30 - Alter Kampf

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Wenn alle anderen eingeschlafen waren, dann war es fast wie damals zu Beginn ihrer Reise, als die Welt ihr noch weit und verlockend offen gestanden hatte, als jeder Tag neue Wunder gebracht hatte. Das Feuer in der Mitte ihres Lagers war bis auf die letzte Glut hinuntergebrannt und würde bald erlöschen, aber Elwa wollte kein Holz nachlegen, genauso wenig wie sie es in diesen ersten Nächten getan hatte. Selbst die Nacht war ähnlich kühl wie damals, auch wenn der Herbst hier später herankroch als in Ilreths Nachbarreichen.

Das hier war die erste Nacht, in der sie ein Lager im Freien aufgeschlagen hatten, nach Kasernen, Wirtshäusern und Scheunen, die Cristian im Namen des Königs für sie beschlagnahmt hatte. Elwa verstand wohl, dass das in seiner Macht lag und auch, dass sie keinem zahlenden Gast die Betten weggenommen hatten, aber es gefiel ihr dennoch nicht, mit welcher Selbstverständlichkeit der Prinz die Furcht in den Gesichtern der Dorfleute übersah, ihnen nur bei gutem Dienst ein paar Münzen daließ oder gar offene Bitten, weiterzuziehen in den Wind schlug.

Meistens hatte sie die Nächte damit verbracht, einen Teil ihres Proviants zu nehmen, oder ein paar Münzen abzuzwacken, möglichst von ihrem eigenen Gepäck oder zumindest so, dass es nicht auffiel, und den Leuten vor die Tür zu stellen, deren Glieder besonders abgemagert waren.

Es tat weh, die Armut und Verzweiflung der einfachen Bevölkerung von nahem zu sehen, je kleiner das Dorf wurde, je nördlicher sie kamen, desto klarer wurde ihre Not. Schon am dritten Tag hätte Prinz Cristian sie fast wutentbrannt wieder zurückgeschickt, weil sie ihn davon abgehalten hatte, ein altes Bauernpaar mit der Reitgerte vom Weg zu peitschen, das ihm nicht schnell genug Platz gemacht hatte. Nur Samirs besonnenes Einschreiten hatte den Prinzen beruhigen können, aber seitdem bewegte sie sich auf noch trügerischem Grund als ohnehin schon und sie war dazu verdammt, den Menschen nur helfen zu können, wenn er es nicht mitbekam.

Was für eine Welt war das, in der man abfällig darüber murmelte, dass ihr Herz zu weich war? In der Mitgefühl schlimmer war als Schwäche? Mit ihrem Verstand konnte sie es wohl begreifen, sie hatte lange genug mit Samir darüber gesprochen nach diesem Tag, leise und versteckt, aber das machte die Schmerzen nicht kleiner, wenn ihnen in manchen Dörfern schon dutzende von mageren Kindern mit bettelnd ausgestreckten Händen entgegenkamen.

So sah ein Land aus, das sich im Krieg befand. In den Büchern davon zu lesen war eine Sache, es selbst zu sehen eine ganz andere. Warum war ein einziger Krieg nicht genug gewesen, um allen Menschen zu zeigen, wie furchtbar seine Folgen waren und sie zu ewigem Frieden zu drängen? Warum war es nicht einmal mehr möglich, trotz der ernsten Lage ein wenig Freundlichkeit zu zeigen, ein wenig Nachsicht für die Leute, die nur zu überleben versuchten?

Einer der Soldaten am Feuer schnarchte laut auf und riss sie aus ihren Gedanken. Eigentlich hätten zwei von ihnen Wache halten sollen, aber sie hatten einen anstrengenden Tag hinter sich und sie hatten es nicht viel länger als Mitternacht ausgehalten. Wahrscheinlich hätte Elwa sie wecken sollen, aber die Männer hielten selbst immer Abstand zu ihr, als fürchteten sie eine ansteckende Krankheit und um ihre eigene Befangenheit nach solcher Behandlung zu überwinden, hätte es einen besseren Grund geben müssen als eine Wache, die sie selbst übernehmen konnte. Durch das Schnarchen der Männer konnte sie immer noch das Rascheln von Tieren zwischen den Felsen hören, das Ferne rufen einer Eule ...

Und dann hörte sie Schritte.

Es waren keine zusammenhängenden Schritte und sie waren schnell, hastig. Jemand näherte sich ihnen, der sein Bestes getan hatte, nicht gehört zu werden und gescheitert war. Wahrscheinlich mehr als eine Person. Sie sprang auf und eilte dorthin, wo Samir schlief, um ihn wachzurütteln, nur Sekunden bevor der erste Mann mit erhobener Axt, aber ohne Kampfgeschrei, hinter den Felsen hervorsprang.

Dornen - Das Königreich in FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt