2. Alter Bekannter

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P.o.v.: Levi

Ich fluchte innerlich, während ich von zwei Wachen durch die, mit fürchterlich grellen Lampen ausgestatteten, Flure geführt wurde. Genau an dem Tag, an dem der Neue ankommen sollte, musste ich mein Kontrolluntersuchung haben. Der Neue, ich wollte wissen wer er war und ob ich ihn schon kannte. Jetzt würde ich ihn erst später beim Essen sehen. Wir waren schon fast da. Ich kannte den ganzen Grundriss dieses Gebäudekomplexes auswendig. Nur noch um diese Ecke. Tatsächlich erwartete uns schon ein Wächter an der festen Tür aus Metall, die er uns aufhielt. Ich lächelte ihn an und dankte ihm, als ich an ihm vorbei in den Raum trat. Doch dieser schüttelte nur verständnislos den Kopf.

Die Kontrolluntersuchung hatte nichts neues ergeben, Gott-sei-dank nicht. Denn das nachjustieren des Bannzaubers, der wie ein Armreif an meinem Handgelenk befestigt war, bereitete immer höllische schmerzen. Auf den ersten Blick sah er zwar nur aus, wie ein grobes, schwarzen, überdimensionales Armband, aber die Kristalle aus denen es bestand waren mit meiner Haut verwachsen und sollten den Magiefluss stören. Anfangs war ich zu unvorsichtig gewesen und hatte immer eine andere Menge Magie freigesetzt, aber inzwischen hatte ich alles unter Kontrolle. "So, Sie sind fertig für heute", meinte der Doktor: "Ihr beide, bringt ihn in den Speisesaal." Ich stand auf und ging mit meinem typischen, leicht dümmlichen Lächeln zu den Wächtern, die mich daraufhin in den großen Saal führten, der ein wenig wie eine zu groß geratene Mensa wirkte. Steriles, kühles Aussehen und meist ungenießbares Essen.

Wir waren zu früh da, also setzte ich mich auf einen der Tische und öffnete den Zopf, zu dem ich meine langen, schwarzen Haare gebunden hatte und ließ mir eine Strähne durch die Hände gleiten. Dann band ich sie wieder hinten zu einem Pferdeschwanz zusammen. Der Zopf fiel mir bis zur Hüfte. Manche sagen, dass ein Zopf unmännlich ist, aber es ist mir egal. Ich merkte, dass die Wächter mir abschätzige Blicke zuwarfen, aber ich ignorierte es und ließ mich auf die Tischplatte sinken, gähnte und schloss meine Augen. "Levi Göpfert! Stehen Sie sofort auf!", hörte ich die Stimme eines der Wächter und hörte ihn näher kommen, doch ich rührte mich nicht. Ich hatte keine Lust. Gerade überlegte ich, was es wohl zu Essen gibt, als der Wächter mich grob am Arm packte und hoch riss. Ich tat so, als würde ich erschrecken und stolperte in den Wächter, was ihn zu Fall brachte. Verzweifelt versuchte ich mir das Lachen zu unterdrücken, während ich dem laut fluchendem Wärter die Hand hin hielt, um ihm aufzuhelfen. Dieser schlug sie allerdings nur weg. "Es... es tut mir schrecklich leid", heuchelte ich und setzte einen unschuldigen Blick auf. Eigentlich müsste ich zu alt für solche Spielchen sein, mit meinen 21 Jahren, aber was soll's. Im Herzen bin ich immer noch ein Kind und werde es hoffentlich auch immer bleiben. Vielleicht gehört es auch zum Dasein eines Magiers, verrückt zu sein. Zumindest habe ich noch nie einen Magier getroffen, der sich wie ein normaler Mensch verhalten hat. Selbst unter den Magiern im Staatsdienst nicht.

Ich schaute auf die Uhr. Gleich würden auch die anderen Häftlinge kommen und dich würde endlich den Neuen sehen. Er würde sich schließlich eine Zelle mit Evan teilen müssen und diese war direkt neben meiner. Ich hatte eigentlich gehofft, dass ich endlich einen Mitbewohner bekommen würde, aber nein. Evan war an sich ein netter Typ, auch wenn er mir immer meinen Nachtisch stahl. Langsam schlenderte ich auf den Tisch zu, an dem ich normalerweise saß. Noch zehn Minuten, dann ist Essenszeit. In fünf Minuten würden die ersten Leute kommen. Als die ersten sich ihr Essen holen gingen, stellte ich mich auch an, um mir mein Essen zu holen. Danach ging ich zu Tisch zurück und fing schon einmal an zu essen. So konnte mir wenigstens Evan nicht meine Nachspeise wegessen. Heute gab es Schokoladenpudding. An meinem Tisch saß schon jemand, als ich wieder zurück kam. Es war der Neue und tatsächlich kannte ich ihn schon. Diese blasse Haut, diese weißen Haare aus denen Wolfsohren hinausschauten. Ich musterte ihn eindringlich. Er wirkte dünner, aber auch stärker, als ich ihn das letzte mal gesehen habe und auch gefährlicher. Sein Gesicht wirkte ausdruckslos, irgendwie erschöpft, aber in seinen roten Augen lag ein trauriger Ausdruck, der den meisten sicher entgangen wäre. Ich denke, ich saß eine gute viertel Stunde da und beobachtete ihn. Falls er es bemerkt hatte ließ er sich zumindest nichts anmerken.

Ich wollte mich gerade wieder meinem Pudding zuwenden, als der Junge Evan eine Gabel in die Hand rammte, da dieser versucht hatte ihm den Pudding zu stehlen. Verblüfft schaute ich ihn an. Vor drei Jahren hätte er so etwas nicht getan. Dann nahm er seine Puddingschüssel und ging in Richtung des Zellentrackts davon. Die meisten Wächter blickten völlig entgeistert und wussten nicht, was sie tun sollte. Nur einer, der etwa in meinem Alter zu sein schien, versuchte ihn aufzuhalten. Es klappte sogar. Ich machte mich währenddessen an der Gabel zu schaffen und beobachtete den Jungen und den Wächter aus dem Augenwinkel. Gerade legte er die Ohren an und tat auf unschuldig, was tatsächlich wirkte. Das verwunderte mich sehr, denn der Schlag hatte sehr gewollt ausgesehen. Aber das die Wächter auf so etwas nur all zu gerne reinfallen, wusste ich aus eigener Erfahrung. Sicher versuchte er gerade, sich das Lachen zu verkneifen. Diese ganze Szene war so absurd, dass ich auch grinsen musste. Nachdem die Wächter ihn hinausgeführt und Evan zum Krankenzimmer gebracht hatten, nahmen sie mir auch die Gabel ab, die ich gerade betrachtet hatte. Evan würde wahrscheinlich nie wieder seinen Mittelfinger benützen können, so wie die Gabel an einer Stelle verbogen war und so wie er sie hinein gestoßen hatte. Im Saal war es außergewöhnlich ruhig und die meisten schoben ihre Tabletts zur Seite, auch wenn noch essen drauf war. Ich hingegen aß einfach meinen Pudding und noch einen zweiten, von einem anderen auf.

Zurück bei den Zellen, hatte sich vor meiner Zelle eine Traube Wächter gebildet, die aufgeregt miteinander redeten und mit ihren Teasern in Richtung der Zelle zeigten. Als ich näher kam, erkannte ich auch den Grund für den Tumult. Akira hatte sich an den blonden Wächter, der ihn vorhin aufgehalten hatte geschmiegt, was unter wolfsähnlichen Wesen ein Zeichen der Zuneigung war, auch wenn ich vermutete, dass er es in diesem Fall nicht ernst meinte. Der Wächter allerdings wirkte ängstlich. Es wirkte so, als würde er ihn nicht gehen lassen wollen. Als er schließlich aber dann doch tat, floh der Wärter schnell aus der Zelle. Irgendwie tat er mir leid, er war ja nicht für diesen Job ausgebildet worden.

Ich wartete noch einen kurzen Augenblick, bis die meisten Wächter gegangen waren. Dann ging ich auch in die Zelle, die hinter mir abgeschlossen wurde.

"Weißt du eigentlich wer dieser Blondie war?", fragte ich ihn, worauf er nur mit den Schultern zuckte. Ich lag anscheinend mit meiner Vermutung richtig, dass es ihm vorhin nicht ernst war. Trotzdem sollte er es wissen. "Er war ein Spezialagent, der irgendetwas falsch gemacht hat", erklärte ich: "und jetzt zur Strafe verdonnert wurde, hier Wache zu schieben." Wieder nur ein Schulterzucken als Antwort. Ich hätte mir eigentlich mehr davon erwartet. Ich wollte schon an ihm vorbei zu meinem Bett gehen, als er fragte: "Woher willst du das eigentlich wissen?" Ich lächelte selbstgefällig und antwortete: "Seine Haltung und dass er dir vorhin hinterher gerufen hat, haben gezeigt, dass er kein normaler Wärter ist. Er hat nicht die gewöhnliche, steife Haltung, sondern eine eher elegante, wie die meisten Spezialagenten sie haben. Zudem ist es eine gewöhnliche Strafe, anstatt einer Suspendierung, in einen Knast als Wache eingeteilt zu werden, wenn man etwas ausgefressen hat, dass nicht so schlimm ist." Wenn es ganz schlimm ist, fügte ich in Gedanken hinzu: landet man wegen sowas sogar auf der anderen Seite der Gitter. Ich beachtete ihn nicht weiter, sondern setzte mich mit dem Rücken zu ihm auf mein Bett, aber ich konnte seine fragenden Blicke auf mir spüren. Ich seufzte und legte mich hin. Akira. Immer wieder sah ich ihn vor meinen inneren Augen, blutverschmiert auf einem Berg Leichen liegend. Ich verdrängte die Bilder aus meinem Kopf und versuchte zu schlafen. Ich hörte, wie er zu seinem Bett ging und sich setzte. Er beobachtete mich und unwillkürlich fragte ich mich, ob er sich noch an mich erinnerte. Daran, was ich gemacht habe und dass ich ihm gerne zugehört hätte, wenn ich danach noch gedurft hätte. Ich weiß nicht, wie lange wir so in unserer Zelle waren und schwiegen, bis er schließlich die Stille brach...

Prison of the WarriorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt