Ein blaues Wirbelding

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Kaum ertönte das Klingeln, schreckte ich hoch. Leider befand ich mich nicht in Hogwarts, sondern brav, im Unterricht sitzend, neben Rayna. Dass einem seine Tagträume auch immer so viel Hoffnung machen mussten. Und dabei war ich doch kurz davor gewesen, den hässlichen, kleinen Jungen mit der Brille zu erledigen. Ich gähnte nachdenklich.

,,Erde an Zora, bist du da?"

„Leider schon.", antwortete ich Celinas Stimme reflexartig.

Eine Hand wedelte vor meinem Gesicht rum. Vielleicht sollte ich reinbeißen. Ich schüttelte verwirrt meinen Kopf. Es war so hell hier. Widerlich hell. Wo war ich überhaupt? Schulhof?!
„Wie bin ich denn nach draußen gekommen?"

Ich bekam keine Antwort auf meine Frage. Dieser Filmriss war schon bedenklich. Aber ich hatte Wichtigeres zu tun, als mich um meine geistige Gesundheit zu kümmern. Ich lehnte mich an einen Baum und verschwand kurz in meiner Gedankenwelt. Ich musste Potter noch schnell vom Astronomieturm runterschubsen.

Der Baum, an welchen ich mich lehnte, war übrigens eine Kastanie und stand als letztes Grünzeug auf unserem, sonst ziemlich kahlen, Schulhof. Mehr als ein verrostetes Klettergerüst hatte unsere Schule nämlich nicht zu bieten.
Mein Blick schweifte kritisch über die heruntergekommene Fläche und die kreischenden Schüler.

Wieso waren Leute glücklich, wenn es um sie herum nicht totenstill war? Diese Menschen, diese Kinder, die waren doch nicht normal.

Da fiel mir auf, dass Rayna in huldvollem Abstand zu dem Baum stand und mich mit finsteren Blicken durchlöcherte.
Ich schenkte ihr ein halbes Lächeln. Rayna verehrte die Kastanie, an die ich mich gerade lehnte. Vermutlich hatte sie wegen meines „frevelhaften Verhaltens" mal wieder Mordfantasien. Das war zumindest aus ihrem Gesichtsausdruck zu schließen.

Celina verzog verzweifelt das Gesicht und versuchte anscheinend ein halbwegs vernünftiges Gespräch zu beginnen.
Ihr wollt gar nicht wissen, der wievielte Versuch das mit dem „vernünftigen Gespräch" insgesamt war.
Ich verrate es euch trotzdem.
Es war der hundertvierte. Wenn ich mich nicht verzählt hatte. Wie gestern. Dabei war Fliege Nummer 56 doch so ein vielversprechendes Exemplar gewesen. Nachdem ich mich verzählt hatte, war diese Fliege mir allerdings nicht mehr von Nutzen und was nicht von Nutzen ist, wird...

,,Leute,'' sagte Cel plötzlich laut und ich schreckte aus meinen Grübeleien hoch. ,,Ich habe endlich ein Thema gefunden, über das wir uns vernünftig unterhalten können.''

,,Du glaubst, ein Thema gefunden zu haben.", korrigierte ich sie abwesend und musterte aufmerksam Raynas Gesichtszüge.
Kurz bevor sich mich angriff, weil ich an ihrem heiligen Baum lehnte, würden sich ihre Augen um ein Viertel verengen. Beleidigte sie mich nur, waren es hingegen drei Viertel.
Aber was heißt „nur". Sagen wir mal so, ihr Mund hatte sicher noch nie Seife gesehen.

,,Eichhörnchen.", meinte Celina plötzlich.
Was?
Hatte Celina einen Eichhörnchenkomplex?
Mein Blick huschte kurz zu ihr und forderte meiner Meinung nach eine Erklärung. Aber Celina konnte meine Blicke nie richtig deuten und reagierte nicht.
Vielleicht sollte ich ihr einen Crashkurs im Thema Blicke und ihre Deutung geben.
Zum Geburtstag oder so.

,,Was ist damit?", fragte Rayna, ohne ihre Augen von mir abzuwenden.
Es war wie in einem Wildwest-Duell. Nur ein Moment Unachtsamkeit würde dein Verderben bedeuten. Die Stimmung war angeheizt und die Spannung knisterte in der Luft. Strohballen fegten über den Schulhof und die Welt schien still zu stehen. Wer würde zuerst blinzeln? Es war eine Frage von Leben und Tod!
Von Sein und Nicht-Sein.
Von Existenz und Nichtexistenz.
Von...

,,Habt ihr mir denn gerade nicht zugehört? Wieso frage ich eigentlich! Ihr habt ja sowieso das Gedächtnis eines Goldfisches! Zusammen!", beschwerte sich Celina laut und baute sich zwischen mir und dem Feind auf. Ich starrte Rayna durch Celina hindurch an. Celina zeigte mir einen Vogel.

Bis die Valar fallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt