18. Schmerz

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  Die Wochen vergingen und Manuel traute sich nicht, sich Patricks Ansprache zu widersetzten. Er besuchte den Nachtclub nicht mehr, aber es verging kein einziger Tag, an dem er nicht über den Tänzer nachdachte. Er vermisste ihn unheimlich. Wie gerne würde er wieder seine warmen Hände auf seinem Körper spüren, sein kindliches Lachen hören und tief in seine dunklen Augen schauen.

  Manuel hatte sich für eine Woche nicht auf der Arbeit blicken lassen, so kraftlos war er nach seinem Verschwinden. Er lag nur im Bett, hatte keinen Hunger und duschte nicht. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so gehen lassen.

  Nach zehn Tagen - er hatte das erste Mal wieder einen Fuß nach draußen gesetzt, auch wenn es nur sein Garten war - fand er das Taschenbuch von Nietzsche aufgequollen vor seinem Jacuzzi liegen. Der Regen hatte das Buch komplett zerstört. Als er es aufheben wollte, trennte sich der Einband problemlos und Manuel fing an zu weinen. Er weinte das erste Mal seitdem Patrick gegangen war. Davor konnte er keine Emotionen zeigen, er war wie versteinert. Doch das Buch, er wusste nicht wieso, löste plötzlich eine Welle von Trauer aus, die über ihm zusammenbrach. Er drohte zu ertrinken.

  Nach zwei weiteren Wochen fiel es ihm immer noch schwer, sich auf der Arbeit zu konzentrieren. Er hatte das Gefühl, keinen guten Chef abzugeben, und fragte oft Michael nach Rat. Er hatte seinem besten Freund immer noch nicht erzählt, wer genau Patrick war. Er wusste nicht, dass der Tänzer der Grund seiner schlechten Laune war. Normalerweise verheimlichte er ihm nichts, aber es hätte sich komisch angefühlt, das mit ihm zu teilen. Ich gehe übrigens seit Monaten in einen Nachtclub und bezahle jemanden für Sex, weil ich so einsam bin. Ach ja, verliebt habe ich mich auch noch in ihn. Wer es ist, fragst du? Ach, nur der Kerl der sich selbst und mich auf der Feier angekotzt hat. Nein. Nein, das konnte er nicht bringen. Er müsste sein Geheimnis bleiben. Irgendwann würde er über Patrick hinwegkommen. Es würde nicht mehr so schmerzen, vielleicht, hoffentlich, blieb er eine schöne Erinnerung.

  Der Architekt schluckte schwer und legte seinen Kopf auf den Arbeitstisch. Er schob Überstunden Zuhause, weil er im Büro kaum etwas auf die Reihe bekam. Das waren Märchen, die er sich erzählte. Oder doch Schauergeschichten? Wollte er Patrick denn überhaupt vergessen? Er war für ihn so wichtig geworden. Und das Verhältnis, welches sie am Morgen vor dem Streit hatten, fühlte sich so besonders an. Als könnte wirklich irgendetwas aus ihnen werden. Manuel müsste darum kämpfen, aber er was so ausgelaugt. Er hatte keine Kraft, Hoffnung zu schöpfen, die ihm gegebenenfalls erneut innerhalb von Sekunden genommen werden konnte.

  Vielleicht - wahrscheinlich meinte der Tänzer es ernst. Manuel hatte sich die Annäherungen seinerseits nur vorgestellt. Er war nur sein Freier gewesen, einer von vielen. Unwichtig. Ersetzbar.

  Wahrscheinlich würde er gerade mit jemand anderen in seinem Zimmer sein. Lachen, ihn verführen, Wein trinken und schließlich Sex haben. Bezahlten Sex für gespielte Zuneigung. So wie es bei ihnen gewesen war.

  In seinen Gedanken hatte er sich immer eine Zukunft ausgemalt, in der er Patrick von diesem Job rettete. Er, der edle Ritter auf dem weißen Pferd. Nur er allein konnte ihm ein besseres Leben ermöglichen. Die Chance geben, etwas Neues zu lernen, um einen Beruf auszuüben, der ihn glücklich machte. So ein Schwachsinn. Patrick war ein erwachsener Mann, er konnte für sich selbst sorgen. Manuel konnte ihn nicht aus irgendeiner Situation retten, aus der er nicht gerettet werden wollte. Er konnte verstehen, dass er Patrick mit dem Geldangebot verletzt hatte. Er war naiv und dumm vor Liebe gewesen und hatte schlussendlich alles damit vermasselt.

  Er knipste die Schreibtischlampe aus, trank den letzten Schluck Wasser und verließ sein Arbeitszimmer. Er schlurfte herunter in die Küche, in der immer noch das aufgequollene Buch lag. Es waren mittlerweile weitere drei Wochen vergangen, seitdem er es draußen in seinem Garten gefunden hatte. Er konnte es nicht wegschmeißen. Irgendwie erinnerte es ihn an Patrick. Auch wenn es keine positive Erinnerung war, er musste es behalten.

Fulfill Me | kürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt