Dieses Mal war der Traum anders. Samir schreckte hoch und dachte für einen Moment, dass ihn ein Geräusch in der Nacht geweckt hatte, die Mauern der Burgruine, in der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, noch immer aus den Augenwinkeln sichtbar. Aber als er sich aufrappelte, ohne den Boden unter seinen Händen zu spüren, war er völlig allein, ohne eine Spur der anderen.
Das fahle Licht war das gleiche wie in den anderen Träumen und der Grund, warum er verstand, was geschah, obwohl der Ort selbst eine perfekte Nachbildung von dem war, wo er eingeschlafen war. Erst, als er durch die Überreste des Tores aus dem geschützten Innenhof hinaustrat, öffnete sich vor ihm wieder weite Leere statt der Bäume, die sie in der Wirklichkeit umgaben.
Djadi wartete draußen auf ihn, ein schwaches Lächeln auf seinen Lippen. Hinter ihm bewegte sich etwas, aber so klar auch alles andere auf der weiten Ebene zu erkennen war, konnte Samir doch nicht sagen, was es war.
„Wie viel Zeit habe ich noch?", fragte er dumpf, bevor Djadi selbst das Wort erhob.
Sein Freund lächelte breiter und zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht", sagte er, fast fröhlich. „Nicht viel. Aber wahrscheinlich genug."
Er begann zu gehen, eine große Runde um die Mauern der alten Burg und Samir spiegelte seine Bewegungen, ohne sich ihm weiter zu nähern, zu unsicher, ob er dann nicht sofort wieder verschwinden würde. Die letzten Male war Djadi nur gestanden, aber die letzten Male hatte er auch keine Burgruine mit in den Traum gebracht. Dieser hier war anders. Echter. Samir schluckte schwer, als die Erkenntnis sein Herz schneller pochen ließ. Djadi war so nah, so greifbar, sein Gesicht lebendiger denn je, es kostete ihn all seine Überwindung, nicht auf ihn zuzustürmen und ihn fest in die Arme zu schließen.
„Ich vermisse dich", flüsterte er erstickt und blieb stehen. Djadi tat es ebenfalls und wandte sich ihm zu, Wehmut in seinen Augen.
„Und ich dich", erwiderte er leise. „So sehr. Ich wäre längst tiefer gegangen, aber ich klammere mich an die Hoffnung."
„Ich auch", sagte Samir. „Ich auch. Ich finde dich, Djadi, ich schwöre es."
Der Traum ließ ihn nicht weinen, aber er fühlte die Überwältigung in seiner Seele, den unerfüllbaren Drang, ihn zu berühren, zu küssen, ihn nie wieder loszulassen. Djadi sah ihn an und legte den Kopf schief.
„Ich weiß", sagte er nur. „Du hast mich immer gefunden."
„Und du mich", murmelte Samir.
Djadi ging ein paar Schritte weiter seine Runde, aber er selbst war wie festgefroren. Dann drehte Djadi zur Seite und trat auf die Mauer zu, den Mund fragend geöffnet und die Hand lange ausgestreckt, bevor er den Stein berührte. Ein Ausdruck tiefsten Erstaunens trat auf sein Gesicht und Samirs Herz pochte, weil er diesen Ausdruck so gut kannte, weil er nie geglaubt hätte, ihn in einem Traum wie diesen wiederzusehen.
„Ich kann es berühren", murmelte Djadi überrascht. „Es ist echt. Vielleicht kann ich deswegen mit dir ... sprechen. Vielleicht ..."
Er drehte sich zu Samir. Sie standen sich gegenüber, nur ein paar Schritte entfernt, die Mauer neben ihnen, solide und neu und anders. Samir musste mit der Hand danach tasten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, als Djadi vorsichtig näherkam. Nicht nah genug, aber näher als die letzten Male.
„Das ist der Ort, an dem du dich gerade befindest, nicht wahr?", flüsterte er fasziniert. „In der echten Welt." Das Erstaunen funkelte wieder in seinen Augen, während seine Finger fast abwesend die Ritzen zwischen den Mauersteinen entlangfuhren. „So weit weg von Ilreth ... aber nicht von den Dornen."
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Dornen - Das Königreich in Flammen
Fantasy~ Feuer hatte ihm Djadi geraubt und Feuer würde er sich entgegenstellen müssen, um ihn zurück zu bringen. ~ Über ein Jahr ist vergangen, seit Prinz Samir und seine Begleiter das erlöste Königreich Ilreth verlassen haben, um ihren verlorenen Freund z...