Zurück bei Martin

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"Emma, bist du das", höre ich sofort Martins Stimme, als ich seine Wohnungstür öffne. Er steht am anderen Ende des Flures und schaut mich an. Er lächelt. Ich lächle leicht zurück, weil ich nicht wirklich weiß, was ich sagen soll. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich sofort anfangen zu erzählen? Martin nimmt mir die Antwort ab, denn er kommt auf mich zu und zieht mich in eine feste Umarmung. Ich erwidere sie sofort und fühle mich geborgen. Vereinzelt steigen mir wieder Tränen in die Augen und ich fange an zu schluchzen. Ich weine dieses Mal nicht aus Verzweiflung und Traurigkeit, sondern weil es mir Leid tut. Mir tut es Martin gegenüber Leid, dass ich ihn einfach unwissend gelassen habe, dass ich ihm nicht Bescheid gesagt habe, was los ist und dass er sich anscheinend ganz schön um mich gesorgt hat.

"Was ist denn los", flüstert Martin und schaut mich an. Sein Blick ist voller Besorgnis.

"Es tut mir Leid", antworte ich nur und umarme Martin ein weiteres Mal. Wir setzen uns zusammen ins Wohnzimmer auf sein Sofa. Von draußen schlagen Regentropfen gegen die Scheibe. Das momentane herbstliche Wetter spiegelt voll und ganz meine emotionale Fassung wieder.

"Wo bist du denn gewesen?", fragt Martin vorsichtig nach, "Ich habe mir Sorgen gemacht. Die Nachricht, die du noch Francesco geschrieben hast, hat mich auch nicht mehr beruhigt." Aus verweinten Augen schaue ich Martin an. Er trägt wie so oft seine Klamotten der Eintracht, seine Haare stehen etwas wirr vom Kopf ab und im Allgemeinen sieht er ganz schön fertig aus.

"Ich war zu Hause", schluchze ich, "Meinem Vater ging es nicht gut." Ich wende meinen Blick von Martin ab und schaue stattdessen auf das verregnete Frankfurt.

"Das hättest du mir doch sagen können", sagt Martin ruhig und ich merke, wie er seine Hand auf mein Bein legt. Es ist nur eine kleine Berührung, aber ich merke dadurch, dass Martin in keiner Weise sauer auf mich ist. Die Berührung zeigt nochmal mehr, dass er sich Sorgen macht und mir helfen will. Ich blicke wieder zu Martin.

"Ich wollte dich nicht damit belasten", antworte ich ihm und ein paar Tränen suchen sich wieder den Weg aus meinem Auge.

Martin lächelt leicht: "Das ist lieb von dir. Aber nicht zu wissen, was los ist, hat mich glaube ich mehr belastet."

"Tut mir leid", entschuldige ich mich ein weiteres Mal. Mittlerweile habe ich auch aufgehört zu weinen. Ich fange an, Martin zu erklären, warum ich einfach wegfahren bin. Ich erzähle ihm, dass mein Vater einen Herzinfarkt gehabt hatte und ich mit dem nächsten Zug sofort nach Hause gefahren bin, um ihn zu besuchen. Ich gebe auch zu, dass ich vielleicht ein wenig zu voreilig gehandelt habe, aber Martin zeigt Verständnis.

"Ich kann dich verstehen. Aber ich wäre auch mit dir gekommen. Immerhin kann mich deine Familie ja auch mal kennenlernen." Martin zwinkert mir zu und ich fange ein wenig an zu lachen. Die Vorstellung, dass Martin bei meiner Familie ist, ist eine lustige. Ich glaube, dass sie sich gut verstehen würden.

"Du solltest dich noch bei Francesco melden", redet Martin weiter, "Und vielleicht auch bei deinem Chef. Der war gar nicht begeistert."

"Das glaube ich", lächle ich leicht und stehe auf, "Ich gehe dann mal telefonieren." Ich gehe in mein Zimmer und setze mich auf das Bett. Als erstes wähle ich Francescos Nummer.

"Emma?", nimmt er kurz nach dem ersten Klingeln ab.

"Ja, ich bin's", sage ich vorsichtig. Auch mein bester Freund möchte wissen, was losgewesen ist. Genauso wie bei Martin höre ich die Verzweiflung aus seiner Stimme, die er die letzten zwei Wochen gehabt haben muss.

"Martin war richtig besorgt um dich", sagt mir der Italiener am Telefon, als ich meinen Monolog beendet habe.

"Das habe ich bemerkt", antworte ich ihm, doch er redet sofort weiter.

"Man hat es auch während den Spielen bemerkt. Er hat gar keine Leistung gebracht und ist bei beiden Spielen in der Halbzeit ausgewechselt worden. Der Hütter war gar nicht überzeugt von ihm." Francescos Ausführungen verdeutlichen noch mehr, wie meine Abwesenheit auch Martin beeinflusst hat. Dabei wollte ich durch mein Verschwinden genau das Gegenteil erreichen. Ich wollte ihn nicht belasten, aber ich habe es anscheinend mehr als ich gedacht habe.

"Du bedeutest glaube ich für den Herrn Hinteregger mehr als du denkst", redet Francesco weiter und man hört, wie er beginnt zu lächeln.

"Glaubst du?"

"Aber sowas von. Wärst du ihm egal, dann hätte er sich keine Sorgen um dich gemacht." Ich denke über die Worte meines besten Freundes nach und muss ihm Recht geben, was mich ein wenig lächeln lässt. Nach kurzer Zeit legen wir dann auch auf und ich wähle als nächstes die Nummer meines Chefs Herrn Schmidt.

"Schmidt", meldet er sich am Telefon.

"Hallo Herr Schmidt, Emma Neumann hier", begrüße ich ihn und hoffe, dass er jetzt nicht zu hart mit mir umgehen wird.

"Ach, das man von dir mal wieder was hört. Zwei Tage später und ich hätte dich rausgeschmissen", fängt er an zu reden und ich erkläre ihm daraufhin, dass ich familiäre Probleme gehabt hätte. Es ist ja auch kurz gesagt die Wahrheit.

"Das teilst du mir das nächste Mal bitte mit und tauchst nicht einfach ab. Du kannst auch froh sein, dass der Herr Hinteregger so ein netter Kunde ist. Jeder andere hätte schon den Vertrag aufgelöst, aber er wollte nicht."

"Werde ich machen. Entschuldigen Sie nochmal. Es wird nicht wieder vorkommen", antworte ich und hoffe, dass damit alles erledigt ist.

"Das hoffe ich."

Ein paar Stunden später liege ich in meinem Bett im Gästezimmer und kann nicht wirklich schlafen. Martin hatte noch Essen vom nahegelegenen Chinesen geholt, was wir dann zusammen im Wohnzimmer gegessen haben. Ich habe vorhin gemerkt, dass mir die Zeit mit Martin ganz schön gefehlt hat und dass ich mich die letzten zwei Wochen schon einsam gefühlt habe, obwohl ich durchgängig von meiner Familie umgeben gewesen bin. Diese Einsamkeit kommt jetzt, als ich im Bett liege, wieder auf und meine Gedanken schweifen wieder zu meinem Vater. Die Bilder, wir er im Krankenhaus gelegen hat, kommen wieder hoch und werde ich wahrscheinlich nie mehr vergessen. Schon wieder steigen mir Tränen in die Augen. Es ist einfach die Angst, dass er irgendwann nicht mehr da sein wird und ich dann niemanden mehr habe. Diese Gedanken habe ich in den letzten zwei Wochen häufiger gehabt und immer hat mein Körper gleich reagiert: mit Tränen.

Ich schwinge meine Beine aus dem Bett und tapse Barfuß in das große Wohnzimmer.

"Martin", rufe ich leicht nach oben und hoffe, dass er vielleicht noch wach ist. Als er nicht antwortet, rufe ich nochmal.

"Ja", höre ich ihn verschlafen antworten.

"Darf ich bei dir schlafen", frage ich vorsichtig und Martin taucht plötzlich am Geländer auf und schaut zu mir herunter.

"Ich möchte nicht alleine sein", rede ich weiter und sehe durch die Dunkelheit, wie Martin leicht lächelt.

"Klar, komm hoch", sagt er ruhig und verschwindet wieder aus meinem Sichtfeld. Martin liegt wieder in seinem Bett, als ich die Treppe hoch gehe und ich lege mich neben ihn.

"Ist alles in Ordnung", flüstert Martin und ich zucke nur mit den Schultern.

"Ich weiß, dass es meinem Vater gut geht, aber ich habe einfach Angst, dass er demnächst nicht mehr da sein könnte", antworte ich ihm und merke, wie eine Träne aus meinem Auge läuft. Dass ich mal so viel Weinen könnte, habe ich selbst nicht gedacht. Martin wischt die Träne mit seinem Daumen weg.

"Du musst dir keine Sorgen machen", beruhigt er mich, "Er ist jetzt in Reha und medizinisch in besten Händen. Es wird alles gut werden." Martin hält meine Hand fest und streicht vorsichtig über meinen Handrücken. Es beruhigt mich, weshalb ich kurz darauf nur noch ein leises "Gute Nacht Emma" höre bevor ich endgültig einschlafe.

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