Ungebetene Gäste und alte Flammen

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„So eh ja ... er hat gesagt, er könnte sich verwandeln. Also, Kit", erzählte Selena und deutete auf Kitsune, der hinter ihren Beinen gefesselt am Boden saß und angespannt die drei fliegenden Affen anschaute. Diese knurrten bedrohlich. Ihre messerscharfen Zähne blitzten im Licht und der Gestank von Affenfell strich ihr über die Nase.
Sie zwang sich nicht das Gesicht zu verzerren, denn sie wusste, dass ihre Besitzerin es nicht gerne hatte, wenn man ihre fliegenden Affen beleidigte. Selena hatte selbst miterlebt, wie anderen wegen einem Nasen rümpfen aus dem Turm geworfen wurden.
„Selena, hast du da eben die Nase gerümpft gegenüber meinen Lieblingen?" Ihre Stimme war dunkel und kühl wie die Nacht. Eins war in dieser Stimme Wärme gegenüber Selena gewesen, aber diese Jahre waren lange vorüber.  
„Nein, nein! Das würde ich doch nie."
Ihre grünen Augen musterten Selena skeptisch. Selena fuhr rasch fort mit ihrer Erzählung: „Also hat der kleine Fuchsdämon sich in die Märchenkönigin verwandelt. Dann er die magischen Worte: Spieglein, Spieglein und Blabla gesagt und so sind wir hier gelandet", endete Selena mit ihrer Ausführung und hob in einer hilflosen Geste die Arme.
Sie musste gestehen, dass, während sie die Geschichte erzählte, alles furchtbar bescheuert und lächerlich geklungen hatte. Als hätte sie alles gerade erst erfunden, um nicht den Affen zum Frass vorgeworfen zu werden.
Aber das war alles die Wahrheit ... wie war ihr Leben gleich nochmal so skurril und kompliziert geworden?
„Naja, sagen wir, er hat VERSUCHT sich in die Märchenkönigin zu verwandeln", fügte Hel hinzu und riss Selena aus ihren Gedanken.
„Hey! Es war eine fast perfekte Verwandlung!", schimpfte Kit und Selena seufzte lautlos. Nicht das schon wieder ...
„Und sie war besser als alle anderen davor", fügte Kit kleinlaut hinzu.
„Ja, außer, dass du nur den verdammten Kopf geschafft hast und dein Körper immer noch deiner war", entgegnete Hel genervt. „Das sah sowas von dämlich aus, dass ich nie damit gerechnet, dass es klappen würde."
„Aber es hat geklappt!", plusterte Kit sich auf.
Selena stellte fest, dass der kleine Kit ein bisschen an Mut gewonnen hatte, seit sie in dem Haus des Schreckens gewesen waren. Während sie an diesen grausamen Ort dachte, überlegte sie, ob sie die beiden Nervn sägen nicht einfach hätte da lassen sollen.
„Nun, diese Geschichte hört sich sehr verrückt an und normalerweise würde ich kein Wort davon glauben, aber ..."
„Hör zu, Elphaba", setzte Selena an. Sie schaute von Hel und Kit, die hinter ihr gefesselt auf dem Boden saßen, zurück zu Elphaba, der Hexe von Oz.
„Ich kann verstehen, wenn du mir nicht glaubst oder diesen beiden Iidoten..."
„HEY!", mischte Hel sich ein.
Selene ignorierte sie. „... aber du kannst gerne einen von deinen wunderbaren Wahrheitstränken holen und ich ..."
Elphaba hob die Hand und Selena verstummte. Elphaba saß auf einen Stuhl mit hoher Lehne an einem runden Tisch in der Mitte des Raumes. Sie hatte die Hände ineinander gefaltet und musterte Selena aufmerksam. Ihre grünen Augen und grüne Haut schimmerten in dem Abendlicht. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem losen Dutt hochgesteckt. Ihre Miene war unlesbar und das überraschte Selena, denn normalerweise war die Hexe für sie wie ein offenes Buch.
Das Audienzzimmer – ein kleiner runder Raum im obersten Stock eines Turms – war gefüllt mit ihren fliegenden Affen, die nur darauf warteten sich auf Selena und die anderen zu stürzen. Die Wände bestanden aus durchsichtigen Glas und gaben eine atemberaubende Aussicht auf das Meer, in das sich gerade die untergehende Sonne spiegelte.
Hel und Kit hockten wie quengelnde Kinder am Boden und waren mit magischen Fesseln angekettet, während Selena vor dem Tisch stand und versuchte zu erklären, warum die Drei einfach so in ihr Audienzzimmer geplatzt waren.
Sie waren mitten auf den runden Tisch gelandet und hatten diesen umgeworfen mit allem, was sich darauf befunden hatte. Das Chaos aus Dokumenten, Weingläsern und kleinen Schnittchenresten räumten gerade zwei der Diener auf. Diese warfen Selena hasserfüllte Blicke zu und knurrten sie warnend an.
Elphaba seufzte hörbar und Selenas Aufmerksamkeit glitt zur Hexe zurück. Sie trug eine weiße Hose und eine gelbe Bluse, die ordentlich in die Hose gesteckt war.
„Du hattest schon immer einen Hang zur Dramatik, Selena", meinte Elphaba und lächelte leicht.
„Und wenn ich mich recht erinnere, mochtest du das sehr an mir", konterte Selena und bereute es aber gleich.
Elphaba verzog das Gesicht. „Mochte ... das ist richtige Verbform dafür, das stimmt." Wieder seufzte sie und ihr Blick glitt kurz über Hel und Kit, dann zurück zu Selena.
„Was willst du hier?"
„Ich wollte mal vorbeikommen und..."
„Selena, bitte. Ich konnte schon immer sagen, wenn du lügst und das hat sich nicht geändert."
Selena atmete tief durch. Sie spürte alte Wunden und Herzschmerz in sich hochkommen, aber sie unterdrückte es. Hel merkte anhand von Selenas und Elphabas Seele, dass die beiden einmal mit Liebe verbunden waren. Sie rutschte auf ihrem Hintern weiter vor zu Selena.
„Ja, Selena, warum genau hast du uns zu deiner Ex gebracht?", merkte Hel trocken an. „Die immer noch super verletzt ist wegen dir und dazu noch eine der stärksten Hexen überhaupt ist?!"
Selena blickte zu Hel hinab und knurrte.
Hel ist nicht beeindruckt. „Ich hatte eigentlich erwartet, dass du mehr Grips in der Birne hast."
Elphaba beobachtete die beiden interessiert.
„Wir sind hier wegen einem Fluch", wandte sich Hel dann an Elphaba. „Die Psychopathin aus dem Märchenwald hat uns gesagt, dass die griechische Mythologie verflucht ist. Und dieser Fluch kann nur von einer sehr starken Hexe gebunden werden ..." Hel schaute Elphaba erwartungsvoll, beinahe beschuldigend an.
„Ich binde seit Jahren keine Flüche mehr binde. Ich bin eine weiße Hexe und habe der schwarzen Magie abgeschworen", meinte Elphaba und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Ihre Augen verengten sich leicht. „Ich schätze euer dramatisch inszenierter Besuch war ... umsonst."
„Wenn er dich zum Lächeln gebracht hat, dann war es das durchaus wert, Elphi."
Elphaba konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und Selena freute sich insgeheim darüber, dass ihr Charme bei der Hexe immer noch wirkte.
„Bei Odin! Baggerst du alles an, was weiblich ist?", maulte Hel und zerstörte das kleine Knistern, das zwischen Selena und Elphaba entstanden war. Selena warf ihr einen tödlichen Blick zu.
Hel setzte sich gerade hin mit ihren Beinen im Schneidersitz und schaute zu der Hexe von Oz.
„Hör zu, Hexe, du kennst dich anscheinend mit Flüchen aus, aber du warst es nicht. Na gut, das glaube ich dir mal."
„Hel!", knurrte Selena warnend.  Hel ließ sich davon nicht beirren.
„Aber wir brauchen deine Expertise, wenn wir herausfinden wollen, wer den Fluch gebunden hat."
„Warum sollte ich euch meine Expertise anbieten? Ihr seid hier einfach eingedrungen und habt mich bei meinem Abendmahl gestört."
„Wenn du uns hilfst, dann kannst du gerne Selena um die Ecke bringen."
"HEL!"
Hel zuckte mit den Schultern und ignorierte Selena beflissentlich. Elphaba neigte leicht den Kopf und erwiderte den Blick der Totengöttin.
„Verlockend. Aber ..."
„Ich sehe den Schmerz in deiner Seele, ok?", unterbrach Hel sie. „Und glaube mir, ich würde die Wölfin am liebsten selbst umbringen, wenn ich das könnte ... aber leider sind mir die Hände gebunden ..." Sie hob die Hände, um die magischen Fesseln gelegt waren. „... nicht nur buchstäblich, sondern leider auch durch ein Götterversprechen. Aber ich kann niemanden abhalten, der den Drang dazu verspürt ... deswegen ..." Hel deutete zu Selena. „Tob dich aus. Es bleibt unser Geheimnis."
„Nein, tu das nicht!", mischte Kit sich ein und versuchte sich panisch von den Fesseln zu befreien.
„Danke, Kit", murrte Selena, verschränkte die Arme und schaute zu Elphaba, die Hel musterte.
„Hör zu, Elphaba, ...", begann Selena seufzend. „... ich weiß, dass du allen Grund dazu hättest, mich rauszuwerfen oder um die Ecke zu bringen, aber ich brauche wirklich deine Hilfe hier. Es ist wirklich wichtig und du weißt, dass wenn es nicht so wäre, ich nicht hierher gekommen wäre."
Elphaba erhob sich aus ihrem Stuhl und bedeutete ihren Affendienern, den Raum zu verlassen. Dann wackelte sie dreimal mit ihrer Nase und die magischen Fesseln lösten sich von Hel und Kit.
„Gut, ich werde euch helfen. Wegen der guten alten Zeiten", sagte Elphaba und warf Selena einen kurzen Blick zu. „Und weil die Klügere nachgibt und verzeiht."
„Du warst schon immer die Klügere von uns beiden", gab Selena lächelnd zu und Elphaba schnaubte.
„Ja, das müsste man meinen." Dann atmete sie tief durch und klatschte in die Hände. „Da ihr mit eurem dramatischen Auftritt mein Abendessen zerstört habt ... wie wäre es, wenn wir alles beim Essen besprechen? Ihr müsst bestimmt hungrig sein."
Selena hatte Kit noch nie so strahlen sehen. Er schaute begeistert zu Elphaba und dankte ihr überschwänglich. Hel verdrehte nur die Augen, gestand aber, dass sie durchaus hungrig war.

Die drei Mythengetiere Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt