Eine Frage von Gefühlen

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Kennedy saß hinter mir auf dem Board. Unsere Beine hingen links und rechts im Wasser und die seichten Wellen trugen uns auf und ab. „Lehn dich zurück. Ich habe dich", Kennedys Stimme holte mich aus meinen Gedanken zurück und ich spürte seine Arme, die sich um meinen Körper legten. Meine Hände lösten sich langsam vom Rand des Boards und ich ließ mich gegen ihn sinken.

Ich konnte das Meer unter mir spüren. Seine sanften, wiegenden Bewegungen. Ich schmeckte das Salz auf meinen Lippen und atmete den typischen Algengeruch ein. Der Horizont erstreckte sich in solch einer Weite, dass das Auge es als endlos ansah.

„Was fühlst du?" Kennedys Hände lagen auf meinen Oberschenkeln und meine Augen richteten sich zu ihnen. Ich wusste, dass es nicht möglich war, dies zu spüren, doch ich redete es mir ein. Ich leckte mir über die Lippen und vorsichtig legten sich meine Hände auf die seinen, die er umdrehte und unsre Finger sich miteinander verschränkten.

„Gerade fühle ich ... Sehnsucht", klang es halblaut. „Sehnsucht nach was?", frage er und ich spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken.
„Nach der Weite. Nach dem Wasser. Nach dem, was ich liebe." Letzteres, was mir durch den Kopf ging, wonach ich mich sehnte, ließ ich geflissentlich aus.

Kennedy ließ mich über meine eigenen Worte etwas nachdenken, bevor er seine Finger aus den meinen löste und wir uns beide am Rand des Boards festhalten mussten, weil eine Welle auf und zu gerauscht kam. Ich konnte sie deutlich fühlen.

Ich spürte seine harte Brust in meinem Rücken, seine Arme, die mir Sicherheit gaben und dann hoben wir ab. Ich atmete hektisch, meine Brust hob sich und meine Lungen füllten sich mit der salzigen Luft, die ich in meinem Mund schmecken konnte. Ich lachte. Nach all den Monaten lachte ich zum ersten Mal wieder.

„Sag mir, Theodore. Lohnt es sich für dieses Gefühl von Sehnsucht zu leben?", wisperte der Mann hinter mir. Mein Mund öffnete sich leicht. Doch ich brachte kein einziges Wort heraus. Also schwieg ich. Doch im Innern musste ich mir eingestehen, das es gut möglich war, für dieses Gefühl von Glück ... zu leben.

Kennedy brachte mich zurück an den Strand. Vorsichtig ließ er mich auf der Decke nieder und gab mir sein Handtuch. Während er uns etwas zu Trinken besorgte, trocknete ich mich ab. Gerade wurde mir erst richtig bewusst, dass ist es schrecklich vermisst hatte. Das alles. Den Sand unter mir. Das Wasser auf meiner Haut. Dieses Gefühl von Freiheit, wenn man auf dem Wasser war und sich dieser, fast angst einflößenden Weite, ergab.

„Hier. Trink etwas." Kennedy gab mir die Flasche mit gekühltem Wasser und nahm mir das Handtuch ab. Er setzte sich hinter mich und trocknete mir den Rücken.

„Danke Kennedy. Für den Tag heute."
Wir waren zuhause angekommen und der Muskulöse half mir zurück in meinem Rollstuhl. „Nicht dafür, Kleiner."

Kleiner. Immer nannte er mich Kleiner. Ich mochte es nicht, wenn er mich so nannte. Er sollte mich ernst nehmen. Er sollte in mir keinen Jungen sehen.

„Kenny?" Er löste die Bremsen an meinem Rollstuhl und trat hinter mich. „Mhm?" Mit einem leichten Ruck rollte ich auch schon auf unser Haus zu. „Ich habe nächsten Monat Geburtstag. I-ich werde achtzehn."
Kenny schloß die Haustür auf. „Cool. Und was machst du? Gibt's 'ne heiße Fete?" Ich verengte meinen Blick. Eine Fete? Darüber hatte ich nicht nachgedacht. „Also, eigentlich nicht. Ich ... wüsste nicht mal wen ich einlade sollte." „Na deine Freude. Die Jungs aus deinem Schwimmteam? Heiße Girls?"

Heiße was? Wie kam er auf Girls?
Er rollte mich ins Haus und schloß hinter uns die Tür. Niemand schien da zu sein. In meinem Zimmer holte er mich aus dem Rollstuhl und setzte mich auf den Rand meines Betts.

Elaina würde heute nicht mehr kommen, ich hatte ihr für heute frei gegebene. Also zog Kenny mir die Schuhe aus. Und bei dem Gedanken, dass er mich gleich in die Wanne stecken würde, trat unweigerlich Schnappatmung ein.

„Ich lass dir mal Wasser ein, ja." „Ja", entkam es mir leise und ich sah ihm nach, als er im Bad verschwand. Ich hörte Wasser rauschen und zog mir das Shirt aus. Dann rutschte ich etwas zurück, um mich aus der Hose zu schälen. Eine mühsame Prozedur.

„Was soll das werden? Ich helfe dir." Der Mann vor mir machte mich dermaßen nervös und ich schwöre bei Gott, wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich einen Ständer gehabt, dass ich wohl an Blutarmut umgekommen wäre.

„Kommst du zu meinem Geburtstag?", fragte ich, bevor er mich auf den Arm hob und ins Bad brachte. Dort setzte er mich auf den gepolsterten Hocker und zog mir den Rest meiner Sachen aus, sprich, meine Boxer. „Klar, warum nicht."

Langsam glitt ich in das warme Wasser und Kennedy setzte sich neben mich auf den Hocker. Er sah sich um und sein Blick fiel auf das Glas mit den Badeperlen. Ich folgte seinem Blick und strich mir das Haar aus der Stirn. „Die benutzt meine Mum." Er sollte bloß nicht auf die Idee kommen, eine der drei letzten Perlen aus dem Glas zu nehmen und sie ins Wasser zu werfen. Dann wären es nur noch zwei gewesen.

„Du wirst also achtzehn. Als ich so alt wurde, da hatte ich eine Party. Jeder hat an seinem achtzehnten eine Party. Warum du nicht?"

„Ich denke, es würde niemand kommen wollen."

„Wieso denkst du das? Weil du so ein reizender Arsch in letzter Zeit warst? Deine Freunde werden es sicher verstehen, warum du eine zeitlang nicht du selbst warst."

„Du weißt nichts von mir. Also vergiss die Party. Es wird keine Party geben."
Ich begann mich zu waschen und spürte seinen forschenden Blick auf mir. „Was ist? Willst du mir nur zugucken?" Ich sah ihn von der Seite an und es brachte ihn kurz aus der Ruhe. „Ich denke, das packst du auch ohne mich. Ruf mich ... wenn du fertig bist." Er stand auf und ging nach neben an. Ich hörte wie er den Fernseher einschaltete und bei dem Geräusch von knisternder Chipstüte musste ich mit den Augen rollen. Er war ein Krümmelmonster!

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