47 - Ein Fluss dazwischen

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Das Dorf zu verlassen war weitaus weniger spektakulär, als dort anzukommen. Jester hatte lange im Schankraum gesessen und die lokale Bevölkerung unterhalten und Samir hatte ihm Gesellschaft geleistet, auch wenn er selbst weder getrunken, noch sich bei seinen lebhaften Geschichten beteiligt hatte. Aber solange er Jester und seinen neuen Trinkfreunden hin und wieder ein halbherziges Grinsen zuwarf, konnte er so unbehelligt seinen Gedanken nachhängen. Die Dörfler wussten nicht, in wessen Auftrag sie unterwegs war und wahrscheinlich hätten sie sie deutlich weniger herzlich empfangen – von Prinz Cristian, wie von der ganzen candalonischen Armee hielt man hier nicht viel. Den ganzen Abend über schimpften sie, dass niemand etwas wegen dem See unternahm, oder gegen das regelmäßige Verschwinden von Dorfbewohnern in den Hügeln und während Jester fröhlich mitschimpfte, biss Samir sich auf die Lippen und versuchte, sich nicht zu schuldig darüber zu fühlen, die Leute hier so einfach im Stich zu lassen.

Es war nicht ihre Aufgabe, er war hier als Gefolge von Prinz Cristian, ohne Verantwortung ...

Er und Jester gähnten beide, als sie im Morgengrauen wieder aus dem Dorf herausritten, der See zu ihrer Rechten. Samirs Blick wurde von seiner glatten, dunklen Oberfläche immer wieder angezogen. Ihm war, als wäre der See weniger lebendig als zuvor, leerer. Düsterer. Nichts mehr von dem Freiheitsgefühl zu spüren, das er noch in der ersten Nacht bei der Burgruine ausgelöst hatte. Aber vielleicht meinte er auch nur, diese Veränderung zu spüren, weil er die Ereignisse des letzten Abends, die Dunkelheit bei den Soldaten sowie die toten Fische im See, miteinander verband. Die Begegnung mit den beiden Frauen, so leicht sie auch hätte schiefgehen können, gab ihm die Hoffnung, dass diese Leute noch nicht ganz verloren waren, dass es immer noch Candalonier gab, die für sich und für ihre Familien kämpften, die die Hoffnung nicht aufgegeben hatten. Wenn es nur einen Lichtblick gab in all dem Bösen, das sie bedrohte, dann würden die Menschen hier ihr Schicksal sicherlich selbst in die Hand nehmen können.

Sie hatten das kleine Dorf bald hinter sich gelassen, der Weg selbst führte für eine Weile durch die Ausläufer der Hügel, statt sich direkt am Seeufer entlang zu schlängeln. Jester seufzte laut, als sie wieder völlig ganz und gar allein waren.

„Ich wünschte mir wirklich, wir hätten noch ein paar Tage bleiben können", sagte er bedauernd. „Trinken bis zum Morgengrauen, mit hübschen Mädchen ins Bett fallen, an deren Namen man sich nicht mehr erinnert und gleich nach dem Aufwachen weitermachen."

Er ließ den Kopf kreisen, sodass seine Knochen knackten.

„Wenn man nur eine Nacht hat, dann fällt die Entscheidung so schwer", fuhr er grinsend fort. „Mädchen, die kriegt man immer. Aber zu viel davon und dann vermisst man vernünftige Muskeln, Ecken, die Härte ..."

Er warf Samir einen schelmischen Seitenblick zu und Samir schnaubte auf.

„Das ist kein Thema für mich, Jester", sagte er belustigt. „Das kannst du dir wahrscheinlich denken."

„Stimmt", meinte Jester und lachte leise auf. „Du bist einer von den guten, hatte ich fast vergessen. Brichst sogar einer Prinzessin das Herz, weil du einem anderen treu bleiben willst."

Es war nur ein kleiner, scherzhaft gemeinter Seitenhieb, aber es ließ Samir leise aufstöhnen. Sein Kopf schmerzte davon, wie lange er wachgelegen und sich in Gedanken gewälzt hatte, aber mit den Geschehnissen der Nacht davor hatte er sich noch immer nicht ganz abgefunden.

„Glaubst du, das habe ich wirklich getan?", fragte er halblaut. „Ihr das Herz gebrochen?"

Jester schüttelte ungläubig den Kopf.

„Was weiß ich", sagte er rasch, wohl gewahr, dass sie die Grenze für leichte Scherze überschritten hatte. „Du kennst sie besser als ich. Sie scheint mir eine sehr vernünftige Person, der ihr viel bedeutet, sie wird deswegen nicht ... Ach, bei unserer geliebten Königin!"

Dornen - Das Königreich in FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt