06. Gefühle

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  Patrick lag nackt neben Manuel auf dem Bett und sie beide hatten den Blick nach oben gewendet. Mittlerweile waren drei Monate vergangen, in denen der Freier Patrick regelmäßig besuchte. Meistens einmal die Woche, höchstens zwei Mal, kreuzte er bei ihm auf und bezahlte ihn für Sex.

  »Ich erinnere mich oft daran zurück, wie schüchtern du warst, als du das erste Mal hierherkamst«, sagte der Tänzer mit ruhiger Stimme. Er nahm sich wie so oft eine der langen Haarsträhnen des Architekten und zwirbelte sie um seinen Finger. »Direkt beim zweiten Mal warst du schon viel sicherer und hast deine Wünsche geäußert mit einer Autorität, als wäre ich einer deiner Mitarbeiter. Trotzdem verstehe ich nicht, warum du lieber passiv bist. In deinem Job gibst du den Ton an, warum nicht auch hier?«

  »Ich glaube, mir gefällt die Abwechslung. Im Büro bestimme ich über andere, hier lasse ich über mich bestimmen«, Manuel lachte leise auf, bevor seine Stimme wieder so ruhig wie immer wurde. »Nach dem ersten Mal war ich fast zu feige, wieder herzukommen. Als ich Zuhause ankam und den Abend Revue passieren ließ, war es mir so peinlich. Für das zweite Mal hatte ich mir übrigens einen Plan gemacht, was ich dir sage.« Patrick lachte leise auf und schmiegte sich an Manuels schmaler Brust an. »Aber du hast mich schnell wohl fühlen lassen. Eigentlich schon am ersten Abend. Ich hatte diese dumme Idee mit den Klamotten, um zu schauen, ob jemand von euch mir trotzdem Sex anbietet. Und dann habe ich dich auf der Bühne gesehen und die Idee so sehr bereut und trotzdem gehofft, dass du derjenige sein würdest.«

  »Das ist süß«, grinste Patrick und strich mit der Hand über seinen Bauch. »Als ich dich gesehen habe, fand ich dich direkt interessant. Aber das sollte ich dir eigentlich gar nicht sagen.«

  »Was ist so schlimm daran?«, fragte Manuel und stützte sich auf seinen Ellbogen ab.

  »Du bist mein Kunde, Manuel, mein Freier. Ich sollte dir zwar süße Sachen ins Ohr flüstern, damit ich dir weiterhin gefalle, aber die Wahrheit sollte ich besser nicht rausrücken«, sagte Patrick mit eisiger Stimme.

  »Du musst kein Süßholz raspeln. Du hast mich schon fest in deinen Händen«, flüsterte Manuel.

  Patrick konnte dazu nichts sagen. Er fühlte plötzlich ein Kribbeln im Bauch, welches er schon lange nicht mehr hatte. Kurz darauf wurde ihm schlecht, weil er genau wusste, was das zu bedeuten hatte. Keine Gefühle entwickeln für Freier, das war Regel Nummer eins in seinem Beruf.

  »Es - es ist schon spät«, brachte der Tänzer mit schwacher Stimme hervor, um die unangenehme Stille zu brechen. Er stand vom Bett auf, um sich demonstrativ anzuziehen, aber Manuel machte keine Anstalten zu gehen.

  »Ich möchte dich das nächste Mal woanders treffen«, sagte der Architekt so, als wäre das nichts Besonderes. »Ich bezahle natürlich auch dafür.«

  »Das geht nicht«, antwortete Patrick kühl und zog sich weiterhin an.

  »Patrick«, fing Manuel an, doch der Kleinere unterbrach ihn sofort.

  »Ich habe einen Vertrag unterschrieben, Manuel«, zischte er wütender, als er es vorgesehen hatte. »Scheiße, was glaubst du was passieren würde, wenn das jemand rausbekommt?«

  »Warum sollte das passieren? Es ist doch in meinem Interesse, dich zu treffen«, Manuel schnaubte und setzte sich auf. »Ich hatte jahrelang keine Beziehung, geschweige denn Dates mehr. Was glaubst du, weshalb ich überhaupt hierhergekommen bin? Mein Sexleben war davor nicht existent, Patrick. Aber ich brauche gerade mehr. Ich möchte dich zum Essen einladen, spazieren gehen, Händchen halten. So tun, als ob mein Leben nicht nur aus meiner Arbeit besteht.«

  »Ich kann das nicht«, wiederholte Patrick mit Druck. »Ich glaube dir, dass du dein Wort hältst, aber ich bin paranoid. Ich könnte das nicht machen, ohne komplett durchzudrehen.«

  »Wie viel Geld willst du?«, hakte Manuel konsequent nach.

  Wie konnte jemand so stur sein? Patricks Schläfen puckerten vor Wut und er musste einen Schluck Wasser trinken, damit sein Hals nicht mehr so trocken war. Er war so unheimlich sauer auf Manuel und trotzdem schwirrte der Gedanke in seinem Kopf, ihm nachzugeben. Für eine angemessene Bezahlung versteht sich.

  »1.500€«, sagte Manuel schließlich mit ernster Miene und der Tänzer verschluckte sich an seinem Wasser.

Fulfill Me | kürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt