Plan B

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„Er sitzt nur mürrisch in seinem Zimmer. Ach Frank! Ich weiß mir keinen Rat mehr mit dem Jungen."

Meine Mutter jammerte mal wieder. Leise hatte ich mich durch den Flur manövriert und vor meines Vaters Arbeitszimmer halt gemacht. Die Tür stand eine Handbreit offen, so dass ich beide gut hören konnte.

„Marie. Mach dir keine Sorgen. Wenn nichts klappt, werden wir noch einmal über Plan B nachdenken müssen. Dann müssen wir dem Rat des Therapeuten befolgen. Anders geht es nicht."

„Frank!"

„Was? Der Junge ist nicht ganz bei Sinnen. Er braucht die richtige Pflege. Oder willst du daheim bleiben - dich um ihn kümmern, bis du alt und grau bist?"

Meine Mutter fing an zu weinen. So wie sie es immer tat, wenn ihr die Argumente ausgingen. Ich fragte mich, wie Plan B aussehen würde? Würden sie mich in einem Heim unterbringen? Wieder verkrampfte ich meine Finger - bohrte sie in meine nutzlosen Beine.

„Theo? Was machst du denn hier auf dem Flur?"

Es war Julia, die mich ansprach und ich erschrocken zu ihr aufsah - meinen Finger rasch an meine Lippen legte, um ihr zu signalisieren, sie solle leise sein.

„Was ist denn los? Na komm. Ich bringe dich zurück in dein Zimmer. Die Pflegerin kommt jede Minute, um dich zu waschen."

Wortlos, ließ ich mich in die Rückenlehne sinken. Julia drehte den Rollstuhl in die entgegengesetzte Richtung und alles was ich noch hörte war, dieses verdammte quietschen der Gummireifen auf dem dunklen Kirschholzparkett.

Elaina kam herein. Sie war seit drei Monaten, jeden Morgen und Abend zur Stelle, um mich zu waschen. Sie setzte mich in die Wanne, half mir beim abtrocknen und eincremen der Narben. Die auf beiden Seiten, meine Beine entstellten. Eine weitere Narbe trug ich auf der rechten Seite meines Schulterblatts, sie verlief senkrecht bis zu meiner Hüfte. Ich war ein abstoßendes Monster. Mehr nicht.

„So, das hätten wir. Magst du noch etwas im Stuhl sitzen bleiben? Oder schon ins Bett? Ich habe dir etwas mitgebracht. Das Buch, von dem ich dir erzählt habe."

Na ganz große Klasse. Weil mich das ja auch so interessierte!

Elaina packte mich unter den Armen und hievte mich bei drei vom Rollstuhl in mein Bett. So hatte sie es mir beigebracht. Emotionslos ließ ich alles mit mir machen. Was blieb mir auch anderes übrig?

Die graue Wolldecke auf meinem Bett, zog ich mir über die Beine und beobachtete die Blondine, wie sie in ihrer Handtasche herum kramte. Sie suchte sicher nach dem langweiligen Buch, von dem sie mir seit Tagen, die Ohren voll gelabert hatte. Es ging um einen alten Mann und einen Wal!

Frustriert atmete ich ein und mit einem genervten Seufzen wieder aus.

„Was? Denkst du es ist ein langweiliger, alter Schinken? Dann hast du dich aber getäuscht. Lies es und dann, wenn du fertig bist, reden wir darüber."

Reden! Reden! Reden! Warum wollten alle mit mir reden!? Warum verstanden sie nicht, dass ich nichts zu sagen hatte?!

Ihre langen, zierlichen Finger nahmen das Buch von meinem Schoß und legten es auf den Tisch neben meinem Bett. Auf diesem Stand ein Bild von mir und einigen meiner Freunde. Ich betrachtete es kurz, dann sah ich weg.

„Du warst ein Schwimmer?" Elaina nahm das Bild, das uns auf der Siegertreppe zeigte. „Du bist ein hübscher Kerl. Hast du eine Freundin?"

War das ihr Ernst!? Meine Geduld war mittlerweile am Ende, es fehlte nicht viel und ich würde vor Wut schreien.

Die Blonde sah mich aus blauen Augen an und lächelte. Langsam stellte sie das Bild zurück an seinen Platz.

„Ich muss los. Bis morgen früh, Theo."

Ich sah sie nicht mal mehr an, als sie ging und leise die Tür hinter ihr ins Schloß klickte.

Six reasons to liveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt