"Warum machst du das eigentlich?", fragt mich Martin als erstes, als wir bei ihm in der Wohnung angekommen sind und auf seinem Sofa sitzen. Martins Wohnung verteilt sich auf zwei Etagen. Es ist eine Maisonettewohnung. In der unteren Etage ist die Küche, das Wohnzimmer, ein kleines Bad und ein Gästezimmer. Die Küche geht offen in das Wohnzimmer über. Von dort aus kann man zudem auf einen kleinen Balkon gehen. Die obere Etage erreicht man über eine Art Wendeltreppe vom Wohnzimmer aus und ist angelegt wie eine Art Balkon. Wenn man die Treppe nach oben geht, steht man sofort in Martins Schlafzimmer, von wo man in den offenen Wohnbereich nach unten schauen kann. Durch die Dachschrägen befindet sich in diesem Raum neben dem Bett sonst nur eine weitere Kommode, wo ich Martins Klamotten drin vermute. Zudem befindet sich in der oberen Etage noch ein weiteres Bad. Im Allgemein ist alles sehr offen gehalten, denn sogar zum angrenzenden Badezimmer befindet sich eine Fensterscheibe, sodass man hereinschauen kann.
"Was? Deine Freundin zu spielen?", frage ich zurück. Martin steht auf und holt etwas zu trinken.
"Ja, das auch. Aber das ganze im Allgemeinen. Warum bist du bei der Agentur?"
"Bin da so reingerutscht und man verdient schnell viel Geld", antworte ich ihm, denn es ist die Wahrheit. Zur Agentur bin ich über eine Freundin gekommen, mit der ich mittlerweile aber nicht mehr so viel Kontakt habe, da sie nicht mehr in Frankfurt wohnt. Sie hat mir vor ein paar Jahren davon erzählt und dann bin ich mit eingestiegen.
"Und deine Familie weiß davon?", fragt Martin weiter und setzt sich wieder neben mich. Er trägt immer noch seine Trainingsklamotten der Eintracht. Ich will gar nicht wissen, wie viel er davon in seinem Schrank liegen hat.
"Nein, das muss sie auch wirklich nicht. Ich will nicht wissen, was mein Vater denken wird", lache ich und nehme einen Schluck meines Wassers. Mein Vater ist schon ein wenig altmodisch und konservativ, aber ich glaube, dass kein Vater davon überzeugt wäre, wenn er erfahren würde, dass seine Tochter bei einem Begleitservice arbeitet.
"Und was hast du ihnen erzählt", fragt Martin weiter.
"Mein Vater denkt, dass ich im Kino arbeite", antworte ich. Martin schaut mich nachdenklich an.
"Warum nur dein Vater? Was ist mit deiner Mutter?"
"Meine Mutter lebt nicht mehr. Sie ist gestorben, als ich vier war", fange ich an, mache aber eine Pause. Erinnerungen kommen hoch. Es sind zwar nur sehr wenige, die ich habe, aber ich bin froh, dass ich mich überhaupt an meine Mutter erinnern kann.
"Sie hatte Krebs. Mein Vater erzählt mir immer, dass alles sehr schnell gegangen sei. Man hätte nicht mehr viel machen können." Mein Blick liegt auf meinem Schoß, wo meine Hände nervös miteinander spielen.
"Das tut mir leid", sagt Martin und legt eine Hand auf meine Schulter, "Hätte ich das gewusst, hätte ich nicht gefragt."
"Ist schon in Ordnung. Kannst du ja nicht wissen", lächle ich Martin leicht an, "Ich hatte eine tolle Kindheit mit meinem Vater und deswegen tut es mir umso mehr weh, dass ich ihn wegen meinem Job so anlügen muss. Finanziell kann er mich nicht viel unterstützen, das BAföG war zu wenig zum Überleben und dann habe ich bei der Agentur angefangen.""Hatte der Vorfall auch was mit einem Kunden zu tun, als ich dir das Taxi bestellt habe?"
Ich nicke: "Ja, mein Kunde hat mir eine Ohrfeige verpasst, weil ich nicht so wollte, wie er es gerne gehabt hätte."
"Passiert das öfters?", fragt Martin weiter. Ich sehe ihm an, dass er geschockt ist. Wahrscheinlich fragt er sich, warum man sich das als Frau antut.
"Bei mir war es das erste Mal, aber man bekommt es immer mal wieder von anderen mit."
"Puuuh", Martin weiß anscheinend nicht so ganz, was er sagen soll, weshalb ich das Thema nun auf ihn lenke.
"Willst du das ganze hier überhaupt?"
Martin fängt an zu lächeln: "Ich bin ehrlich, nein. Ich bin nicht so wirklich davon überzeugt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob durch die ganze Sache mein Ruf besser wird. Aber mein Berater meint, dass es klappen wird und deshalb müssen wir jetzt hier durch. Ich glaube auch, dass wir es ganz gut hinbekommen werden."
"Weiß deine Familie davon, dass die Beziehung nicht echt ist", frage ich weiter. Ich habe mich immerhin über Martin informiert, mir Interviews von ihm angeschaut und dadurch erfahren, dass er sehr familienverbunden ist.
"Nein, sie denken, dass wir wirklich zusammen sind. Mein Berater hat gemeint, es wäre besser, wenn wirklich niemand davon wüsste. Hast du wem die Wahrheit erzählt", fragt er nun mich.
"Nur meinem besten Freund", antworte ich Martin und meine damit Francesco, "Er wohnt in der Wohnung gegenüber von mir und er ist mit mir den Vertrag durchgegangen. Ich musste mit wem darüber reden. Deshalb weiß er es. Meinem Vater werde ich auch noch bescheid sagen, aber ihm erzähle ich nicht die Wahrheit. Dann wüsste er ja, wo ich arbeite. "
Martin nickt. Mittlerweile ist es schon ziemlich spät. Bereits 22 Uhr, aber eine Frage möchte ich Martin noch stellen.
"Die sexuelle Ebene", fange ich an zu reden und muss dabei schon lachen, "Auf die verzichten wir bei der ganzen Sache komplett oder?" Immerhin gehört es bei meinen anderen Kunden auf jeden Fall dazu. Martin schaut mich noch geschockter an als noch vor ein paar Minuten, als er von meiner Vergangenheit erfahren hat.
"Was", lache ich, "Man muss doch mal fragen. Meine anderen Kunden warten da ein ganzes langweiliges Geschäftsessen drauf." Langsam rücke ich näher an Martin heran. Ich möchte ihn provozieren und schauen, wie er auf meine Avancen reagiert. Meine Hand fährt langsam an seinem Arm nach oben und bleibt am Kragen seiner Trainingsjacke stehen, um dort den Reisverschluss langsam nach unten zu ziehen. Doch Martin stoppt mich, bevor ich die Jacke überhaupt einen Centimeter öffnen kann.
"Daran", flüstert er und drückt mich plötzlich nach hinten, sodass ich unter ihm auf seinem Sofa liege, "habe ich kein Interesse." Auch Martin lacht und geht wieder von mir herunter, damit ich mich aufsetzen kann. Er muss gemerkt haben, dass ich ihn nur ein wenig auf die Probe gestellt habe. Ich rutsche wieder von ihm weg und ziehe mein Handy hervor, um nochmal nach der Uhrzeit zu schauen.
"Ich würde mich dann auch mal auf den Weg nach Hause machen", sage ich zu ihm und stehe auf.
"Mein Berater oder ich melden uns bei dir, wie es weitergeht. Vor allem mit dem Umzug zu mir." Martin folgt mir in seinen kleinen Flur, wo ich meine Schuhe anziehe und dann die Tür öffne.
"Bis dann", verabschiede ich mich und mache mich auf den Weg nach Hause. Dort werde ich erstmal Francesco berichten, wie der Tag gelaufen ist.

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Liebe auf Umwegen
FanfictionEmma arbeitet während ihres Studiums bei einem Begleitservice und bekommt einen Auftrag, der ihr Leben verändern wird.