26 - Nächtliche Versprechen

103 18 3
                                    

Morgen würden sie aufbrechen.

Es kam ihr seltsam vor, die Vorstellung. Schon die letzten Tage waren seltsam unwirklich gewesen, als wären die Männer um sie herum nicht ganz greifbar, nur Hirngespinste aus Rauch und verlorenen Träumen, die sie sich zur Gesellschaft ausgedacht hatte. Selbst Samir war weniger präsent als je zuvor, weil die tägliche Anstrengung ihn genauso erschöpfte wie sie.

Sie wünschte sich, dass sie schlafen könnte. Schlaf – einmal hatte sie ihn gehasst, war froh gewesen dem Halbzustand und den wirren Albträumen zu entkommen, aber sie stellte ihn sich längst wieder als Segen vor, als unendliche Erleichterung nach einem viel zu langen Tag. Was ein Vorteil war, wenn es Wachsamkeit bedurfte, war in jeder anderen Nacht zu einem weiteren Fluch geworden, den sie ganz still mit sich trug. Seufzend lehnte sie sich auf die Brüstung des Turmes im äußeren Ring des Schlosses, den sie erklommen hatte und sah hinab auf die fahl im sinkenden Mondlicht glänzenden Wellen, während sie wartete.

„Also ist es wahr", kam irgendwann die Stimme von Lord Jester hinter ihr. Sie hatte sich nicht geregt, als sie seine Schritte gehört hatte. „Ihr schlaft nicht."

Er gähnte, als er neben sie trat und streckte sich ausgiebig.

„Das muss praktisch sein für kleine nächtliche Geheimtreffen wie dieses", fuhr er fort und hob vielsagend die Augenbrauen. „Auch wenn ich anmerken muss, dass mich in Anglien zahlreiche Geliebte sehnsüchtig erwarten und unsere leidenschaftliche Affäre nicht von Dauer sein kann. Falls das der Grund ist, warum Ihr mich herbestellt habt."

„Darum geht es mir nicht", erwiderte Elwa leise und wandte sich endlich zu ihm um. „Und es tut mir Leid, Euch um Euren wohlverdienten Schlaf zu bringen, Lord Jester. Allerdings wart Ihr selbst es, der mir diesen Ort und seine Vorzüge gezeigt hat."

Der Wind vom Meer war kalt, aber dafür so stark, dass man selbst im letzten Turmzimmer nur sein Heulen durch die Ritzen hörte, nicht, was die Stimmen ganz oben sprachen. Jester hatte sie einmal hierhin begleitet, als Samir in ein Übungsduell mit Thabohani verwickelt gewesen war und Prinz Cristian ihnen keinen anderweitigen Auftrag gegeben hatte. Dass man sich hier vor fremden Ohren geschützt unterhalten konnte, hatte er nur ganz beiläufig einfließen lassen, denn tagsüber stand hier immer eine Wache, um Meer und Klippen zu überblicken. Nicht so in der Nacht.

„Ein Putschversuch also?", fragte er grinsend. „Ihr seid eine Frau von faszinierender Stärke und Talent, aber derartige Aggressionen hätte ich Euch nicht zugetraut. Dabei wäre ich natürlich trotzdem, wenn Ihr mir nach Eurem Erfolg ein Schiff in meine Heimat versprecht."

Er zwinkerte ihr zu und Elwa lächelte schwach. Früher auf ihrer Reise hatte Samir noch auf ähnliche Weise gescherzt, aber Lisalvor hatte ihn mürbe und ernst gemacht. Sie vermisste diese lockere Art von ihm fast mehr als seine ständige Nähe, wohl wissend, dass erste erst zurückkehren würde, wenn es für letztere zu spät war.

„Ich wollte Euch fragen, ob Ihr bereit seid, mir etwas zu versprechen", sagte sie.

Vielleicht hätte sie dafür nicht bis hierher kommen müssen, vielleicht hätte sie ihn einfach in seinen Gemächern aufsuchen können. Aber fast mehr als die Entdeckung von Spitzeln des Königs fürchtete sie, dass Samir mitbekam, was sie tat. Er und Jester waren ebenfalls gute Freunde geworden, gänzlich abwegig war es also nicht, dass er sich selbst für ein paar private Worte bei ihm blicken lassen würde. Möglicherweise ganz ähnliche wie die, für die sie gekommen war.

„Das kommt natürlich darauf an, um was es geht", erwiderte Lord Jester bedächtig. „Ich würde viel für Euch tun, Rosenprinzessin, aber angenommen ihr verlangt von mir, jetzt von diesem Turm zu springen, dann bräuchte ich doch einen triftigen Grund."

Dornen - Das Königreich in FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt