58 - Von fremder Hand

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Samir machte sich Sorgen, als er in sein Zimmer zurückkehrte, ohne Elwa gesehen zu haben. Der vernünftige Teil von ihm wusste, dass alles in Ordnung sein musste – er hätte gemerkt, wenn irgendetwas nicht gestimmt hätte, das Dorf war aber völlig friedlich gewesen -, doch es war so ungewohnt, nicht wenigstens ein paar Worte mit ihr vor dem Schlafengehen zu wechseln, dass es ihn durcheinander brachte.

Jester musste merken, dass er nicht ganz bei sich war, denn als Samir in ihr geteiltes Zimmer eintrat sah er sofort auf.

„Alles in Ordnung?", fragte er mit schiefgelegtem Kopf und schwachem, ermutigendem Lächeln. „Haben die Bergleute noch irgendwelche heftigen Keulen ausgepackt, nachdem ich gegangen bin?"

„Nein, überhaupt nicht", versicherte Samir ihm schnell. „Wir haben mit ihnen Tee getrunken, um die Vereinbarung zu besiegeln und sind aus Höflichkeit noch länger geblieben. An den Konditionen hat sich nichts geändert."

„Gut", sagte Jester zufrieden. „Was waren es gleich, fünfzig Pferde? Hundert? Mit ihnen würde es nur ein paar Tage bis zu den Kasernen der Klippenstadt dauern, um Kämpfer aufzunehmen. Weniger, wenn Prinz Cristian einen früheren Stützpunkt anfliegt."

„Du klingst erstaunlich guter Dinge, dafür, dass du ihn bis jetzt nicht ausstehen konntest", murmelte Samir und ließ sich mit einem erleichterten Seufzen auf sein Bett fallen.

„Eben deswegen", sagte Jester grinsend. „Nur ein paar Tage und wir sind fertig. Er braucht uns wahrscheinlich, damit wir Schäfer für die Pferde spielen, aber danach ist er bestimmt froh, uns loszuwerden und sich allein mit seinen Männern um den Drachen zu kümmern. Wir müssen nur noch im Klippenschloss warten, bis sie mit den Siegesnachrichten zurückkommen."

„Hm", machte Samir unbestimmt und lehnte sich schwer gegen das Kopfende des Bettes. Es stimmte, was Jester sagte – der Flug würde ihnen viel Zeit einsparen, es war nur eine Frage von Tagen, bis sich alles wieder aufgelöst haben würde. Wahrscheinlich hatte er auch recht damit, dass der Drache gegen hundert Krieger auf fliegenden Pferden wenig auszusetzen hatte und der Sieg rasch folgen würde. Sie hätten ihr Versprechen gehalten und würden frei sein, und der schwerste Teil war geschafft. Aber der Drache ...

„Ich kann dennoch den Gedanken nicht abschütteln, dass es der falsche Weg ist", sagte er, obwohl er wusste, dass Jester die Sache anders sah. Wie erwartet verzog dieser das Gesicht.

„Macht doch nicht die Stimmung kaputt, oh Wanderprinz", sagte er und schob die Unterlippe fast beleidigt vor. „Zieht weiter. Seid zufrieden mit Euren Erfolgen, anstatt die Perfektion in Eurem Heldentum zu suchen."

Samir erwiderte nichts mehr. War er nicht genau das Djadi schuldig, nach all den Umwegen, die er bereits hatte in Kauf nehmen müssen? Bedeutete bleiben und weiter für Candalonien, gegen die Dornen, zu kämpfen, nicht, dass er trotz all seiner Worte mit seinen Taten Elwa über ihn gewählt hatte? Elwa, die ihm absichtlich aus dem Weg ging, obwohl ihr letzter Brief noch so anders geklungen hatte ... Er seufzte tief.

„Ich habe den Vogel nicht gesehen, seit ich die letzte Nachricht mit ihm losgeschickt habe", sagte er halblaut. „Ich weiß nicht einmal, ob Elwa die Nachricht bekommen hat. Ich verstehe nicht, warum sie nicht ..."

Er hielt inne, mit jedem Wort klarer, wie verletzt er von ihrer plötzlichen Abweisung war. Dann spürte er Gewicht auf dem Bett neben seinen Beinen und als er sich hochrappelte, sah er Jester auf der Bettkannte sitzen und eine kleine Flasche in seine Richtung halten, so wie er es vor Tagen, Wochen am Feuer getan hatte. Er schwang die Beine zurück auf den Boden, sodass sie nebeneinander saßen.

„Das ist dein letzter anglischer Gin", stellte Samir mit erhobenen Augenbrauen fest und konnte das leise Schnauben nicht verhindern. Jester grinste ihn breit an, das Funkeln in seinen Augen der einzige Hinweis, dass er ganz genau wusste, was er tat.

Dornen - Das Königreich in FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt