Auf der Flucht mit Stil

11 3 1
                                    

Die Sonne war am untergehen und es war diese besondere goldene Stunde am späten Nachmittag, die den Abend bereits angekündigte, aber noch genaue warmes Tageslicht verbreitete, um schwelgend in die Ferne zu schauen.
Die kleinwüchsige Frau sog tief die Luft ein und schaute verträumt der untergehenden Sonne zu. Sie lächelte und schloss die Augen, um diesen Moment der Stille und des Friedens zu genießen. Sie liebte diese späte Stunde am Tag. Das ist, wenn die Feierabend machte, hinaus ging nach einem langen Tag an dem Ofen und einfach für sich war. Es war der Moment, um sich zu besinnen und zu reflektieren, was über den Tag passiert war. Die Frau fuhr sich über die kurzgeschorenen Haare und öffnete wieder die Augen, um dann auf das Grab hinab zu schauen, vor dem sie saß.
„Heute war ein guter Tag, Mama", flüsterte sie leise und schaute liebevoll zu dem Grab. „Ich habe ein neues Rezept ausprobiert und ich muss sagen, es ist mir wirklich gut gelungen. Ich kann mir vorstellen, dass es der neue Renner des Sommers wird."
Sie schmunzelte und ihre dunkel grünen Augen suchten erneut die untergehende Sonne, als Melancholie und Sehnsucht sie überkam.
„Du wärst stolz auf mich gewesen", murmelte die Frau mit brüchiger Stimme, wenn sie an ihre verstorbene Mutter dachte. Sie dachte an das weiche Lächeln, die aufgeweckten Augen und ihr lautes Lachen. Sie dachte an all die guten Momente und nicht an die schlechten. Nicht an die Zeit, als ihre Mutter geplagt war von schwerer Depression.
„Hey!"
Die Frau schreckte hoch und wischte sich hastig eine Träne aus dem Augenwinkel. Verwirrt blickte sie hinter sich, um zu erkunden, woher diese unbekannte Stimme kam. Eine wunderschöne Frau stand hinter ihr. Ihre Lippen waren rot wie Erdbeeren und schauten genauso saftig aus. Ihre Haut war schimmernd wie Kupfer. Ihr wohl geformter Körper war bekleidet mit eleganten und teuren Gewändern. Sie wirkte eine Nobelfrau, aber irgendwie wusste die kleinwüchsige Frau, dass mehr hinter dieser Fassade steckte.
„Bist du Gretel?", fragte die schöne Frau mit einer melodiösen Stimme, die tief in Gretels Seele tauchte und ihr einen Schauder über den Rücken jagte.
„Ja ...", erwiderte Gretel zögerlich, während sie von dem Grab ihrer Mutter weg ging. Ihr Körper war angespannt und sie beobachtete die schöne Frau, als ihr eine unangenehme Vermutung kam.
„Und du bist wahrscheinlich..."
„Rotkäppchen, genau", unterbrach die schöne Frau lachend und warf ihr welliges rotes Haare zurück. Gretel verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte Rotkäppchen mit einem skeptischen Blick. Sie kannte all die Geschichten, die Selena und Hänsel ihr erzählt hatten.
Als könnte Rotkäppchen ihre Gedanken lesen, lächelte diese süffisant und sagte: „Ich bin mir sicher Selena hat dir einige Horrorgeschichten von mir erzählt."
„Was willst du hier?", wollte Gretel wissen. Rotkäppchen seufzte laut und lange, als wäre diese Frage sehr schwer zu beantworten.
„Nun, sagen wir, ich habe ein Angebot für dich."
Gretel trat näher an Rotkäppchen heran. „Lass mich raten. Es hat mit Selena zu tun."
Rotkäppchen schmunzelte erneut. „Du bist genauso direkt und clever wie deine Mutter."
Gretel mochte nicht, dass Rotkäppchen über ihre Mutter redete. Sie hatte kein Recht dazu und sie wurde unruhiger. Spannung lag in der Luft und Gretel wusste, dass auf lang oder kurz sich diese entladen würde.
„Ich muss dich enttäuschen, aber ich habe Selena nicht mehr gesehen seit sie wegen dir ins Gefängnis musste."
„Das ist nicht so schlimm,...", antwortete Rotkäppchen unbedarft.  „...denn du wirst sie bald wiedersehen. Selena ist nämlich auf den Weg hierher."
Gretel hob erstaunt die Augenbrauen und war baff. Selena war auf den Weg hierher? Aber warum würde sie .... Gretel stockte, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss. Sie schaute zu dem Grab ihrer Mutter und dachte ...

