6. Sternegucken und Silber

53 5 0
                                    

p.o.v. Levi

Er tat mir schrecklich leid. Als er zurück kam, war er ein Häufchen Elend gewesen. Er hatte mich an damals erinnert. Daran, wie hilflos er damals ausgesehen hatte. Ich seufzte. Ich hätte ihn retten müssen. Ich hatte schon wieder versagt. Ich war viel zu schwach. Ich ging zu seinem Bett, kletterte nach oben und deckte ihn zu. Er zitterte. Unten angekommen setzte ich mich zu Kristal auf ihr Bett. Cooper, Vlad und Nero waren gerade nicht da. Gott sei dank nicht."Erzählst du mir jetzt, wo du gestern warst?", fragte sie: "Erst verwindest du aus der Zelle und dann wird Akira hier so fertig eingeliefert. Was ist gestern bitteschön passiert?!" "Ich musste mal wieder raus, frische Luft und Mondlicht tanken. Aber dann ist er gekommen, hat sich über meine Vergangenheit lustig gemacht und mich ausgefragt, warum ich hier bin. Dann wollte er mir das Gabel-Werfen beibringen, doch es sind Wächter gekommen. Er hat mich weggestoßen und sich selber geopfert. Ich konnte nichts tun. Wenn ich raus gegangen wäre, hätte es die ganze Sache nur noch schlimmer gemacht", erklärte ich, in ernstem Tonfall. Diesmal setzte ich nicht mein Lächeln auf. Es würde eh nicht passen. "Anscheinend haben sie ihm seine magische Energie entzogen. Sie haben ihm einen silbernen Armreif angezogen. Mit seinen Wolfsgenen kommt er wohl nicht dagegen an", fuhr ich fort und sah zu Kristals Hals, an dem ein Bannzauber angebracht war. Ihrer erinnerte von der Form her an eine nachtschwarze Kette. Sie wirkte elegant, aber trotzdem grob. Die schwarzen Kristalle, aus denen diese Art Zauber bestand, glänzten bei ihr. Die Bannzauber wirkten zwar anders, als Silber bei Werwölfen, das ihnen jegliche Energie zu entziehen schien, konnten aber trotzdem sehr schmerzhaft sein. Besonders direkt nach dem Anlegen. Ich stand von ihrem Bett auf und kletterte nach oben, um zu schauen, ob er schlief. Was machte ich hier? Selbst wenn er gerade schlafen würde, könnte ich ihm in Anwesenheit von Kristal nicht helfen. Sie würde es sicher merken und ich weiß nicht, ob sie es nicht irgendwem verraten würde, der es wieder nur einem verraten würde, bis es bis zu den Wächtern durchgesickert wäre, dass ich noch Magie wirken konnte und dann wäre es damit auch vorbei. Ich musste wohl oder übel damit warten.

Beim Abendessen war er nicht mit dabei. Er war zu schwach gewesen, um mit zu kommen und hatte auch keinen Appetit. Schweigend aß ich mein Essen, was eigentlich nichts besonderes war, da ich beim Essen oft die Wächter oder die anderen Häftlinge beobachtete, aber diesmal starrte ich in mein Essen an, während ich es in mich hineinschaufelte. Ich könnte nicht sagen, was es heute gegeben hatte. Nur noch an den Nachtisch erinnerte ich mich: Schokoladentorte. Heimlich steckte ich mein Stück zu der Essensration, die ich für Akira mitbekommen hatte. Zudem lies ich meine Gabel und die Kuchengabel eines anderen in meinem Ärmel verschwinden, als sich gerade zwei Häftlinge in einer anderen Ecke prügelten und somit die Aufmerksamkeit der Wächter auf sich zogen.

Als wir endlich wieder zurück in unserer Zelle waren, lag Akira immer noch in genau der Position da, in der ich ihn vorhin zugedeckt hatte. Aber wenigstens hatte er mittlerweile die Augen wieder offen und beobachtete jede meiner Bewegungen, als ich ihm das Essen hinstellte. "Ich habe dir extra meinen Schokoladenkuchen aufgehoben. Sozusagen als Anfang für einen Schadensersatz", sagte ich und lächelte ihn an. Dann stieg ich wieder nach unten, legte mich in mein Bett und wartete, bis die Sonne untergegangen war. Dann stand ich auf und schlich nach draußen. Cooper war schon eingeschlafen und schnarchte laut und Nero war so in ein Buch vertieft, dass er mich gar nicht bemerkte. Vlad und Kristal hingegen warfen mir misstrauische Blicke zu. "Ich muss ein wenig frische Luft schnappen", flüsterte ich ihnen zu: "Die Sache mit Akira geht mir mehr zu Herzen, als ihr denkt." Dann drehte ich mich um, schloss die Tür hinter mir und verschwand in der Dunkelheit, mit der ich beinahe verschmolz. Leise schlich ich mich nach draußen und sah in den Sternenhimmel. Der Mond tauchte alles in sein sachtes, silbernes Licht. Ich spürte, wie das Licht in meinen Körper eindrang und ihn stärkte. Als ich genug Mondlicht "getankt" hatte, ging ich wieder in Richtung Zelle. Auf dem Weg dorthin sah ich den Blondie, er sah irgendwie bedrückt aus. Kurzerhand beschloss ich zu ihm hin zu gehen.

"Hey, Blondie", flüsterte ich in sein Ohr, als ich direkt neben ihm stand: "Du bist ganz schön neben der Spur. Das könnte gefährlich werden, an einem Ort, wie diesem" Er zuckte zusammen und in seinen Augen spiegelte sich Angst. "Keine Sorge", versuchte ich ihn zu beruhigen: "Ich werde dir nichts tun, ich war weder schon einmal im Blutrausch, noch habe ich das Verlangen dich irgendwie zu belästigen" Und tatsächlich wurde er ruhiger. Seine Hand wanderte langsam zu seinem Teaser und er fragte: "Was machst du hier draußen?! Solltest du nicht in deiner Zelle sein?" "Sternegucken und nachdenken", antwortete ich: "Sind die Sterne nicht wundervoll? Dort ist der große Wagen mit dem Polarstern und hier hinten, das Sternzeichen heißt Zwilling." Ich deutete mit meiner Hand auf die Sterne und schaute verträumt zu ihnen auf. Seine Hand bewegte sich wieder vom Teaser weg und er wirkte deutlich entspannter als vorhin. Schweigend sah er zum Sternenhimmel auf. Er war eindeutig sein Spielzeug. Als ich vorhin neben ihm stand, konnte ich einen Knutschfleck an seinem Hals sehen. Irgendwie hatte mich das zum Schmunzeln gebracht. "Du machst dir auch sorgen um ihn, nicht wahr?", brach ich schließlich das Schweigen. Zuerst schaute er mich ein wenig irritiert an, nickte aber dann. "Was ist mit ihm los?", fragte er, nachdem wir wieder eine Weile geschwiegen hatten: "Er wirkte so kraftlos vorhin." "Silber", antwortete ich knapp. Er seufzte: "Eigentlich war es klar, dass es so kommen musste. Er konnte sich von Anfang an nicht benehmen. Er ist halt doch ein wildes Tier." Darauf schüttelte ich den Kopf. "Jedes Tier wehrt sich, wenn es in die Enge getrieben wird", meinte ich: "Er ist, seit er vierzehn ist, im Gefängnis. In jedem der sieben Fabelwesen-Gefängnisse hatten die meisten einen Blutrausch, sind unberechenbar und aggressiv. Er wurde als kleiner Junge in diese Umgebung gesetzt. Da ist es klar, dass er sich so benimmt, wie er sich benimmt." Dann drehte ich mich um und ging zurück zur Zelle.

Mittlerweile hatte Nero sein Buch weggelegt und Kristal war eingeschlafen. Vlad war nicht in der Nähe. Ich konnte es spüren, da er wie alle Vampire eine recht starke Aura hatte. Leise schlich ich zu Akiras Bett und kletterte die Leiter nach oben. Wieder einmal war ich froh dafür, dass ich im Dunkeln sehen konnte. Anscheinend war er zwischendurch einmal wach gewesen, denn die Schokoladenkuchen fehlten, während der Rest unangetastet geblieben ist. Er hatte seine Augen geschlossen und sein Atem ging gleichmäßig, was dafür sprach, dass er schlief.

Ich legte meine Hand auf den silbernen Ring an seinem Arm. Dann schloss ich die Augen. Es war zwar nicht unbedingt nötig, aber es vereinfachte und beschleunigte es ungemein. Ich spürte wie die Energie durch meinen Körper strömte. Ich liebte dieses Gefühl. Vorsichtig ließ ich die Energie bis in meine Fingerspitzen fließen, ohne Akira seiner Energie zu berauben. Dort, wo sich meine Hände und das Metall berührten wurde es heiß, aber es war nicht die angenehme Hitze, wie beim Heilen, sondern eine stechende, schmerzhafte Hitze. Ich musste mich zusammenreißen nicht los zu schreien oder los zu lassen. Ich berührte das Metal so lange, ich konnte. Ich konnte die Veränderung spüren. Erschöpft kletterte ich aus dem Stockbett und ging erst einmal zum Waschbecken, um meine Finger mit kaltem Wasser ab zu kühlen. Wahrscheinlich hatte es nichts gebracht. Ich war noch nie gut in Alchemie gewesen. Über dem Waschbecken war ein Spiegel angebracht, in den ich jetzt schaute. Ich selber schaute mir daraus entgegen. Allerdings hatten meine Haare einen bläulichen Schimmer bekommen und meine Augen leuchteten in einem hellen Blau. Ich hoffte, dass bis zum morgen, alle Hinweiße darauf, dass ich Magie gewirkt hatte aus meinem Gesicht verschwunden wären. Dann legte ich mich ins Bett und schloss die Augen, um mich ein wenig auszuruhen.

Prison of the WarriorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt