Aglaope führte Hel und Kit durch die Gassen von Grimmstadt. Nun, sie führte sie nicht wirklich. Sie kontrollierte ihre Bewegungen mit ihrer Stimme. Hel fand das beeindruckend, aber das würde sie dieser seltsamen Frau auf gar keinen Fall sagen. Skeptisch musterte Hel die Sirene näher. Sie wusste, dass sie von der griechischen Mythologie war und anscheinend hatte sie nicht ihre Magie verloren. Sie verhielt sich immer noch wie eine heimtückische, singende Verbrecherin, die Wesen in ihr Unheil trieb, während diese ein Lächeln auf den Lippen hatten.
Hel hatte einige Geschichten von Sirenen gehört und sie war schon immer fasziniert davon gewesen. Jemanden nur mit der Stimme zu kontrollieren, war ziemlich cool. Hel musste immer schnipsen, was sie momentan nicht konnte, weil Aglaope sie nicht ließ.
„Wer ist das?", fragte Kit neben ihr verwirrt. Hel warf ihm einen raschen Blick zu und stellte fest, dass der Fuchsdämon wohl endlich von seinem Drogentrip runtergekommen war.
„Was bei Odin hast du gegessen?", wandte sie sich an den kleinen Fuchsdämon. Kit lief auf allen vieren neben Hels Füßen. Er starrte seine Pfoten an, die im Gleichmarsch voran tapsten.
„Meine Pfoten laufen einfach so!", stellte er panisch fest und schaute zu Hel. „Warum machen die nicht, was ich sage?"
„Weil du unter einem Bann bist, du Idiot."
„Was ist ein Bann?! Ist das giftig!? WERDEN WIR STERBEN?!"
Aglaope stoppte und drehte sich um, was Kit augenblicklich zum Schweigen brachte.
„Euer Leben ist nicht in Gefahr, kleiner Dämon", schnurrte Aglaope in einer angenehmen, dunklen Stimme, die Hel und Kit sofort entspannte. Beide lächelte zufrieden und folgten Aglaope.
„Das ist aber eine nette Frau", meinte Kit zu Hel, die vehement den Kopf schüttete, um die Trance auf ihrem Köper zu vertreiben.
„Also ich finde schon", erwiderte Kit, der Hels Kopfschütteln absolut falsch deutete. „Sie schaut doch voll nett aus. Oder nicht, Hel?"
Hel rollte mit den Augen. „Du bist wirklich so naiv, dass die Sirene nicht mal reden müsste und du frisst ihr schon aus der Hand."
Aglaope verlangsamte ihre Schritte, um mit Hel auf Augenhöhe zu sein. Ungewollte spannte Hel sich an. Die plötzliche Nähe von Aglaope war ihr unangenehm. Vor allem, weil Hel wusste, dass sie sich nicht wehren konnte.
„Hel ist dein Name?"
„Jap."
Die blauen Augen taxierten Hel aufmerksam und ein sanftes Lächeln bildete sich auf den vollen Lippen. „Was macht die nordische Totengöttin hier in Grimmstadt? Hast du nicht eine Totenwelt zu regieren?"
„Ich hab eine gute Urlaubsvertretung gefunden."
Aglaope schmunzelte und führte die beiden durch eine weitere Gasse, die etwas ruhiger war. Nur ein paar Wesen gingen hier ihren täglichen Geschäften nach.
„Wohin gehen wir?", verlangte Hel zu wissen.
„Kennst du Hades und Persephone?"
Hel wurde innerlich unruhig bei der Frage. Warum wollte Aglaope das wissen?
„Warum ignorierst du meine Frage?"
„Ich höre Schmerz und Ärger in deiner Stimme", entgegnete Aglaope und ihre Augen blitzten auf. „Haben Hades und Persephone dich verletzt? Es würde mich nicht wundern. Sie waren schon immer sehr selbstbezogen."
Aglaopes Stimme drang in Hel ein und umklammerte ihr Herz. Wie ein sanftes Ziehen versuchte sie Hel Worte zu entlocken. Mehr als Worte, sie wollte die Wahrheit. Sie wollte alle tiefen Geheimnisse von ihr wissen.
Hel presste die Lippen aufeinander und funkelte Aglaope wütend an. Sie würde dieser hinterlistigen Frau auf gar keinen Fall irgendetwas sagen. Vorher würde sie sich die Zunge rausschneiden. So sehr Hel auch fasziniert war von Sirenen, sie wusste auch wie gefährlich sie waren.
Die beiden schauten sich an. Es war ein Kampf der Giganten. Eine mächtige Totengöttin gegen die einlullende Magie einer Sirene. Die Spannung zwischen ihnen konnte man in der Luft beinahe spüren.
Kit saß zwischen ihnen auf den Boden und schaute zwischen ihnen hin und her. Es war wie ein intensives Tennisspiel. Aber das verstand der kleine Fuchs noch nicht wirklich. Er fragte sich nur, warum die beiden sich schweigend anstarrten.
Hel begann zu zittern und ihre Lippen lösten sich langsam, während sie krampfhaft dagegen ankämpfte. Aglaope grinste.
„Na, na, na, Hel, kämpf nicht dagegen an. Die Wahrheit ist befreiend. Erzähl mir alles, was du weißt über Hades und Persephone", flüsterte Aglaope und jedes Wort war wie eine weiterer seidener Faden, der sich um Hels Hals legte. Hel begann zu schwitzen vor Anstrengung, aber wenn es etwas gab, dass sie über die Jahre perfektioniert hatte, dann war es stur sein. Oh bei Odin, sie konnte so stur sein, dass sogar die geduldigsten Toten frustriert mit ihr wurden.
Kit setzte sich auf sein Hintern und beobachtete die beiden gelangweilt. Während er da so saß, merkte er, dass er gar nicht mehr unter Trance war. Er bewegte seine Pfoten und schaute begeistert zu seinen Schwänzen, die er durch die Luft wedeln ließ.
„Hey, ich kann mich wieder bewegen! Von ganz alleine!", quiekte er erfreut auf und sprang in die Luft. Aglaopes Fokus brach, als sie irritiert zu Kit schaute, der Saltos in der Luft machte.
Hel sank auf die Knie, erschöpft und keuchend. „Bei Odin ...", murmelte sie und schaute zu Kit, der sich neben sie auf den Boden wieder setzte. Er schaute beleidigt zu Aglaope.
„Das ist nicht nett", maulte er. „Ich mag es nicht, wenn du uns kontrollierst. Wenn du einfach nett fragen würdest, dann würden Hel und ich dir sicherlich auch so folgen."
Aglaope ist so überrascht von diesem Kommentar, dass sie anfing zu lachen. Hel konnte es nicht fassen und starrte zu Kit. „Wie dumm bist du eigentlich?"
Kit reckte den Kopf in die Luft. Er war offensichtlich verletzt von ihren Worten. „Ich bin nicht dumm."
„Dann eben naiv. Das ist quasi dasselbe", murrte Hel und setzte sich neben ihn. Ihr Köper war geschwächt und sie wusste nicht, ob sie nochmal einen Willenskampf mit Aglaope durchstehen konnte.
„Ihr zwei seid wirklich die seltsamsten Wesen, denen ich jemals begegnet bin", meinte Aglaope amüsiert. „Und ich verstehe absolut nicht, warum Selena mit euch unterwegs ist."
„Das verstehe ich auch nicht", erklang auf einmal Selenas Stimme. Hel und Kit schauten hinter Aglaope. Selena stand in der Gasse mit verschränkten Armen und musterte Hel und Kit seufzend. „Da lässt man euch einmal kurz alleine und ihr lasst euch kidnappen."
„Selena!", quiekte Kit erfreut, konnte sich aber nicht bewegen. Er wollte auf sie zurechnen, aber Aglaope ließ ihn nicht. Stattdessen stellte sie sich vor die beiden und fixierte Selena.
„Selena, so sehen wir uns wieder."
Selena grinste. „Hey Aglaope. Irre ich mich oder hast du eine neue Frisur? Steht dir sehr gut."
„Bei Odin, das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?!", rief Hel aus und schüttete den Kopf.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du dumm genug bist, einfach aufzutauchen", erklärte Aglaope und ihr Lächeln war gefährlicher als ihre Stimme jemals sein könnte. „Das Kopfgeld auf dich ist ziemlich hoch. Es wundert mich, dass du noch so lebend herumläufst. Aber es war schon immer schwer, dich zu schnappen."
Aglaope fing an zu summen und ihre Stimme glitt durch die Gasse zu Selena, die unbeeindruckt weiter auf sie zu lief.
Hel beobachtete Selena skeptisch. Sie hatte dieses überhebliche Lächeln aufgesetzt, was nur heißen konnte, dass sie einen Plan hatte. Zumindest hoffte Hel das. Sie hatte keine Lust der Wölfin schon wieder den Hintern zu retten.
„Netter Versuch, aber ich hab seit dem letzten Mal dazu gelernt", meinte Selena und deutete auf ihre Tattoos an den Armen. Sie zwinkerte zu Aglaope, während diese zurück wich.
Aglaope verzog mürrisch das Gesicht. „Elphaba muss dich wirklich geliebt haben, wenn sie dir solche starken Schutzrunen tätowiert hat."
Selena blieb vor Aglaope stehen. Sie hielt ihren Abstand auch wenn Aglaopes Stimme sie nicht beeinflussen konnte. Sie wusste, dass die Sirene auch ohne ihre Stimme gefährlich war.
„Wo warst du, huh?", fragte Hel Selena wütend.
„Warum bist du so wütend?", wollte Selena verwirrt wissen. „Ich bin nicht diejenige, die in eine Falle gelaufen ist und sich hat kidnappen lassen."
Hel schaute zu Aglaope auf. „Wenn du sie umringen willst, dann habe ich nichts dagegen übrigens."
Aglaope hob verwundert eine Augenbraue. „Ich dachte ihr seid Freunde?"
„Wir sind eine Familie!", mischte Kit sich energisch ein.
„Wir sind nichts dergleichen", brummte Hel.
„Aglaope", wandte sich Selena an die Sirene, deren Aufmerksamkeit nun zu Selena zurück glitt. „Ich brauche deine Hilfe."
Aglaope lachte zynisch auf. „Der große, böse Wolf braucht meine Hilfe?"
„Ich weiß, wer dich geschickt hat, um mich zu töten."
Aglaope zeigte nicht, was sie dachte. Sie musterte Selena weiterhin mit scharfen Blick.
„Aber ich hab einen besseren Deal für dich", erklärte Selena mit einem Selbstbewusstsein, das sogar Hel beeindruckte.
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Die drei Mythengetiere
AdventureScheiß auf: Einer für alle! Wenn die vereinigten Länder der Mythen und Märchen von einem Fluch heimgesucht werden, machen sich drei Helden auf den Weg, den Fluch zu brechen und ihre Welt zu retten. Naja, nicht Helden. Sagen wir ein Ex-Sträfling, ei...