„VERDAMMTER MIST!", entfuhr es Selena wütend, als sie gegen die weiße Wand geworfen wurde. Sie stöhnte, als ihr Kopf hart gegen die Wand prallte. Sie hatte aber kaum Zeit, um sich zu erholen, denn im nächsten Moment waren zwei Bärenwachen bei ihr. Ihre Tatzen droschen auf sie nieder und sie duckte sich rasch, während sie die Schläge abwehrte.
Feuer versengte das Fell der Bären und sie schrieen auf, als sie von Selena weg taumelten. Selenas Blick zuckte zu Kitsune, der wild mit kleinen Feuerbällen um sich warf und quiekte. Irgendwie war das niedlich auf eine komische Art. Er wirbelte durch die Luft und versuchte sein Bestes, aber er richtete nicht so viel Schaden an, wie er gerne würde.
Selena setzte den Bären nach und mit zwei gekonnten Hieben gegen deren Schläfen, krachten die Bären bewusstlos zu Boden. Sie schnaufte vor Anstrengung und schaute zu Hel, die in der Mitte des Ganges stand und zig Skelettarme heraufbeschworen hatte, die mindestens zwanzig Wachen in Schach hielten. Ihre Illusion war bereits gebrochen und sie war wieder sie selbst.
„Verdammt, so kommen wir nie hier raus", murmelte Selena und eilte zu Hel, während sie über bewusstlose Bären sprang.
„Das war ein beschissener Plan!", rief Hel ihr zu und Selena bemerkte den Schweiß auf ihrer Stirn. Hels Arme zitterten bereits und sie war der Erschöpfung nahe, während sie weiter Magie benutzte.
„Wie viele verdammte Bären haben die hier!", maulte Hel, als sie drei auf einen Streich umhaute. Doch zwei andere brachen ihre Skelettarme entzwei und sie fluchte.
„Tausende bestimmt. Die zwei Spinner haben sich auf Klonen spezialisiert. Daher wollten sie mein Blut, um mich zu klonen und wie die Bären hier zu deren persönlichen Sklaven zu machen", erklärte Selena, während sie sich umsah. Sie waren gefangen in einem weißen langen Gang und wussten nicht, wo es zum Ausgang ging.
„Ich frage mich immer öfter, warum ich mein Totenreich verlassen habe, um zu all diesen lebenden Freaks zu kommen", seufzte Hel und warf Selena einen kurzen Blick zum als Kitsune gegen Selenas Schulter stieß.
„Da kommen mehr!", rief er panisch und zeigte hinter ihnen. Selena bemerkte weitere Bären und auch Schneeweißchen, die mit Wut verzerrtem Gesicht auf sie zu kam.
„Weißt du, Wolf, wenn du mich jetzt...", begann Hel, doch Selena unterbrach sie mit scharfer Stimme.
„Du wirst sie NICHT alle umbringen, Hel!"
Hel rollte mit den Augen und stöhnte genervt auf. „Oh, komm schon! Die wollen uns auch umbringen. Warum..."
„Weil wir besser sind als die", knurrte Selena und ging auf alle Viere. Hel und Kitsune starrten sie verwirrt an.
„Was bei Odin machst du da?", wollte Hel wissen.
„Ok, ich sage das nur einmal", erklärte Selena mürrisch und schaute die beiden ernst an. „Klettert auf meinen Rücken."
„Was?", entfuhr es Hel, während Kitsune bereits auf Selenas Rücken flog. Selena packte Hels Hand und zog sie näher an sich heran. Ihr scharfer Blick duldete keine Widerrede.
„Kletter auf meinen Rücken, Totengöttin", sagte sie mit einer dunklen, kehligen Stimme, die Hel ein wenig Angst einjagte. Auch wenn sie das nie zugeben würde. Sobald Hel auf Selenas Rücken war, spannte Selena sich an und schaute zu den Bären, die sich durch die Skelettarme zu ihnen kämpften.
„Haltet euch fest. Aber reißt mir ja kein Fell raus", war das Letzte, was Hel und Kitsune hörten, bevor Selena einen gewaltigen Sprung machte.

Hel sah mit großen Augen zu, wie Selenas Muskeln sich unter ihren Beinen verformten und dehnten. Knochen knackten und Fell schoss auf Selenas Haut, während sie sich in Bruchteilen von Sekunden in einen gewaltigen Wolf verwandelte. Hel klammerte sich an Selenas Hals mit Kitsune zwischen ihren Armen, während Selena auf die Bären zu sprintete.
Mit wölfischer Geschwindigkeit und Eleganz  bahnte Selena sich durch die Bären, während Hel und Kitsune mit ihrer Magie ihr den Weg so gut es ging freimachten. Das Geräusch von Krallen auf dem Boden donnerte durch die engen Gänge und hinterließ eine Spur von verletzten oder bewusstlosen Bären.
Kitsune hob seine kleinen Arme und rief freudig auf. Er hatte den Spaß seines Lebens, während Hel damit beschäftigt war nicht von Selenas Rücken zu fallen. Die drei rasten durch die Gänge und kamen in einem großen weiträumigen Labor an. Panische Schreie schrillten Hel in den Ohren, als Selena über die Tische sprang und einiges an Equipment mit sich riss. Hel erhaschte einen Blick auf blubbernde Gefäße, in denen Bären und andere Wesen schwammen. Hel fragte sich, ob das die Klone waren, von denen Selena erzählt hatte.
Da Hel von ihren Gedanken so abgelenkt war, bemerkte sie nicht wie Selena auf ein Fenster am Ende des Raumes zuhielt. Erst als Kitsunes Krallen sich in Hels haut drückte und der kleine Fuchs sich gegen Hels Brust drängte, wusste sie, dass irgendwas faul war. Ihr Blick fokussierte sich wieder nach Vorne und sie starrte zu dem Fenster, das die Skyline von Grimmsstadt zeigte.
„Selena ...", begann Hel nervös und ihr Herz begann schneller zu schlagen, während sie dem Fenster immer näher kamen. „Selena?...SELENA!"
Hel kreischte und Kitsune hielt sich an ihr fest, als Selena durch das Fenster preschte. Glas prasselte auf Hel nieder und sie legte schützend ihre Arme um Kitsune, als kühle Luft ihr entgegen peitschte. Für einen Moment schienen sie durch die Luft zu schweben und Hel sah wie sie über eine belebten Straße hinweg segelten. Mit Schrecken stellte sie fest, dass sie verdammt hoch in der Luft waren.
„Selena, wenn wir das überleben, dann bringe ich dich um!", schrie Hel wütend, als Selenas Vorderpfoten das Dach des gegenüber liegenden Gebäudes erreichten. Hel erkannte, dass Selena ihren Sprung nicht abbremsen konnte, weil sie mit viel zu viel Schwung auf dem Dach ankamen. Ohne weiter zu denken, sprang Hel von Selenas Rücken, während die Wölfin einen Überschlag machte und hart auf dem Dach aufprallte.
Hel zapfte ihre Magie an und Skelettarme schossen aus dem Dach, die sie auffingen, während sie beobachtete, wie Selena über den Boden schlitterte und gefährlich nahe zu dem Ende des Daches kam.
„Selena! Achtung!", warnte Hel, aber sie stellte fest, dass Selena ohnmächtig war.
„Seeeeleeeeeenaaaa!", kreischte Kitsune panisch und machte sich von Hel los. Er flog zu Selena, um sie zu erwischen, bevor sie vom Dach herunterfiel. Sobald Hel die Füße auf den Boden hatte, riss sie einen Arm vor und ließ ihre Magie zu Selena schnellen. Im letzten Moment schaffte Hel es eine Hinterpfote von Selena zu erwischen mit ihren Skelatarmen und zog sie zurück auf das Dach. Hel plumpste auf den Boden, schnaufend, und blinzelte zu Selena, die bewegungslos da lag.
„Lebt sie noch?", rief Hel zu Kitsune, der Selena erreicht hatte und an ihrem Kopf rüttelte. Der gewaltige Wolfskörper verwandelte sich zurück in Selenas menschlichen. Hel stand hastig auf, rieb sich den Hintern und humpelte zu Selena herüber, die stöhnend die Augen öffnete.
„Das war knapp", meinte Kitsune. „Wenn Hel dich nicht geschnappt hätte, wärst du vom Dach gefallen."
Hel beugte sich über Selena und musterte sie. Selena fasste sich an den Hinterkopf und verzog das Gesicht. „Mist ..."
„Das war ganz schön dumm, Wolf", kommentierte Hel, bevor sie grinste. „Hätte nicht gedacht, dass du so drauf bist."
Selena setzte sich mühsam auf und warf Hel einen amüsierten Blick zu. „Ich hab's dir ja gesagt."
Hel zog fragend die Augenbrauen zusammen. „Was?"
Selena grinste breit und zwinkerte Hel zu. „Wenn du mich erstmal richtig kennen lernst, dann wirst du mich mögen."
Hel stöhnte laut auf und konnte gar nicht so krass mit den Augen rollen, wie sie gerne würde. „Oh biiiiiitte!"
Kitsune schmunzelte, während er die beiden beobachtete. „Ich mag unser Rudel."
„Wir sind kein Rudel!", erwiderten Hel und Selena beinahe aus einem Munde. Sie warfen sich einen kurzen Blick zu, bevor Hel sich demonstrativ wegdrehte. Selena schaute derweil zurück zu dem Hochhaus, aus dem sie gesprungen waren. Die Scheibe war zerbrochen und Schneeweißchen schaute hinaus zu ihnen herüber.
Kitsune bemerkte, dass die Sonne bereits unterging und er erinnerte sich, was Elphaba gesagt hatte. „Lasst uns weitergehen. Wir müssen zu Gretel", drängte er die anderen und Hel nickte, während Selena sich fragte, wer die Zwillinge angeheuert hatte, um sie zu töten. Auch wenn sie es nicht wollte, aber dabei kam ihr nur ein Name in den Kopf: Rotkäppchen.

Die drei Mythengetiere Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt