Menschlichkeit

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„Da isser also.", meinte Rayna einen halben Tag später zu mir und fuhr mit ihren Fingern über den gravierten Stein, aus dem der Eingang zum Erebor gemacht war.

„Wie eine große, runde Hobbithöhle.", fügte ich hinzu.

„Zur Hölle.", führte meine Freundin mit einem sorgenlosen Grinsen fort.

„Zur Hölle.", bestätigte ich.

Doch eine andere Hölle, schlimmer als die, in der ich mich gerade befand, konnte und wollte ich mir nicht vorstellen. Obwohl Rayna wieder zu sich gekommen war, zumindest oberflächlich, war es irgendwie nicht Rayna, mit der ich mich unterhielt. Nein, diese Autosteuerung riss flache Witze, doch kannte keine Freundschaft. Keine Erinnerung.

Alles hätte sie auch zu einer anderen Person sagen können, ich war auswechselbar in diesem Gespräch, von dem ich mir wünschte, es hätte nie stattgefunden. Denn ich musste mich erinnern, ihr Zustand zwang mich nahezu, an die vergangene Nacht zu denken. Sie ließ mich nicht los, verfolgte mich in den Träumen, wie es bei den Zwischenfällen davor auch gewesen war.

Und ich wusste- spürte, dass es mir nicht gut tat. Aber was sollte ich denn tun? Rayna im Stich lassen? Tatenlos zusehen wie sie immer mehr verkam und zerbrach und verschwand?

„Am besten wartest du draußen, Zorana."

Ich zuckte unmerklich zusammen. Nicht einmal Zora war ich für meine Freundin mehr? Was hatte sich an Celina verändert? Was hatte ich übersehen?

Wir wurden drei zu eins? Wieso war ich hier einsam?

„Ich schlage vor, dass unser Meisterdieb, Herr Beutlin, vorgeht.", schlug einer der Zwerge vor. Mein Blick schwebte ausdruckslos auf ihnen. Auf meinen Gefährten, die mich nun verlassen haben. Wegen Geschehnissen, und ich wette, es waren Nirfin-beeinflusste Geschehnisse, zu welchen sie meine Meinung nicht einmal hören konnten. Nein, sie gaben mir keine Chance mich zu verteidigen. Aber schlimmer, dass sie diese Geschichte zu glauben schienen. Und mich verurteilten.

Wie dreckige Menschen, flüsterte eine böse Stimme in mir. Ich drängte diesen Wesen in mir zurück und als dann alle angespannt in den Berg gingen, durch dieses seltsame Tor, dass angeblich so schwierig zu öffnen war, da blieb ich zurück bei dem Eingang und bewachte ihn. Und saß alleine auf dem steinigen Vorsprung, der Oberfläche des Erebos. Und sah ihn als einzige kommen.

Zuerst bemerkte ich nur eine kleinen schwarzen Punkt am unteren Rande meines Sichtfeldes. Ich hielt es für eine Fliege, dann für ein Staubkorn in meinem Auge. Und dann hielt ich es für einen dunkelgekleideten Späher, der wie Moses über das Wasser ging. Der in dem Gewässer von der Seestadt zum Fuße des Erebors reiste. Schnell.

Allerdings gab es keine Wasserläufer. Nicht in diesem Universum. Und keine schwarzen Flashs. Aus Rauch. Ich riss meine Augen auf und sprang taumelnd auf, blickte dem Nirfin zu, wie er über das Wasser auf mich zuschoss. Ich verengte die Augen und erkannte die weißen Punkte in seinem Gesicht. Ich blickte auf den Gegenstand aus glattem Schwarz in seiner Hand. Ein Z'rchriw. Ein rituelles Großschwert, um Nirfin zu töten. Wieso war hier ein Nirfin, mit einem Schwert, das Nirfin töten konnte?

Wieso?

Doch nicht, um-

Das war nicht fair! Das war meine Schöpfung! Entsetzt begriff ich, was damals passiert war. Die Elben des dunklen Waldes, nein, die Nirfin des dunklen Waldes, wollten mich damals bereits töten. Sie sperrten mich in diesen dunklen Raum, nicht, um den Nirfin in mir zu wecken, nein, sondern um das Mischblut zu töten.

Jetzt ist niemand mehr auf deiner Seite, flüsterte die böse Stimme in meinen Kopf. Du bist ganz allein. Verloren.

Es ist nicht meine, wurde mir dann bewusst. Diese Stimme war so böse, so kalt, so beherrscht und manipulierend. Das war nicht meine dunkle Seite, der ich da gegenüberstand. Es war die meines Feindes.

Bis die Valar fallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt