In luftigen Höhen

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„Wie kam Mum darauf mich mit dir einkaufen zu schicken?" Kennedy schob mich durch die Gänge des Supermarkts, dabei wäre ich lieber mit ihm am Strand.

„Julia ist krank und deine Mum muss ein paar Stunden länger arbeiten. Da habe ich uns angeboten." Gerade wollte ich ihm etwas boshaftes an den Kopf werfen, als seine Aufmerksamkeit von etwas anderm auf sich gezogen wurde und er mich einfach mitten im Weg stehen ließ.

Meine Augen scannten die Umgebung da entdeckte ich meine liebste Sorte Kartoffelchips. Langsam rollte ich an das viel zu hohe Regal und stellte die Bremse fest. Ich beugte mich nach vorne und reckte mich dabei. Doch egal wie sehr ich mich anstrengte. Ich kam nicht an sie heran.

„Warte, ich helfe dir." Eine mir wohl bekannte Stimme ließ mich herumfahren. Sofort mahlten meine Kiefer und ich sah zu Boden.
„Deine liebste Sorte, hm?" Ethan legte die Tüte in meinen Schoß und wartete auf eine Reaktion. Da konnte er lange warten.
„Deine Mum sagt, du wirst ab nächsten Monat wieder zur Schule kommen."

Ich atmete schwer und sah ihn an. Sein blondes Haar war noch heller als sonst. Wahrscheinlich weil er die letzte Zeit viel draußen, auf dem Wasser war. Die Sonne bleichte seinen Schopf und bräunte seine Haut. Seine hellen Augen blieben an meinem Gesicht hängen.

„Was interessiert es dich? Habe ich nicht gesagt du kannst mich mal?"

Ethan schwieg, nickte einmal kurz, dann wandte er sich von mir ab und ging, wobei seine Schritte sich zunehmend beschleunigten.

„Ja renn! Du Wichser!"

Kennedy kam und hatte eine Tüte mit frischem Obst in der Hand, in der andern hielt er einen Apfel, in den er geräuschvoll hinein biß.

„Wichser? Wer war das?"

„Niemand. Jemand den ich mal kannte. Lass und hier verschwinden. Ich will heim!", knurrte ich und löste die Bremse. Die Chips warf ich zu Boden und rollte davon.

„Oh, so reizend ist er heute wieder." Kennedy hob die Chips vom Boden und kam zu mir an die Kasse. Dort warf er den Einkauf aufs Kassenband und sah mich immer wieder von der Seite an.

„Glotz nicht, sondern mach!" Warum ich gerade so wütend war und es ausgerechnet an ihm ausließ, wusste ich nicht.

Kenny bezahlte, dabei unterhielt er sich hin und wieder mit der jungen Kassiererin. Nur allein ihr Blick, von mir zu ihm und dann ihr dümmliches Grinsen. Meine Zähne knirschten. Musste er bei jeder dahergelaufene Bitch gleich auf Flirtmodus gehen?

Endlich gingen wir. Besser gesagt, er ging. Ich rollte hinter ihm her. Mittlerweile leckte er an einem Eis. Wie viel konnte dieser Mensch am Tag essen? Wenn ich an mein Frühstück denke, das er zur Hälfte gegessen hatte. Mein Mittag will ich mal nicht erwähnen. Den Hotdog, die Chillifritten, den Apfel und jetzt noch das Eis! Wo steckte er das bloß hin?

„Lust ein bisschen zu spazieren?", fragte er und warf den Kofferraumdeckel zu.

„Nein. Ich will heim. Ich bin müde."

„Müde? Von was? Vom herum Meckern?" Er lachte und ich presste meine Lippen zur schmalen Linie; stieß genervt meinen Atem durch beide Nasenlöcher.
„Im Bett sterben die Leute. Das sagte meine Mutter immer. Und sie hatte recht. Sie ist im Bett gestorben."

Dies erzählte er so sorglos, das ich erstaunt war. Als würde er davon reden, dass sein Hamster gestorben war. Er schob mich etwas die Straße entlang in Richtung Park. Zuerst wollte ich Protest einlegen, doch was würde es bringen? Er tat nie das was man von ihm verlangte.

„Wann ist deine Mum gestorben?", fragte ich. Es interessierte mich erstaunlicher Weise wirklich. Er hatte noch nie etwas von sich und seinem Privatleben erzählt.

„Vor einem Jahr."

„An was?"

„Krebs."

„Wow."

„Ja, war echt Scheiße."

Das konnte ich gut verstehen. Doch wie es aussah hatte er es gut überwunden.

„Hast du sonst noch Familie?", fragte ich und sah kurz hinter mich. Kenny blickte lächelnd zu den Kindern, die am See spielten. Sie warfen ihrem Hund einen Ball zu und dieser wetzte hinter ihm her.

„Mhm. Einen Vater und einen Bruder."

„Leben die hier in Miami?"

Kennedy schwieg eindeutig zu lange.

„Ich habe keinen Kontakt zu ihnen. Schon seit Jahren nicht."

„Weshalb?" Ich dachte an meinen Vater. Dieser Arsch hatte sich einfach aus dem Staub gemacht.

„Da gab es verschiedene Gründe. Einer davon, weil ich nicht in ihr kleines, perfektes Bild von der Welt gepasst habe, zum anderen weil sie-"

Ich sah mich noch mal zu ihm um. Er hatte aufgehört zu lächeln.

„Weil sie so Arschgesichter, wie mein Vater sind?"

Er blieb stehen und sah mich an. Dann grinste er und nickte. „Ja. Genau."
Sein Blick schwebte zu einem Baum, in dem hing eine Schaukel. Eine dieser Schaukeln, die geflochten wie ein großer Korb war, in den man sich hinein legen konnte. „Lust?"

Ich folgte seinem Blick und schwenkte den Kopf. „Nein lass mal. Das sieht mir sehr gefährlich aus."

Doch Kennedy wäre nicht Kennedy gewesen, wenn es ihn auch nur eine Sekunde interessiert hätte, was ich dachte. So schnell wie ich auf der Schaukel lag und in die Baumkrone starrte, konnte ich nicht ein weiteres Mal Nein sagen.

Kennedy lag neben mir und gemeinsam nahmen wie immer mehr Fahrt auf. Er blickte in den Himmel, der jedesmal wenn wir nach oben schwangen, näher zu kommen schien. Ich streckte meine Hand nach der Sonne aus, die mich blendete. Meine Finger waren kaum zu erkennen. Das gleißender Licht flimmerte in meinen Augen und nahm mir die Sicht. Ich spürte wie etwas an meinem Arm entlang strich und erkannte, dass Kennys Hand nach meiner griff. Zeitgleich drehten wir uns einander zu und mein Grün traf auf sein helles Braun. Honigfarben.

„Sag mir, Theodore. Was fühlst du?"
Seine Stimme klang anders als sonst. Seine Augen sahen mich tiefgründig an und ich war versucht ihn einfach, ohne Vorwarnung, zu küssen. Tat es jedoch nicht.

„Ich fühle es glücklich zu sein. Ich fühle es zufrieden zu sein." Und das war in diesem Moment auch so.

„Und meinst du, für Glück und Zufriedenheit lohnt es zu leben?"

Ich schwieg. Denn sein Blick und seine Berührung raubten mit den Verstand. Ich lächelte ... dies musste ihm als Antwort genügen.

Six reasons to liveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt