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Ein schrecklicher Winter, der nicht vergehen wollte.
Schnee häufte sich in Form von kleinen Kristallen, die sich in der ersten Morgensonne spiegelten.
Auch wenn meine Aussicht aus dem siebten Stock, den Winter etwas erträglicher machte, erdrückte er mich dennoch täglich ein Stückchen mehr.

Nicht nur der Liebeskummer plagte mich und meine verdorbene Seele, sondern ein bekanntes Gefühl verbreitete sich in mir. Ich besaß es einst, bevor ich mit Siyeon zusammen kam und selbst währenddessen hatte ich diesen kleinen, leeren Punkt in mir.

Dieses erstickende Gefühl nannte ich bis dahin immer ,,Fernweh".
Etwas Unerreichbares verletzte mich und die Heilung war nur damit möglich, dieses Unerreichbare zu erreichen.
Es klang absolut absurd, sagte mir selbst Jimin, doch ich war mir hundertprozentig sicher, dass ich es in mir trug.
Das Wissen über etwas, was ich nicht kannte.

Fernweh blieb den meisten Menschen ein Rätsel.
Voller Überzeugungskraft klebte ich aber an diesen Gedanken, da dieser möglicherweise mein Leben verändern könnte.
Die Seele schrie nicht umsonst danach, es musste etwas unfassbar Wichtiges sein.

,,Wie soll ich nur nach etwas suchen, was mir nicht bekannt war?", murmelte ich, während ich in die leuchtenden Sonnenstrahlen blickte, was meine Augen in sekundenschnelle erblinden ließ.
So blind lief ich auch durchs Leben und besaß keine Anhaltspunkte, außer, dass es da draußen etwas gab, was mir einen Sinn schenkte.
Nur durch dessen da sein konnte ich weiter atmen.
Es rettete mir in gewisser Weise mein Leben, was ich sonst schon längst beendet hätte.

Raffles bediente sich, während ich meine philosophischen Gedanken durchlebte, an seinem letzten Essen für diesen verdammten Monat.

Morgen würde die Jahreszeit eintreffen, die für Siyeon das blanke Grauen darstellte. Sie hasste es bis zum Tode. Sie meinte selbst, wenn sie es sich aussuchen dürfte, würde sie sich freiwillig im Frühling töten, wenn sie in den restlichen Jahreszeiten die Chance und Fähigkeit hätte, sich wiederbeleben zu können.
Ein unbeschreiblicher Hass zwischen zwei, die nicht unterschiedlicher hätten sein können.

Um den Vorstellungen an Siyeon entkommen zu können, lief ich zum Kühlschrank und öffnete diesen, wo mich wie erwartet ,,Nichts" erwartete.
Nicht umsonst wollte ich heute einkaufen gehen, müsste jedoch den langen Weg auf mich nehmen bis zum Bahnhof, um weiter in die Innenstadt fahren zu können, denn unser einziger Einkaufsladen in der Umgebung hatte vorübergehend geschlossen aufgrund von Inventur, jedoch war ich auf das Essen angewiesen, gerade weil ich gestern schon kaum etwas zu mir nahm.

Eine 10-minütige Fahrt wäre für jeden Jugendlichen meines Alters keinerlei Hürde gewesen, doch dafür für mich umso mehr, denn ich schreckte vor den Horden an Menschen zurück.
Es beängstigte mich, auf engen Raum mit so vielen von ihnen im Kontakt zu sein. Sie glotzten, sie tuschelten, da ich nicht der normalen Gesellschaft glich. Nicht nur wegen meiner runtergekommenen Klamotten, sondern auch mein persönliches, eingeschüchtertes Auftreten trug dazu bei.

,,Ich will wirklich nicht, Raff-", kaum hatte ich meine Worte ausgesprochen, da begann ein lautes Knurren in der Küche, was definitiv nicht von meinem Frettchen stammte.
Spätestens jetzt wusste ich, dass kein Weg daran vorbeiführen würde, auch wenn ich die Bahn am liebsten vermieden hätte.

Every March || VkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt