Water (20)

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Die letzten Kilometer mit dem Geländewagen zogen an ihm vorbei, wie die Wolken am Himmel.
Er hatte die ganze restliche Nacht vor dem Grab gesessen. Es hatte nichts an der Situation geändert, er fühlte sich nicht besser. Nur hohl und leer. Und Müde.
Er spürte Jungkook, bevor er ihn sehen konnte. Aber er war so in sich selbst vertieft, dass kein Wort den Weg aus seinem Mund schaffte. Die Elite von Jungkook war anwesend genau wie einige andere der Wölfe. Es scherte ihn nicht. Doch den erschrockenen Ausruf von einem hatte er gehört. Jimin starrte an sich hinunter. Seine Klamotten und Hände waren in getrocknetem Blut getränkt. Nicht sein eigenes, sondern das seiner Opfer.
Und Jihyuns.
Der schwarzhaarige Alpha drückte ihn vorsichtig an sich, als dachte er, der Orangehaarige könnte zerbrechen. Jimin konnte es nicht erwidern, obwohl es verlockend und warm war, obwohl es sich schön anfühlte, obwohl er es wollte. Er war nur so müde. Seine Kraft regte sich nicht, sie war da, aber erschöpft.
Ein Ächzen und Stöhnen ertönte und dann lag Jimin auf Jungkooks Armen und prallte gegen seine warme Brust, während der Schwarzhaarige auf das Schulgebäude zu ging. Er hatte den anderen Bescheid gegeben Dr. Seung zu ihm ins Zimmer zu schicken. Mit Jimin auf dem Arm ließen sie Gänge und Treppe und Räume hinter sich. Alles zog an dem Orangehaarigen vorbei. Er hatte bisher keine Reaktion gezeigt und in Jungkook stieg eine Angst hinauf, die er schon seit sehr langer Zeit nicht mehr gespürt hatte. Ein Angst, die in ihm kratzte und schnurrte.
"Wir müssen ihn ins Wasser legen. Ich weiß nicht was für Verletzungen er hat, wenn das ganze Blut und der Dreck an ihm haftet", begrüßte die Ärztin Jungkook und der Schwarzhaarige war wieder einmal überrascht, wie schnell sie, trotz Babybauch, noch gehen konnten, denn das Zimmer des Alphas war nicht gerade nahe an der Krankenstation.
Jimin wurde hinabgelassen in eine schwarze gusseiserne Wanne. Herrliche Kälte umfing ihn und linderte die Schmerzen an seinem Rücken. Eigentlich an seinem ganzen Körper, denn seine Gelenke und Glieder brüllten die ganze Zeit nach Entspannung. Er verlor das Zeitgefühl, als zwei starke tätowierte Hände seinen Kopf hoben und ihm die Kleider abstreiften.
Die einzige Frau im Zimmer schnappte so laut nach Luft, dass Jimin den Kopf hob, obwohl es ihm alle Mühe kostete.
Jungkook besah sich das Ausmaß seines Rückens. Neben den Narben, die er wohlgemerkt zum ersten Mal sah, hatte sich ein roter Film über Jimins Rücken gezogen.
"Mondbrand", hauchte die Ärztin.
Sie fing sich jedoch schnell wieder und murmelte:
"Manchmal hasse ich es, dass wir verflucht sind."
Jungkook murrte zustimmend.
Jimin hörte, wie sich Schritte leise entfernten.
"Ich hole schnell eine Salbe und du kümmerst dich um den Dreck und das Blut", richtete sie ihre Worte an den Alpha.
Das Klicken der Tür ließ den Orangehaarigen tiefer in die Wanne gleiten. Mittlerweile war sie nicht länger mit kaltem Wasser gefüllt und Jimin fragte sich, wie das möglich war. Doch sein Kopf riet ihm nicht zu denken. Jungkook hatte sich hinter ihn gekniet und fing an seine Haare zu waschen. Es war ein wohliges Gefühl und wäre Jimin nicht so kaputt, hätte er geschnurrt.
"Wer hat dir das angetan?"
Die Stimme des Schwarzhaarigen klang wütend und kälter als das Wasser, welches noch vor wenigen Sekunden in der Wanne gewesen war. Es wäre sinnlos ihm eine Lüge aufzutischen, da er es durch das Band, welches sie verknüpfte, spüren würde, also antwortete er dem Wolf:
"Es war ein Wärter aus dem Lager. Ich hatte mich für einen Jungen, der nicht mehr laufen konnte, eingesetzt. Und das Auspeitschen war das Resultat davon."
Wieder erklang ein Knurren und die Finger des Schwarzhaarigen bohrten sich in Jimins Kopfhaut. Der Druck davon drang nicht zu ihm hindurch. Es war, als wäre er in Watte gehüllt.
"Es war unnötig, da er zwei Tage später gestorben ist. Aber in dem Moment war ich glücklich ihm das Leid ersparen zu können."
Jungkook erhob sich und Jimin drehte mühselig den Kopf. Der Größere machte auf Absatz kehrt und schloss die Tür hinter sich. Jimin wünschte sich, er wäre geblieben.
Zwei Wimpernschläge später kam die Ärztin rein. Wortlos holte sie Handtücher und half ihm aus der Wanne. Mit jeder Bewegung schrien seine Glieder er solle sich wieder hinlegen. Er hob erst ein Bein, stöhnte vor Schmerzen auf, und zog das andere danach über den Rand. Ohne den ganzen Dreck an seinen Fingerkuppen sahen seine Finger nicht allzu schlimm aus. Nur der Schmerz, der bei jeder Bewegung aufflammte, störte ihn.
"Der Alpha hat dir einen Schlafanzug hingelegt. Du kannst dir schon mal die Hose anziehen, danach verteile ich die Salbe auf deinem Rücken", erklärte sie und reichte ihm die Sachen. Es war ihm egal, dass Jungkook und Dr. Seung ihn nackt gesehen hatten. Gerade würde er liebend gern in ein Bett steigen und schlafen. Für immer.
Das Verteilen der Salbe war ein Geschenk des Himmels. Das Brennen ließ sich so vermindern, dass es nur noch ein Kribbeln war.
"Dann bringen wir dich mal ins Bett."
Sie hakte sich bei ihm unter und zusammen verließen sie das Badezimmer.
Jimin war sprachlos, als er das Zimmer sah. Es war riesig. Mindestens drei Autos hätten in diesen Raum gepasst. Die L-förmige Couch und der Flachbildschirm zu seiner Linken passten farblich perfekt zu dem schwarz- weißen Kingsize Bett auf der rechten Seite. Das Bett rief ihn förmlich zu sich und nachdem er sich hineingelegt hatte, zog die Dunkelheit über ihn wie ein Schatten.
Als er am nächsten Tag aufwachte, lag er immer noch allein im Bett. Das Sonnenlicht brachte seinen Kopf zum Hämmern, weshalb er sich weg drehte, anstatt aufzustehen. Er wollte sich verkriechen. In seinem Schmerz, in seiner Einsamkeit. Er schloss die Augen und schlief wieder ein. Durch ein lautes Gespräch wurde er geweckt. Taehyung stand am Rand des Bettes und Tao neben ihm. Beide trugen noch ihre Uniformen, was bedeutete, dass der Unterricht vorbei sein musste.
"Wir wollten dich mal besuchen."
"Und wir haben was mitgebracht!"
Tao stellte ihm eine Teller mit Kuchen auf den Nachttisch, jedoch machte Jimin keine Anstalten sich zu bewegen. Er lag nur da und starrte sie an. Die beide Wölfe blickten sich an, als würde sie über Gedanken miteinander sprechen. Kurze Zeit später hatte sie beschlossen wieder zu gehen.
Es vergingen Stunden, in denen Jimin weder richtig aß noch sprach. Jungkook kam nicht vorbei. Nicht über den Tag und auch nicht in der Nacht, als das Bett und die Enge in seiner Brust ihn zu ersticken drohten. Am nächsten Tag kamen die Zwillinge mit Baekhyun, Jin und Namjoon. Doch es wieder das gleiche Prozedere. Sie sprachen und er starrte an die Decke oder aus dem Fenster.
"Jiminie! Wir vermissen dich! Werd ja schnell wieder gesund", sagte Lia und strich ihm durchs Haar. Er zwang sich zum Lächeln.
Manche Tage vergingen wie in Minuten, andere wiederum fühlte sich wie die Ewigkeit an, zumindest kam es dem Orangehaarigen so vor.
Er verließ das Bett weiterhin nicht.
Nicht an diesem Tag.
Und auch nicht am Nächsten.
Oder dem Übernächsten.

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Ich mag dieses Kapitel.
Viele Gedanken sind von meinen eigenen Erfahrungen. Es war nicht einfach, aber es lässt einen besser fühlen.

Fühlt euch frei zu kommentieren!

Erin🌸

Moon Child [JiKook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt