teilweise ins Gesicht. Seine Kleidung war schlicht und praktisch, außerdem dunkel, sodass er sich gut tarnen konnte. Das war eindeutig ein Waldläufer.
Legolas wunderte es etwas, dass sie so schnell von Fremden zu fast Vertrauten geworden waren. Vermutlich hatte der gemeinsame Kampf dazu beigetragen. Und irgendein Gefühl sagte ihm, dass er Aragorn vertrauen konnte. Sein Vater hatte außerdem gesagt, dass dieser Mann einmal ein Großer werden konnte.

In der Nacht tauchten keine weiteren Orks auf. Legolas saß die ganze Zeit wach und dachte an Tauriel. Der Schmerz war noch lange nicht vorbei. Er war sich sogar sicher, sie nie vergessen zu können. Dafür bedeutete sie ihm zu viel. Sein Herz war gebrochen, auch wenn er es versteckte. Der Schmerz fraß sich in ihn hinein wie in eine Wunde. Es tat weh, sie zu verlassen, und in Gedanken ertappte er sich immer wieder, wie er sich ausmalte, was geschehen wäre, hätte sie den Zwerg nicht getroffen. Vielleicht hätte Thranduil ihnen eine Beziehung erlaubt. Das war unwahrscheinlich, Legolas kannte seinen Vater, doch er hätte immer noch mit Tauriel fliehen können. Hör auf, in der Vergangenheit zu leben. Es wird nie eintreten., sagte er sich. Doch sosehr er sich auch bemühte, er sehnte sich immer noch nach ihr.

Am nächsten Morgen erwachte er durch ein Rütteln an seiner Schulter. Erschrocken fuhr er hoch. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er eingeschlafen war.
Aragorn stand vor ihm, mit blitzenden Augen, feuchtem Haar und einem leichten Grinsen. "Auch Düsterwaldelben müssen also mal schlafen."
Legolas grinste unwillkürlich zurück und fragte sich, warum sie sich so gut verstanden. Dann fiel ihm etwas auf. "Ihr sagtet Düsterwaldelben. Kennt Ihr die Elben aus Bruchtal und Lórien?"
Erinnerungen traten in seine Augen, als der Waldläufer sprach. "Bruchtal war mein Zuhause. Ich bin bei Herrn Elrond aufgewachsen."
Legolas nickte interessiert. Deswegen war ihm der Kampfstil so elbisch vorgekommen - Streicher hatte in seiner Kindheit bei Elrond gelebt.
"Gestern Nacht waren keine Orks mehr in der Nähe. Es scheint, als hätten sie sich zurückgezogen.", berichtete er.
Aragorn schüttelte den Kopf. "Sie sind noch hier."

In den nächsten Wochen zogen sie gemeinsam umher, bezwangen alle Hindernisse (meist in Form einer Truppe Orks, aber auch ein unüberwindbarer Fluss gehörte dazu) und wurden langsam so etwas wie Freunde. Sie begannen allmählich, sich zu vertrauen, und lernten sich besser kennen. Mittlerweile hatten sie auch die höfliche Anrede hinter sich gelassen.
Legolas mochte den Waldläufer schon nach ein paar Tagen. Er brachte ihn auf andere Gedanken und die beiden ergänzten sich perfekt. So hatten sie schon einige Dörfer von Orks gesäubert.
Als sie nach ein paar Wochen in das Dorf kamen, in dem das Wirtshaus stand, in welchem Legolas gewesen war, scheute sich der Elb etwas, dieses Gasthaus noch einmal zu betreten. Er erzählte Aragorn von dem "Vorfall" und sie beschlossen, lieber einen Bogen darum zu machen.

Abends saßen sie im Wald, hatten oft ein Feuer entzündet und sprachen über längst vergangene Zeiten. Aragorn bemerkte recht schnell, dass Legolas etwas bedrückte. Er hatte mitbekommen, dass der Elb oft in Gedanken versunken war und dabei eine traurige Miene aufgesetzt hatte.
Eines Abends sprach er ihn endlich darauf an.
"Legolas. Ich sehe, dass etwas auf deiner Seele lastet. Was ist es, das dich so traurig macht?"
Er klang so ehrlich besorgt, dass Legolas innerlich lächeln musste.
"Es ist..." Konnte er es dem Waldläufer sagen? Er entschied sich, ihm zu vertrauen. Vielleicht konnte Aragorn ihm sogar helfen, es erträglicher machen? Aber nein. Das konnte niemand.
"Bevor ich aufbrach, kämpfte ich in der Schlacht der fünf Heere an der Seite einer Elbin. Sie war mir sehr ans Herz gewachsen. Doch sie war einem der Zwerge sehr zugetan. Er starb, und sie trauerte um ihn. Ich konnte sie nicht trösten, denn der Schmerz... war zu groß. Dann schickte mich mein Vater auf diese Mission und ich habe sie seitdem nicht wiedergesehen."
Ein paar Sekunden schwiegen sie. Legolas starrte traurig in die knisternden Flammen, während Aragorns Gesicht Mitleid zeigte.
"Elben lieben nur ein einziges Mal im Leben, danach nie wieder.", flüsterte der Waldläufer. Legolas nickte.
"Wie konnte sie dir das antun?", fragte Aragorn. Der Elb tat ihm so unendlich leid. Elben waren liebende Geschöpfe, sie konnten durchaus an einem gebrochenen Herzen sterben.
"Liebe kann man nicht beeinflussen.", hauchte der Elbenprinz.
Aragorn seufzte zustimmend. Fast schon instinktiv rückten sie näher zusammen. Sie brauchten einander. Hier in der Einsamkeit der Wälder war es nur gut, einen Gefährten dabeizuhaben.

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