Krüppelkind

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„Gehen Sie einfach durch. Er sitzt draußen im Garten", hörte ich meine Mutter sagen. Sie hatten mir einen privaten Physiotherapeuten, Schrägstrich ... Gesellschafter besorgt. Und das alles nur, weil sie ein schlechtes Gewissen plagte, wenn sie mehr Zeit an ihren Arbeitsplätzen, als zuhause bei ihren Krüppelkind verbrachten.

„Theo? Schatz ... dein neuer Physiotherapeut ist da. Er möchte dich kennenlernen."

Ich starrte weiter in den Pool - ignorierte meine Mutter. Die Vormittagssonne schien mir mitten ins Gesicht. Ich hasste es, wenn sie mich nach draußen an den Pool setzten. Damit ich mal an die Luft kam. Warum ausgerechnet an den Pool? Was sollte ich hier? Mussten sie mir immer wieder vor Augen führen, was ich verloren hatte?

Seit vier Monaten saß ich nun schon in diesem Metallhaufen mit Rädern. Sprach kaum noch und hatte auch sonst keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Ich war innerlich leer und die Lust am Leben - schon lange vergangen. Oft wünschte ich, ich wäre in dem Crash einfach gestorben. Dann hätte ich mir dieses Leben hier erspart.

„Hallo, Theodore. Mein Name ist Kennedy. Aber du kannst gerne einfach Kenny sagen."

Die Stimme, die mich nun ansprach, musste zu diesem Typen gehören, den sie mir jetzt auf den Hals gehetzt hatten.

„Theo? Schaust du Kennedy wenigstens einmal an, wenn er mit dir redet?"

Ich würde den Teufel tun. Sollten sie doch alle zur Hölle fahren.

„Theo!"

„Lassen Sie ihn. Er soll sich erst einmal an den Umstand gewöhnen, dass ich jetzt täglich hier bin."

Immer noch starrte ich in das türkise Wasser vom Pool. Weder sah ich mich zu ihnen um, noch sprach ich mit den beiden. Vielleicht würden sie es so kapieren, dass ich einfach nur meine Ruhe haben wollte. Ich brauchte niemanden um mich. Ich war ein Monster. Ein Krüppel. Ein Monsterkrüppel!

„Dann lassen Sie uns nach drinnen gehen. Ich zeige Ihnen die Räumlichkeiten des Hauses und wie Sie ihm die Medikamente geben müssen, wenn mein Mann und ich außer Haus sind."

Ja, verschwindet! Haut ab!

Innerlich schrie ich. Es gab keinen Tag, seit dem Unfall, den ich nicht verfluchte. Meine Finger gruben sich immer tiefer in meine Oberschenkel. Doch spüren konnte ich nichts. Die Ärzte hofften, das dieser Zustand sich nach den vier Operationen, bessern würde. Mein Therapeut, Mr. Hoffstatter meinte, es wäre auch Psychisch bedingt, dass ich keine Fortschritte machte.

Ja, du Arschloch! Ich bilde mir das nur ein, dass ich meine Beine nicht mehr bewegen kann!

Wütend setzte ich diesen Metallhaufen in Bewegung. Rollte diesen neu gepflasterten Weg entlang, der vor vier Monaten hier noch nicht existiert hatte. Ein Krüppelweg! Extra angelegt, damit ich mich fortbewegen konnte. Barriere frei!

Das quietschen meiner Gummireifen, auf dem glänzendem Parkett, erfüllte den Raum, als ich durch den Flur und das Wohnzimmer rollte. Mein neues Zimmer lag nun im Erdgeschoss, im hintern Bereich des Hauses! Sie versteckten mich. Ihren Schwulen, unnormalen Krüppelsohn!

Six reasons to liveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt